Während meines Studiums der Germanistik und Anglistik organisierte das englische Seminar meiner Uni zweijährlich einen Ausflug nach Stratford-on-Avon, der Wirkstätte des ollen Billy Shakespeare. Man verbrachte eine Woche dort in einem privaten Bed&Breakfast, besuchte jeweils am Morgen Vorlesungen mit Regisseuren, Schauspielerinnen oder Komponisten, besuchte abends die Vorstellung eines Theaterstücks (manchmal auch mittags, denn man sah 7 Stücke in sechs Tagen) in einem der Theater des Städtchens und betrank sich regelmässig nach den Vorstellungen im 'Dirty Duck', immer in der (bis dahin vergeblichen) Hoffnung, mit einer der jungen Schauspielerinnen (oder Schauspieler, im Falle meiner weiblichen Kommilitoninnen) ins Gespräch zu kommen, weil die nach den Vorstellungen auch immer dort hinpilgerten und sich betranken.
Ich teilte mein B&B Zimmer durch Los-Entscheid mit F.B., einem etwas bleichen, wortkargen aber hochintelligenten Italo-Schweizer, dabei hätte ich doch viel lieber, wie auf der Anmeldung frech angegeben, mit F.G. ein Zimmer bezogen, meinem unerreichbaren Schwarm vom Gymnasium quer über alle Klassengrenzen, etliche Jahre zuvor. Sie studierte nun auch Anglistik und das wäre in meinen Augen DIE Gelegenheit gewesen, Verpasstes nachzuholen. Aber weder das Organisationsteam der Reise, noch die Landlady war davon zu überzeugen, mich mein Zimmer mit einer Frau teilen zu lassen. Naja, sei's drum, tut eh nichts zur Sache.
Wir sassen also beim english breakfast und hörten schockiert zu, als am Fernseher verkündet wurde, man habe Yitzhak Rabin erschossen, was natürlich zu hitzigen Diskussionen unter den Kommilitonen und Kommilitoninnen führte. Alles Diskutieren half aber nichts, wir mussten los, zur morgendlichen Vorlesung. Wissen war stärker als Macht, gewissermassen.
Beim Theater angekommen, staunten wir allerdings nicht schlecht. Die Strasse war über Nacht mit Blumen geschmückt worden, alle Fenster der Geschäfte, welche die Strassse säumten, waren spiegelblank und die Strasse selber war mit Barrieren abgesperrt Bei einem dekorativ herausgeputzten Bobby erkundigten wir uns, was denn hier plötzlich los sei. Etwas unwirsch wurden wir mit der Auskunft 'royal visit' abgespiesen. Da unser Professor auch in der Menge auszumachen war, gesellten wir uns dazu und warteten. Plötzlich kam sie dann angefahren, die prototypische Staatskarosse; ein schwarzer Rolls Royce mit den Wimpeln des Königshauses. Man fuhr langsam, majestätisch die Strasse hoch und hielt dort, wo wir uns aufhielten, in der Nähe der Vorlesungsräumlichkeiten. Die Tür wurde geöffnet und heraus trat Prince Charles im eleganten dunkelblauen Anzug.
Sofort waren wir in ein Meer von Union Jack Wimpeln gehüllt, welche von begeisterten Hausfrauen euphorisch geschwenkt wurden. Der Prinz war sich seines PR Effektes natürlich vollkommen bewusst, und schritt auf die Menge zu. Der Absperrung entlang schüttelte er Hände, berührte Kleinkinder und führte Small Talk. Als er endlich auf unserer Höhe war, war sein Lächeln schon etwas eingefroren. Meine Nachbarin A.D. (übrigens die Schwester einer unserer 'Wort zum Sonntag'-Fernsehpredigerinnen) streckte ihm erfreut ihre Hand entgegen, welche der Prinz charmant ergriff und sanft schüttelte. Als er dann erfuhr, dass wir eine Gruppe Anglistikstudierender aus der Schweiz seien, hielt er inne, die security Männer kamen leicht ins Schwitzen, liessen sich aber nix anmerken, und wir diskutierten ein Weilchen zusammen über englische Literatur im Allgemeinen und den alten Shakespeare im Speziellen, denn eine seiner (des Prinzen, nicht Shakespeares) offiziellen Funktionen war offenbar 'Patron der Shakespeare-Bibliothek zu Stratford-on-Avon'. Wir bemühten uns natürlich, mit unseren hervorragenden Kenntnissen der englischen Literatur zu glänzen, und so hagelte es nur so auf ihn herab·'Metatextualität', 'Hermeneutik', 'gender studies' und was uns sonst noch alles einfiel. Der Prinz war um keine Antwort verlegen und stellte sich als profunder Kenner des Jargons und der Inhalte heraus. Alles in allem ein erfrischendes open-air Kurz-Seminar mit einem Blaublüter.
Abends betranken wir uns dann wieder im 'Dirty Duck', und dank dem Erlebnis mit Prince Charles kamen wir nun endlich sogar mit den schönen Schauspielerinnen ins Gespräch.
Danke Euch, ewiger Prinz!
(Beitrag wurde von vinzi am 23.10.2001 um 11:19 Uhr bearbeitet.)
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