Es war in einer Zeit, als mein Lungenvolumen noch ausreichte, mit einer Füllung einen Luftballon auf Handballgröße zu bringen, als mir die merkwürdigste, vielleicht nicht die lustigste, aber jedenfalls die merkwürdigste Paparazzi-Geschichte meines Lebens widerfuhr.
Ich beschloß, tauchen zu lernen und flog zu diesem Zweck mit meiner Freundin auf die Malediven. Ich muß kurz nachdenken; es war wohl 1991 oder 1992. Die Insel hieß Madoogali und wäre sie ein Fußballplatz gewesen, wäre mit Sicherheit jeder Outball naß geworden. War sie aber nicht, war eine dreidimensionale Postkarte: Sand, Palmen und grünblaues Meer.
Aber jetzt ab in die Tauchschule. Der Lehrer dort war ein ausgewanderter Österreicher, mit einer Malediverin (Maledivin? Male...???) verheiratet, knapp fünfzig Jahre alt, glatzköpfig, leicht schmerbäuchig und ein bisschen komisch. Aber sonst ganz nett.
Am zweiten Kurstag saßen wir in einer Palmenhütte beim Theorieunterricht, nahmen gerade das langsame Aufsteigen aus Tiefen von mehr als 15 Metern durch, da wurde unser Lehrer (ich glaube, er hieß Max) vom Hotelmanager aus dem Palmenklassenzimmer geholt. Fünf Minuten später kam er wieder, ein merkwürdiges Grinsen auf den Lippen. Einer von uns fragte, was denn los sei. Max schwieg und grinste weiter. Nochmal die Frage. Max sagte, man erwarte am nächsten Tag hohen Besuch. Wir hätten schon was ahnen können, er schlug dabei seine Badeschlapfenhacken zusammen, dass es deutlich vernehmbar ploppte.
Nun gut, wird wohl irgendein Promi hier Urlaub machen, dachten wir, und ließen uns nach Sonnenuntergang den selbstgefangenen Grouper schmecken, den die gastronomische Belegschaft der Insel wie jeden Abend routiniert auf der Holzkohle verkokelte.
Der nächste Morgen. Theorie. Handhabung der Ausrüstung, Tauchpatronenfüllung und so weiter. Wir bemerkten das Tragflächenboot zunächst nicht, das am Horizont auftauchte und langsam näher kam. Max aber sah bald hin und murmelte eher zu sich, es würde wohl noch zehn Minuten dauern, bis es hier sei, wir könnten inzwischen weitermachen. Unsere Neugier stieg und wir fragten wieder, aber Max ließ sich nichts entlocken. Diesmal aber hob er die Hand leicht zum Hitlergruß – und uns wurde schlecht. Oh Gott, wer kommt da? Le Pen persönlich? Oder womöglich irgend so ein alter Nazi, dem in Paraguay fad geworden war? Wann geht das nächste Schiff? Raus hier!
Das Tragflächenboot machte draußen am Steg an, uns unbekannte Gesichter verließen das Boot. An Unterricht war nicht mehr zu denken. Wir wollten schauen, und Max ging ohnehin zum Steg hinunter.
Aus einiger Entfernung sahen wir dann, wie ein mittelalterlicher zaundürrer Mann mit kurzem grauschwarzen Haar vom Boot stieg und seine Hand an Deck zurückreichte. Eine Gestalt in wehendem Sommerkleid und Strohhut ergriff sie, der Mann half ihr vom Deck, sie hakte sich bei ihm unter und dann spazierten sie an Land. Leni Riefenstahl hielt mit ihrer freien Hand den Strohhut fest und uns klappten die Kinnladen herunter. Das darf doch nicht...nein, das ist...das gibt`s ja nicht! Was macht die Schabracke hier?
Sie drehte hier jenen Film über die Wunder der Tiefen, in dem sie nach Jahrzehnten ihre eingefetteten Nazinackerpazerln und die Bonzen des NS-Regimes durch Seeanemonen Butterfische und Mantelrochen ersetzte.
