Letzen Freitagabend war ich als Anhängsel meiner vorgesetzten Dienststelle an einer Party in Turin. E., der Gastgeber, ist der Impressario von Caetano Veloso, zu dessen Ehren das Fest gegeben wurde. Veloso hatte an diesem Abend ein Freiluftkonzert gegeben, dass nach vier Liedern wegen eines Wolkenbruchs hatte abgebrochen werden müssen. Wir kamen ungefähr um Mitternacht bei E. an, dieser wohnt, wie alle reichen Turiner, in einer Altbauwohnung mit hohen Stuckdecken, intelligentem Grundriss, verschiedenfarbigem, antiken Parkett, exquisitem und bequemem zeitgenössischen Mobiliar – ohne dass man immer gleich Eames oder Breuer denken muss – sowie heiteren und interessanten Gemälden und Photographien an jeder Wand.
Der Ehrengast trug einen gelbgrün getönten Blue Jeans Blouson, ein weisses T-Shirt, weisse Jeans, weisse Socken und braune Ledersandalen mit über dem Spann gekeuzten Riemen. Dazu eine nicht mehr ganz neue Plastikarmbanduhr. Veloso ist klein und zierlich und hat ein hübsches Gesicht, dem man sein Alter nicht ansieht, tatsächlich erfuhr ich später, dass er schon 63 ist. Er wirkte sehr zurückhaltend und schüchtern, was noch dadurch unterstrichen wurde, dass er mit zusammengepressten Knien in einer Sofaecke sass. Auf den Beinen hatte er einen Teller voll Tagliatelle, die er mit Genuss und Konzentration verzehrte. Als er alles ratzeputz aufgegessen hatte, stand er auf, ging zum Buffet und kam mit einer Portion Reis mit Scampi zurück welche er ebenfalls sehr gewissenhaft verspeiste. Trotzdem müssen ihm die Nudeln besser geschmeckt haben, denn davon holte er sich einen weitern Nachschlag. Dazu trank er Coca Cola.
Neben ihm sass seine Mitarbeiterin und Betreuerin, deren Namen ich leider nicht behalten habe. Sie war ständig am Mobiltelefon, welches sie einmal auch Veloso überreichte. Beim Gespräch mit der offenbar vertrauten Person am Handy löste sich sein Gesicht in reine Heiterkeit und Fröhlichkeit auf, was völlig im Gegensatz zur introvertierten Erscheinung auf dem Sofa stand. Zudem wirkte er lachend noch jünger als ohnehin schon.
Ich habe mir lateinamerikanische Musiker immer mit Zigarre und Schnaps vorgestellt aber nicht nur Veloso, auch seine Musiker waren in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Nicht einen sah ich rauchen oder Alkohol trinken. Das einzige Vergnügen der mehrheitlich sehr jungen Musiker bestand scheinbar darin, die CD-Sammlung E’s zu durchsuchen, die eine oder andere aufzulegen, dazu zu tanzen oder auf den eigenen Oberarmen mitzutrommeln.
Ich fragte Veloso ein bisschen nach seinem Europaprogramm aus: Auf dieser Tournee wird er u.a. noch in Florenz, Palermo und in Montreux auftreten. In Montreux muss er wohl seit geraumer Zeit jedes Jahr aufgetreten sein. Er gab höflich und leise Auskunft, wobei er weder abweisend noch übertrieben freundlich wirkte, was sonst bei berühmten Leuten ja häufig vorkommt.
Gegen halb zwei wurde die gesamte Entourage mit dem Bus abgeholt; von den Brasilianern blieben nur er und seine selbstbewusste Assistentin über. Ansonsten waren nur noch E., dessen Gattin, deren zwei Söhne aus erster Ehe, V. eine Freundin der Familie, Paola und ich übrig. Da hatte ich eine gute Idee: Ich packte eine Gitarre aus, die ich im Nebenraum gesehen hatte, nahm sie mit hinüber in den Salon und spielte etwas aus meinem Repertoire der ‚Renommierstücke eines Halbbegabten‘. Als Veloso neugierig ins Zimmer trat, streckte ich ihm sofort das Instrument entgegen wobei ich ihn scherzhaft „Du bist doch Muskiker, nicht?“ fragte. Er nahm die Gitarre, wobei er weder Enthusiasmus noch Widerwillen zu erkennen gab und setzte sich bequem aufs Sofa. Dann spielte er uns eine Handvoll Bossa Nova-Weisen, diese geheimnisvollen Lieder, wo jeder Ton einen eigenen Griff erfordert, dazu sanger in seinem anmutigen, leisen Tenor. Da ich kein Portugiesisch kann, weiss ich nicht, was er sang, trotzdem rührten mich die Lieder merkwürdig ans Herz. Dies seien alles Stücke aus den dreissiger Jahren, erklärte er zwischen den Liedern. Für mich waren sie neu und wundersam, und ich war voll Reue, denn ich hatte brasilianische Musik bisher immer ein wenig verachtet.
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