Die Geschichte, die sich hier zugetragen hat, ist eigentlich eine Geschichte des Scheiterns. Obwohl ich durchaus Verständnis für die Ursachen ultrafeministischer Ansichten habe, bewahrte mich der Rat der Galionsfigur dieser Bewegung nicht vor einer äusserst unangenehmen Ehescheidung.
Weiberfastnacht in Köln am Rhein ist ein besonderes Spektakel, besonders wenn man sich mit einer Gruppe spanischer und ausschliesslich männlicher Mitstudenten dazu entschliesst, sich freiwillig dieser Meute kölschseeliger Frauen auszuliefern. Die feuchtfröhliche Zugfahrt in einem relativ kalten und dreckigen Regionalzug von der ehemaligen Bundeshauptstadt in die Domstadt war bereits ein Erlebnis für sich. Angetrunkene und zu allem bereite Frauen waren vor allem für meine spanischen Freunde Ismael, Antonio und Carlos von ungeheurem Reiz. Dick aufgetragene Karnevalsschminke und putzige Kätzchenkostüme eröffneten auch der reiz- und beziehungslosesten Bankangestellten Chancen auf feuchtfrivole Abwechslung. Wir waren natürlich vollkommen unkostümiert - schliesslich hatten wir auch nichts zu verbergen. Allein ein kleines Hütchen an einem Gummiband diente der Kenntlichmachung als williges Opfer auf der Schlachtplatte wild weiblicher Amüsierwut.
Köln selbst war vom Hauptbahnhof an ein Irrenhaus. Für diejenigen, die rheinische Frohnaturen nie live erlebt haben, muss die übersteigerte Form dieser Spezies - weibliche rheinische Frohnatur - so fernab jeglicher Vorstellungskraft sein, wie es E.T. einst der Mutter von Elliot war. An jeder Ecke gab es Kölsch - eine helle Biersorte mit etwas weniger Stammwürze, aber, um den gängigen Irrtum auszuräumen, mit ähnlich hohem Alkoholgehalt wie Pils. Wir waren wirklich in Gottes Land angekommen. So ungefähr müssen sich Moslems den Himmel voller Jungfrauen vorstellen - vielleicht mit etwas weniger Alkohol und etwas zarteren, jungfräulicheren Geschöpfen, dafür aber mit dem selben Frauen-Männer-Verhältnis um die zehntausend zu eins. Das hektoliterweise vertilgte Bier suchte sich natürlich seinen Weg durch den menschlichen Körper und Frauen haben in dieser Hinsicht einen entscheidenden Nachteil, noch dazu, wenn sie alberne Ganzkörper-Fellkostüme tragen, am besten noch mit puscheligem Schwanz.
Alter Markt war das Epizentrum des wüsten geschlechtsspezifischen Ausbruchs: Wild tanzende und schreiende Menschenmassen inmitten von Bierständen und laut dröhnender Musik. Es war herrlich! An der Wand zum Rathaus standen reihenweise Sattelschlepper und Übertragungswagen einiger Fernsehstationen, die versuchten, die Stimmung und das Lebensgefühl am Rhein in die Wohnzimmer der karnevalistisch arg strapazierten Gebührenzahler zu transportieren. Viel entscheidender war aber der schmale Gang zwischen Übertragungswagen und Rathauswand. Dort wurde nämlich von besonders verzweifelten Menschen beiderlei Geschlechts das überschüssige Kölsch entsorgt. So war es möglich, dass neben einem selbstverständlicherweise stehendem Mann eine Mietzekatze ihr Fellkostüm in Beckenhöhe mittels eines Reissverschlußes öffnete, sich hinhockte und der Natur freien Lauf liess. Das war ein Bild, welches sich für immer in mein Gedächtnis brannte, war es doch der natürlichste und sichtbarste Erfolg feministischen Kampfes.
Wen wundert es, dass mir kurz nach diesem Erlebnis eine Gruppe ringelreintanzender Frauen auffiel, deren eine einen (ich hoffe) künstlichen Leopardenmantel trug und die offenen Haare wild schüttelte. Sofort erkannte ich, um wen es sich handelte: Alice Schwarzer selbst fröhnte der Ausschweifung und dem Kölsch. Nichts hielt mich mehr, es war ein Drang von innen, meine Seele schien mich in ihre Arme zu treiben. Dann plötzlich stand ich hinter ihr: 'Frau Schwarzer?' Etwas erstaunt drehte sie sich um und lachte: 'Ja, junger Mann?'
Und dann musste ich ihr in fünf Sekunden meine Seele ausschütten und in meine Worte flossen ungesagt auch meine Erinnerungen am meine gestresste, arbeitende Mutter und meinen Pascha-Papa ein. Ich wollte soviel sagen, von der Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen und von mir und von Afrika und ich brachte es nur zu einem 'Danke, Frau Schwarzer! Sie sind Großartig!'
Dann küsste sie mich fett auf die Stelle zwischen Mund und Wange. Und sie sah meinen goldenen Ehering, nahm meine Hand und fragte: 'Du bist verheiratet?'
'Ja, ganz glücklich seit ein paar Monaten.'
'Dann sei mal immer schön nett zu deiner Frau', ermahnte sie mich freundlich bestimmt und mein 'Werde ich!' bekam sie schon nicht mehr mit. Alice Schwarzer sieht in Wahrheit wesentlich älter aus, als auf dem Bildschirm. Auch dieses Bild blieb in meinem Kopf.
Meine spanischen Freunde hatten völlig verständnislos mein Treiben beobachtet. 'Wer war das?' fragte Ismael. Ich versuchte es ihm zu erklären, aber eigentlich ist Weiberfastnacht nicht so recht die Zeit dafür. Versuche einem Macho-Spanier einmal inmitten gröhlender, saufender und hemmungslos baggernder Weibsbilder etwas von Feminismus und dem Recht der Frauen zu erzählen. Ich gab auf und wir liessen uns im Gewühl weiblicher Körper treiben, bis es Nacht wurde.
Nachtrag: Ich habe Alices Rat befolgt und war immer nett zu meiner Frau. Es hat nichts genützt. Im Laufe einer der vergeblichen Eheberatungen bescheinigte mir der Berater ein etwas übersteigertes Verständnisgefühl für Frauen. Schade, dass Alice nicht dabei war. Denn es kostete viel Kraft und Mühe irgendwann als Mann aufzustehen und zu sagen: 'Es reicht mir! Ich bin auch ein Mensch!'
(Beitrag wurde von Peter Bean am 01.11.2001 um 14:40 Uhr bearbeitet.)
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