Ich brauche nicht Sebald, Conrad oder de Sade lesen. Ich weiss auch so, dass das abgrundtief Böse auch in mir steckt. Weil, wenn ich in einem Konzert bin und diese pelzbehangenen, stinkenden Drecksomas - natürlich meistens beim pianissimo oder zumindest doch an der schönsten Stelle – mit ihrer Husterei anfangen, dann würde ich sie am liebsten alle töten; und in der Pause bin ich nachher froh, dass ich, zumindest meistens, keine grosskalibrige Faustfeuerwaffe mit mir herum trage, denn sonst könnte ich für nichts garantieren.
Letztes Jahr war ich Ballett gucken, die „White Oak Dance Company“. Ich kokettiere nicht, wenn ich bekenne, dass ich vom Tanz nichts, aber auch gar nichts verstehe. Trotzdem sehe ich gerne schönen Menschen zu, die erstaunliche Sachen mit ihrem Körper anstellen und ausdrücken können – speziell wenn es unter dem Etikett 'Modernes Ballett' daher kommt.
An diesem Abend wurde nun ein Stück der mehrteiligen Vorstellung zwanzig Minuten lang ohne Musik getanzt – vielleicht nennt man das beim Ballett auch a capella. In den wenigen Minuten, in denen während dieser Zeit Stille herrschte, war das ganz wundervoll, man hörte nur das zarte Geräusch des Schleifens der Ballettschuhe auf der Bühne und sah den farbig gekleideten Tänzern bei ihrem wundersamen Wechselspiel viel konzentrierter zu, weil man nicht durch Musik abgelenkt war. Dann aber, was sollte man auch erwarten: Husten, Räuspern, wieder Husten und nochmals Husten im Publikum. Ich hatte am Schluss sogar den Eindruck, dass die eher auf traditionelles Entertainment konditionierten alten Abonnementshexen absichtlich husteten, als Missfallenskundgebung, die Miststücke. (Um irgendwelchen Einwänden gleich vorzubeugen: in meinen Blickfeld sah ich tatsächlich keinen einzigen männlichen Huster oder Räusperer. Nicht einen. Und auch keine Geräusche verursachenden Frauen unter 50). Ich war ausser mir vor unterdrückter Rage und hatte geradezu das Gefühl mein Kopf würde gleich explodieren.
Dann Pause, und selbst in Italien darf man nicht mehr rauchen in der Oper aber ich musste jetzt einfach, um mich zu beruhigen nämlich. Also entweder auf einen von Tauben vollgeschissenen Minibalkon oder ins Personalraucherzimmer hinter der Bühne. Letzteres, denn draussen schifft es in Strömen. Drei Damen, die in diesem Opernhaus arbeiten, nehmen mich ins Schlepptau Richtung Kaffeeraum. Da stecken wir uns alle vier eine Zigarette an, fluchen über das undisziplinierte Hüstelpack und schwärmen auch ein bisschen über die tollen Tänzerinnen und ihre Körper.
Auf einmal sehe ich einen stark geschminkten Homunkulus in einer engen weissen Skihose durch die Kantine trippeln. Es ist Michail Barischnikov. Er deutet Tanzschritte an, summt dabei ganz leise vor sich hin und macht hin und wieder Dehnungsübungen bei denen er ein Bein gegen die Wand streckt. So von nahem gesehen bin ich völlig verblüfft wie unglaublich drahtig dieser doch immerhin schon vierundfünfzigjährige Mann ist und wie gross der Kopf auf diesem Körper wirkt - und wie gross trotzdem die mit violettem Lidschatten zart umrahmten Augen in diesem Kopf wirken. Aber was mich am meisten verblüfft ist, dass er, obwohl er unten weiter tänzelt, oben eine Zigarette raucht.
Das sei nicht unüblich bei Tänzern, klären mich meine Begleiterinnnen auf. „Schau, schau“ denke ich bei mir „aber hustet er deshalb während der Vorstellung? Eben!“
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