An “Herrn Bozzi” erinnert sich wahrscheinlich niemand mehr. Das war ein boesartiger Mann, der zur Strafe in einen Hund verwandelt wurde. Herrn Bozzi fand ich als Kind Klasse. Dass sich damit ein Dauerwohlwollen fuer Bozzis Filmdarsteller Peter Ustinov in mir eingegraben hatte, war mir nicht bewusst. Eigentlich mochte ich ihn weder als Hercule Poirot noch als Nero noch sonstwo sonderlich. Eigentlich hatte ich ihn voellig vergessen.
Dann kam dieser Abend, an dem ich mit einem eher langweiligen Anwalt in's Café Prinzipal in Muenchen musste. Sky Dumont hockte in blauem Goldknopfblazer mit einer langbeinigen Bruenetten am einen Nachbartisch, weiter hinten sah man einen der Wepper-Brueder mit Blondine, im Raum verteilt noch etliche andere TV-Gesichter, und fuer die Tageszeit (gegen 22:00 Uhr) erstaunlich viele aeltere Damen zwischen 58 und undefinierbar.
Dass im Raum ein wenig gespannte Aufregung herrschte, war wohl zu merken; auffaellig auch die bei vollem Lokal gesperrte Empore, auf der eine zusammengestellte Tischreihe fuer etwa 30 Personen eingedeckt war. Nach abgeschlossener Sondierung der Umgebung dachte ich nicht weiter darueber nach, was sicher auch damit zu tun hatte, dass ich mich konzentrieren musste. Naemlich darauf, meine Einsaetze fuer hoefliches “Tatsaechlich?”, oder “nein, dass das so komplex ist…” in den Kunstpausen des monologisierenden Anwalts nicht zu verpassen.
Der Mann schwadroniert gerade ueber Urhebeberrecht bei Web-Content, als die grossen Fluegeltueren, die das Café Prinzipal mit dem Prinzregenten Theater verbinden, mit Schwung aufgerissen werden. Dann kommt einen Moment lang nichts, und dann August Everding. Der fuehrt mit grosser Geste am Arm einen alten Herrn herein, der freundlich, aber etwas gequaelt grinst. Hinter den beiden etwa 20 stolzgeschwellt drein schauende Menschen gehobeneren Alters, sowie eine sehr aparte, hochgewachsene dunkelhaarige Frau, ca. Mitte 30, die ebenfalls etwas angespannt laechelt.
Die Gruppe ist ein wenig befremdlich und erheiternd, doch statt eines lockeren, kuehlen Spruchs entringt sich mir ein andaechtiges “Schau an der Ustinov. Der lebt ja noch, ist das nicht schoen”. Und zu allem Ueberfluss draengt irgendwas in mir, aufzustehen. Dem Schutzheiligen selbstauflegter Zurueckhaltung sei Dank, bricht nun aber gigantischer Applaus aus. Hie und da sind kleine Juchzer zu hoeren.
Horden von aelteren Damen erheben sich wie aufgezogen, trippeln, rennen, humpeln auf den Ustinov zu. Der weicht einen kleinen Schritt zurueck, waehrend Everding die Arme ausbreitet. In die will allerdings keiner, was Everding erst nach etwa einer Minute bemerkt. Ganz leicht angesaeuert geht er mit dem groesseren Teil der Gruppe schon mal auf die Empore. Man setzt sich. Der Ehrenplatz, zwischen Everding und der aparten Mittdreissigerin, bleibt frei.
Unterdessen beschnattern, beflirten und betatschen die aelteren Damen Ustinov in einer Art und Weise, die keine Zweifel offenlaesst. Hier ist Lust im Spiel. Er plaudert, laechelt, neigt hier den Kopf mal tiefer, blinzelt dort mal ein bisschen mehr. Alles sehr routiniert und charmant. Irgendwann reicht ihm das Nettgetue offenbar. Er geht, freundlich nach allen Seiten mit dem Kopf nickend , leicht schleppenden Schritts am Arm eines Begleiters auf die Empore.
Dort angekommen macht er beim etwas muehsehligen Hinsetzen offenbar einen halblauten Witz ueber die aeltichen Ladies. Das muss so sein, denn beim dem dem, was Ustinov in ihr Ohr raunt, bekommt die schicke Bruenette die Sorte Kicheranfall, der nur durch kleine Boesartigkeiten von Menschen ausgeloest werden kann, mit denen man intimeren Umgang hat.
Diskrete Beobachtung der weiteren Geschehnisse auf der Empore waren technisch dann leider nicht moeglich. Von meinem Platz aus jedenfalls nicht. Dafuer konnte ich dutzendweise Ustinov- Verehrerinnen sehen. Die haette er alle haben koennen, auf die eine oder andere Art. Wollte er aber nicht, und so spiegelte sich in den Gesichern der aelteren Frauen die gesamte Gefuehlspalette zwischen Sehnsucht, Verehrung und eifersuechtigem Hass.
Irgendwann hatte sich der Anwalt dann ausgeschwallert, der Merlot war alle, und den Abend zu verlaengern, waere dumm gewesen. Beim Herausgehen blickte ich noch mal zur Empore. Da kicherten Ustinov und die Bruenette, wie zwei, die sich lieben. Koennte natuerlich auch seine Nichte gewesen sein.
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