1982, nach den Sommerferien. Ich war gerade mit Muttern nach Stuttgart gezogen, zwecks Familienzusammenfuehrung und hatte in einer neuen Schule mit der 8. Klasse begonnen. Ich hatte in der alten Schule immer sehr schlechte Betragensnoten und wollte das eigentlich auch nicht aendern. Also verweigerte ich die harmonische Integration, warf waehrend des Unterrichts mit Mandarinenschalen, nahm an den Ruelpswettbewerben der Jungs teil und kloppte mich in der Pause, so dass eine als wahnsinnig bekannte Lateinlehrerin mir mal ‘Ianua Nova’ ueber den Kopf hieb, damit ich vom Gegner abliess.
Aber wir waren auch politisch! Wir gingen zu Schuelerdemos und protestierten gegen irgendeine Entscheidung des damaligen Kultusministers Gerhard Mayer-Vorfelder mit Slogans wie ‘Schuelerpower macht den Gerhard sauer!’
In meiner Freizeit arbeitete ich als Opernstatistin; zunaechst in kleinen, anspruchslosen Einsaetzen (einmal als Nonne ueber die Buehne eilen, in der Masse Gandhi zujubeln, etc), spaeter durfte ich auch als singende Karotte oder als Windmuehle wirken. Zu dieser Zeit gab es eine Kampagne, weil das Opernhaus aus dem 19 Jh. in den 50ern intern verschandelt worden war und ‘wieder im alten Glanz erstrahlen sollte’ (letzteres mit zugehaltener Nase geschrieben). Ich war also bei einem Sommerfest des Foerdervereins Alte Oper Stuttgart, wo alte Kostueme versteigert werden sollten. Die Auktionaere waren Politiker, die, um ihren Sinn fuer Humor und ihre Volksnaehe zu zeigen, mit riesigen Opernhueten herumliefen. Weil die Auktion nicht so richtig in Gang kam, wurde entschieden, dass wir Statisten die Kostueme vorfuehren sollten. Das war lustig, weil Opernsaengerinnen oft grosse Brueste haben und ich mit riesigen Mengen Klopapier ausgepolstert werden musste, um die Kostueme einigermassen auszufuellen. Die Lokalpolitiker waren sozusagen die Vorgruppe fuer Lothar Spaeth, den Ministerpraesidenten (sprich ‘MinischterpraesidentEN’, weil beim Honoratiorenschwaebisch das Endsilbenbetonen sehr wichtig ist). Als Hoehepunkt war angekuendigt, dass Spaeth das Kleid von Martha Moedl aus ‘Die Walkuere’ versteigern solle. Das Kleid war ziemlich haesslich, so beige-hautfarben, aber ich zog die Arschkarte, weil es allen anderen zu lang war. Also wieder Klopapier und Sicherheitsnadeln, und offene Haare, wegen ‘Hojotoho!’. Muss komisch ausgesehen haben, mit schlechter Haltung und muehsam verborgender Peinlichkeit im Bruennhildenkostuem. Mit Spaeth war auch die Presse angerueckt, und ich wurde fotografiert. Der Herr Ministerpraesident war aufgeraeumt und scherzte, dass ich im Preis inbegriffen sei. Viel kam nicht zustande (kein Wunder – bloedes Kleid….und nur weil in den 50ern mal Achselschweiss von Martha Moedl dringewesen war…und dann auch noch ein linkischer Teenager drin...), und so kaufte Spaeth es zuletzt selber. Ich stellte mir gerne vor, wie er seine Frau versuchte zu ueberreden, es doch mal anzuziehen, ‘was des wieder koscht hat!’
Als ich mich wieder umgezogen hatte, sprach mich ein Lokalreporter der Bildzeitung an, weil doch der Herr Ministerpraesident….ob ich denn nicht was von mir erzaehlen koenne, und er wuerde das mit dem Foto von mir im Martha-Moedl-Klopapierkleid drucken. Weil ich doch immerhin politisch war, sagte ich wohlerzogen, dass ich mit der Bildzeitung nicht so viel zu tun haben wolle, flocht meine Haare wieder zum Zopf und ging erhobenen Hauptes von dannen.
Lesezeichen