Gestern Abend, 6. Februar, in einem großen knallvollen Saal, alle Ohren spitzen sich auf den spitzen Mund von Michel Houellebecq, der sich plötzlich unterbricht, er fällt voll konsterniert aus der Rolle und - -
- ich weiß, diese Paparazzogeschichte erfüllt kein reguläres Statut, weil es keine zufällige Begegnung war usw, die Handlung spielt während einer öffentlichen Lesung und die eherne lex papporum - aber egal. Houellebecqs Erstaunen ist ein zu schönes und der Leser sollte seinem formalistischen kleinen Mann im Ohr jetzt abwinken.
Also. Die Handlung beginnt schon früher, ich muss etwas ausholen. Darf ja jetzt. Im lauten Menschenlärm saß ich auf einem drückenden Klappstuhl in der ersten Reihe und zwei Sitze weiter thronte ein gepflegter Mann, blaubehemdet, ein bisschen aufgequollen doch höflich. Ich mochte ihn nicht so, denn er saß mir im Weg, weit hinter ihm lag der Saaleingang mit seinem Menschengequell und ich hielt dort Ausschau nach Bettinescu Bucuresti, der Papparazza, las Houellebecqs Gedichte, roch am Parfum des gepflegten Mannes und hielt wieder Ausschau. Da leuchtete die Ausgeschaute im Eingang, alles war gut. Der Mann war übrigens Joachim Lottmann, ich erkannte später sein teutonisches Profil.
Michel Houellebecq nahte dem Podium, bescheiden und langsam, im Saal verstummte der Lärm. Er las vor, leise und mit sich spitzendem Mund, zwischendurch rauchte er so wie ich es noch nie gesehen habe - er hielt die Zigarette zwischen Mittel- und Ringfinger seiner gaaanz minimalistisch bewegten Rechten, diese neben seinem Ohr, den Ellbogen aufgestützt, und er zog am Stengel indem er seinen rechten Mundwinkel lefzenartig nach oben schob und das Mundstück an den Eckzahn dranhielt. Einfach, aber bizarr. Dann wurde wieder vorgelesen und es war die Rede von - öh - von einer hart behaarten Möse, die sich im Seifenschaum an der Wade des Romanhelden reibt, der auch Michel heißt. Auch saß dieser Michel im Flugzeug Richtung Thailand, ärgerte sich langzeitig über alles und zum Schluss, als man über Afghanistan flog, rief er in Gedanken runter "gute Nacht ihr Talibane!"
Eine Minute später rissen die Worte aus Houellebecqs Mund plötzlich ab. Im Hochschauen war ihm etwas passiert, er machte noch eine Handbewegung, starrte dann einfach, schließlich krümmte er sich und kicherte los. Verhalten ratlose Heiterkeit im Saal. Houellebecq sagte schließlich ins Mikrophon "Ah voyez-vous, j'ai simplement vu quelquechose de bizarre, pardonnez-moi..." (ah wissen Sie, ich hab gerade einfach was Komisches gesehen, Verzeihung) und keckerte in sich hinein. Er starrte: Auf die Frau neben mir! Auf Bettinescu Bucuresti! Kann ich verstehen. Aber was focht den großen Autor an? Er kicherte "...born in Kabul..." und das war des Rätsels Lösung. Auf Frau Bucuresti stand nämlich groß der Schriftzug 'born in Kabul'. (Hatte ich gar nicht richtig gesehen, weil ich Damen nicht mitten aufs Hemd zu starren pflege.) Herr Houellebecq freute sich. Ein menschlicher Zug von ihm!
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