Wieso hab ich diesen Strang erst jetzt entdeckt? Egal. Verhärmte Züge um Mundwinkel zerstören das schönste Gesicht, das ist wahr.
Es gibt da einen, naja, nicht Pornofilm, aber ab 18 ist er schon, inzwischen lief er mehrfach im Fernsehen, um ichweißnichtwieviel gekürzt, aber damals sah ich ihn noch ungekürzt und nur untertitelt auf der Berlinale 92 oder 93: Tokyo Decadence - Topaz. Das ist so eine japanische Besonderheit: junge Regisseure kriegen Geld und dürfen damit eigentlich machen, was sie wollen, solange soundsoviel Sex- und Nacktszenen drin vorkommen, in diesem Falle führte das also zu wirklich guten SM-Szenen, einigen grotesken Unfällen, und dazwischen immer lange Passagen von Frau auf Kinderspielplatz, nachdenklich ("man hört jede einzelne Regieanweisung knatternd mit", H.R.). Der Vorfilm (das gibts jetzt auf der Berlinale nicht mehr, ich hab gehört, daß sie nur noch alle Kurzfilme zusammen en bloc zeigen) war schwarzweiß und intim und zeigte einen jungen Mann, der sich dicke Nadeln, so Schaschlikspieße, in diverse Körperteile bohrte, und da mußten Boris und ich schon kichern, als so ein paar Männer in Lederklamotten doch eher fluchtartig den Saal verließen.
Denn die Lederfraktion hatte den Saal geentert, Jahre später noch war es sozusagen das Ikearegal des aufgeklärten halboffenen SMers, sich das Filmposter zu Topaz gerahmt übers Sofa zu hängen, man kennt es, da steht die Hauptdarstellerin nackicht vor einem Fenster und die ganze Stadt kann sie sehen, oder könnte es, wenn sie denn hinkuckte. Miho Nikaido heißt die und macht im Film natürlich eine sehr gute Figur, wie sie da mit summenden Dingen innendrin durch die spärlich erleuchtete Wohnung kriecht und so. War jedenfalls ein teilweise entzückender Film, nur, hinterher mußte ja noch die Diskussion mit dem Regisseur stattfinden, und wie führt man nun eine ernsthafte Diskussion über etwas, das auch beim günstigsten Betrachten eben hauptsächlich ein geiler Sexfilm ist? Da stehen also die üblichen 5 Tische auf der Bühne, dahinter der Regisseur, daneben die Hauptdarstellerin, und am anderen Ende der Interviewer, Ulrich Gregor wars wohl nicht, ich weiß es nicht mehr, jedenfalls ziemlich auf verlorenem Posten, geradezu erleichtert griff er die üblichen, sonst ja eher nervenden Fragen nach Sinn und Bedeutung auf, die werden ja immer gestellt, das ist ja schon wieder sowas von Klischee, immer derselbe junge Mann, der eigentlich von Rechts wegen auch noch picklig sein müßte, wahrscheinlich wird der von der Berlinaleleitung extra gecastet und muß dann eine Woche lang den Dummen geben.
Diese Diskussion war kurz, die Ledermenschen verließen auch schnell den Saal, und die von oben von der Bühne mischten sich dann unters Volk. Da standen Boris und ich also vor Miho Nikaido, und was fragt man denn nun eine angezogene Frau, der man vorher bis tief in die Gynäkologie geschaut hat? Niedlich sah sie aus, eben Schulmädchen, und in entzückendem Englisch erzählte sie dann auch, was sie grad studierte und daß dieses ihr erster Film sei und was man eben so sagt, und wir sagten auch nichts Anzügliches, sondern lobten sie und den Film und wünschten ihr Glück, alles, um bloß nicht irgendwas anderes erwähnen zu müssen.
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