Ich bin neu. Kennt jemand noch Rainer Barzel ?
I. Erinnerung
Nach heutiger Schätzung war ich fünf Jahre alt und hatte noch diesen mächtigen, ja übermächtigen Begriff von Prominenz, diese unentwirrbare Verstrickung von Scham, Neugier und Aufblicken, die einem wie ein schwerer Pony in den gesenkten Blick hängt. Wie der Pferdeschwanz einer sich im letzten Moment abwendenden Jugendliebe vielleicht, wenn man ein Junge war. Auch Schüchternheit, aber noch nicht notwendigerweise die Höflichkeit des Paparazzi.
( An welchem Strang bimmele man für die Abteilung Grundlagenforschung ? )
Noch wichtiger für mich war vielleicht damals mein Begriff von Benz. Das klingt ganz ähnlich wie Prominenz, und ich bitte sogleich im Namen der Wörter um Nachsicht, aber... wie spielerisch sollten eben genau hier beide Begriffe sich finden: auf einer Bundesautobahn und ohne Vorwarnung.
Da. Aus dem Auto meiner Eltern sehe ich, auf der rechten Fahrbahn einen luxuriösen, panzerdicken schwarzen Mercedes vorbeigleiten. Unmöglich, die relative Richtung eindeutig zu erinnern: entweder überholt er uns rechts, damals auf den Autobahnen nicht allgemein üblich, oder wir ihn links - was durchaus besser der Tendenz dieser Begegnung entsprechen würde, aber andererseits auch zu stimmig erscheint um wahr zu sein.
Sobald das schwarze Auto dezent seine Prominenz vorgeschoben hat, zündet die Erkenntnis, nein das tatsächliche Erkennen des bedeutenden Insassen bei meinem Vater eine heftige Explosion spaßhaften, seiner eigenen Meinung nach möglicherweise anarcho-clownesken Verhaltens. Oder ist es ganz unpolitisch nur eine weitere Reaktion in einer Reaktionskette der guten Laune? Ist er der Beifahrer meiner Mutter, vielleicht weil er von einer Vorabendveranstaltung 'noch Alkohol im Blut' hat, oder wird er gar durch eine Hanswurstiade am Steuer, sich selbst ablenkend auch das Leben seiner ganz ungepanzert mitfahrenden kleinen Familie aufs Spiel setzen? Wir wissen es nicht, sind aber noch am Leben.
Doch will ich nicht vorgreifen, ich sitze gebannt auf der Rückbank und beginne die Situation zu verstehen. Interessanterweise sehe ich die spezifische Art, die gestische und mimische Qualität seiner Albernheiten nicht mehr vor mir, wohl mangels prinzipieller Verschiedenheit von ähnlichen Gelegenheiten. Oder mangels besonderer Originalität: lange Ohren Machen, Zunge Ausstrecken, Simulation von Erbrechen, nackten Po Zeigen könnte es gewesen sein oder bloßes Winken - aber darum geht es heute nicht. Denn genau diese damalige Gelegenheit ist durch das Hereinspielen des Phänomens Prominenz so verschieden von allen anderen, daß ihre Wirkung mir unvergessen bleiben sollte und soll. Bleibt. Ist.
Wer? Wie? Was also? - Die Frage nach Rainer Barzel steht im Raum und obenan. Rainer Barzel, der Oppositionsführer, der mißtrauische Chef der Christenunion, sitzt in diesem schwarzen Benz (und sitzt dort für mich noch heute). Meine Eltern vergewissern sich gegenseitig, ein wenig fiebrig von der sich abzeichnenden Historizität der Begegnung, und mir braucht nichts mehr erklärt zu werden. (Ich hatte, seit Jahren geschult, die Limousine - damals noch nicht salopp wie das Getränk Limo gerufen - als 600er identifiziert. Oder, strenggenommen, wenigstens als 450 SEL 6.9 .)
Die Scham meines Lebens schlechthin hatte Besitz von mir ergriffen und sie lastete auf mir früh gereifter Tochter, als ob ich Alles damals schon gewußt hätte. Ich war so tief in die Sitze des dunkelgrünen Peugeot 404 gesunken wie irgend möglich, und das ist bei diesem kaum noch, wenn man so will, blanker wichsbaren Kunstleder nicht besonders tief. Es stieß mich ab, es exhibierte mich förmlich, und ich war mir sicher: der Blick eines Prominenten durchbohrte, penetrierte meinen Vater! Uns, mich! Wir waren natürlich unrettbar verloren, würden durch direkten Zusammenprall mit einer Autorität auf der Autobahn zerschellen.
Der inhärente Widerspruch, daß nämlich Herr Barzel an sich für mich kaum furchterregende Wirkung haben k o n n t e , da zu Hause selbst auf der Toilette 'Willy wählen!' plakatiert war und Willy 'Kanzler' Brandt mir höchste, gleichsam überväterliche Instanz war, machte sich nicht entspannend bemerkbar, und meine kleinen Hände krampften sich in die Säume des vor Schreck etwas hochgeschwitzten Kleidchens.
Da - war der Spuk vorbei.
II. Rochade
Es ist noch nicht zu spät, hatte Barzel damals ein Buch genannt. Auch heute noch gilt das allgemein, und es kann sich u.U. bezahlt machen. Jedenfalls fragte ich schließlich, nach tagelangem grüblerischem Feilen an meinem Debüt zur Sicherheit meine Mutter, die damals dabei gewesen war am Wiesbadener Kreuz. 'Am Wiesbadener Kreuz war das' weiß sie ganz sicher. Und: 'Nein: es war Kohl.'
( Eine eigene Pointe habe ich nicht. Es ist aber wohl trotzdem O.K. für den Anfang. -
Ich hoffe, Herr Barzel ist nicht hier - alte Wunden aufreißen zu wollen liegt mir fern.
Dabei war er damals für mich wirklich prominent, er hatte in meinen Augen
größere Prominenz
wie
der
Pfälzer im Benz. -
Rainer Barzel arbeitet heute nur noch sporadisch bei Phoenix TV. )
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Fanny
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