Fazit: Wir hatten eine Woche lang Frau Riefenstahl auf der Insel und fuhren mehrmals auch mit dem selben Boot zum Tauchen hinaus. Die Frau hatte Unmengen an Ausrüstung mit – und ihren viel jüngeren, aber auch schon angejahrten Lebensgefährten Horst. So tuckerten wir also morgens hinaus, die Riefenstahl verkühlungssicher in einen riesigen Frottee-Poncho verpackt. Auf dem Meer stieg sie unsicher in ihren Taucheranzug. Horst fasste dann die Schultern des Neopren-Dings ungefähr in der Höhe ihrer Fußknöchel und schüttelte Frau Riefenstahl hinein. Dann noch den Rest, Brille und so.
Hierauf hob er sie ins Wasser, wo sie solange dümpelte, bis er ihr die Tauchpatronen nachreichte, denn an Land hätte sie das Zeug nie heben können, das war klar. Zum Schluß folgte noch eine riesige Unterwasserkamera in einem austarierten hellblauen Plastikbehälter; das heißt, der Kanister hielt unter Wasser die Höhe, sank weder noch stieg er. Frau Riefenstahl hielt sich dann an den Griffen der Kamera fest, strampelte ein wenig mit den Füssen und los ging`s. Ich glaube, ich habe sie noch irgendwo auf einem Unterwasserfoto, das ich gemacht habe, drauf, aber ich bin mir nicht sicher, ob das ein halb zerfledderter Zackenbarsch ist oder Hitlers Hausregisseurin. Da schwamm sie also, die gute Frau, wusch ihren gesamten Körper in Unschuld und filmte Fischlein.
Als sie fertig war, hob Horst sie wieder heraus, schälte sie aus dem Neopren, trocknete sie ab und stopfte sie wieder in den Poncho. So ging es mehrer Tage lang, und jedes Mal, wenn wir mit Frau Riefenstahl – eigentlich nicht mit ihr, sondern nur gleichzeitig neben ihr, denn Kommunikation fand nicht statt - tauchen gingen, war diese seltsame, sich an einen Plastik-Kanister klammernde Erscheinung mindestens so interessant wie die Muränen und Rochen und Riffhaie und Barracudas. Ich grübelte Jahre nach diesem Urlaub mal, es sei schon sehr komisch, dass die Korallenbleiche auf den Malediven kurz nach Riefenstahls Dreharbeiten dort einsetzte; aber in keinem biologischen Werk habe ich Hinweise auf die Fähigkeit von Korallen, beim Anblick einer alten Nazifrau zu erbleichen, gefunden.
Niemand von den Gästen auf der Insel hat, außer ein paar Bemerkungen, die man halt am Buffet so macht, je mit ihr gesprochen. Horst wich kaum von ihrer Seite.
Gleichwohl war sie sich bewusst, dass jeder sie erkannt hatte, und ich habe mir einmal kurz überlegt, ob ich sie ansprechen und um ein Interview bitten sollte. Ich entschied allerdings, auf Urlaub zu sein und ließ es bleiben. Außerdem hätte sie, wenn überhaupt, wohl nur über Fische sprechen wollen, während ich darauf bestanden hätte, ihre Verstrickungen zu erörtern.
Die alte Dame versuchte, sich am Abend immer ziemlich jugendlich zu geben. Sie saß zwei Tische neben uns, unterhielt sich angeregt mit Horst, und auch wenn wir kein Wort verstanden, so war doch an der Körpersprache deutlich zu erkennen: Hier sitzt nicht bloß ein altersmäßig ungleiches Paar, sondern hier gibt es eine Chefin und ihren Adjutanten. Auf dem Weg zu dem mit Fischen beladenen Buffet tänzelte sie immer so komisch, und über die kleine Stufe, die sich auf dem Weg dorthin befand, hüpfte sie immer genau so wie die Sekretärin in einem Jacques-Tati-Film, dessen Titel mir entfallen ist: Hops, seht her, bin ich nicht kess?
Dann fuhr sie wieder ab. Niemand hat es registriert. Eines Morgens war sie einfach nicht mehr da. Sie ist uns nicht abgegangen, aber ich muß sagen, ich war schon einigermaßen verblüfft über diese Begebenheit. Hätte ich mir in meinen kühnsten Alpträumen vorstellen können, einen Urlaub mit Leni Riefenstahl zu verbringen?
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