Zugegeben, der Typ ist gut abgehangen, eigentlich schon haut gout, aber diese Geschichte ist taufrisch. Vor etwa einer halben Stunde, in der Salzstraße, die so etwas wie die Fußgängerzone von Münster in Westfalen ist: Die heiße Scholle mit Pommes in der Tüte will zeitnah verzehrt sein, deswegen laufe ich zügig nach Hause. Die Leute sind alle recht wohlhabend hier in Münster, tragen beige Sachen oder blaue. Alle Frauen schlank, groß, lange Haare und Perlen im Ohr. Selbst die Punks und die Penner wirken satt, freundlich und zufrieden. Mitten in der Menge der Passanten taucht plötzlich eine schiefe, schwarze Gestalt auf, mit einem Kokon aus Leere um sich herum: Udo Lindenberg. Seine Schritte in den dürren Röhrenhosen wirken schwer und müde, irgendwo an der Seite hängen Lederschnüre herab und so wird noch deutlicher, wie schief er eigentlich geht. Anstelle der Augen nur eine schlappe schwarze Hutkrempe, darunter ein extrem breiter Mund und ein extrem breites Kinn. Es geht alles sehr schnell. Sein Begleiter, ein langhaariger mit Don-Juan-Bärtchen, redet auf ihn ein und sagt: „...und für die Neunziger stehen The Rasmus und ...“ Die zweite Band kriege ich nicht mehr mit. Das eigentlich Spannende passiert auch erst nach Lindenberg: Er zieht nämlich hinter sich eine Schneise des Erstaunens durch die geschäftige Salzstraße. Es ist, als ob das alltägliche Gewimmel für einige Sekunden einfach einfriert. Die Leute bleiben stehen, starren ihm nach, erwachen dann und besprechen das Ereignis sofort mit den anderen. Es ist die Definition von Prominenz, beiläufig geliefert durch bloße Anwesenheit von einem, der das Gröbste hinter sich hat. Selbst ein baumlanger Geschäftsmann in den Fünzigern reagiert, und zwar sehr westfälisch. Zunächst ein baffes Bauernstaunen: „Von so nah hab ich den noch nie geseh’n.“ Und dann wacht er auf, besinnt sich und setzt nach: „Hätt ja nich gedacht dat der so’n klein Männeken is’!“
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