Brian Eno besucht mich
Die Mojka in St.Petersburg ist ein Fluß, der von Touristen immer wieder für einen Kanal gehalten wird. Wenn man eine Bierflasche reinwirft, bewegt sie sich kaum. Seit fast zweihundert Jahren verhindern Befestigungen aus Granit jede Veränderung des Laufs. Hin und wieder fällt ein Auto hinein. Wenn man auf meinem Balkon an der Mojka einmal saß, bewegte man sich ebenfalls kaum. Man konnte auf diesem Balkon im Juni einfach sitzen bleiben, zumal es ja nicht dunkel wurde. Eigentlich saß ich mit Freunden meistens dort. Einige von ihnen behaupteten, dass es der schönste Ort in der Stadt war. Der Balkon war sieben Meter lang und die Abendsonne beleuchtete ihn und die Fassade des Hauses in den Weißen Nächten mit ihrem magischen Licht. Man sah die goldene Kuppel der Isaaks-Kathedrale, zwei Kanäle, drei Brücken, Bäume und unzählige Paläste. Darüber der Petersburger Himmel. Für ein paar Stunden täglich war die Sonne nicht zu sehen, aber dunkel war es nicht. Alle naselang kam ein Boot mit Touristen und immer wieder machten sich von der Straße aus Freunde bemerkbar, die kurze Zeit später klingelten. Wenn man einmal da saß, wollte man nicht mehr weg. Wir tranken Bier. Die Zeit hätte stehen bleiben können.
Im Januar 1997 war ein Bekannter gestorben, der als Elektronikmusiker in St.Petersburg einen gewissen Ruf genoss. Im Gefängnis hatte er sich mit irgendetwas Teuflischem infiziert, todkrank hatte man ihn entlassen. Kaum einer ahnte, dass er auf seinem lustigen Fahrrad seine letzten Runden durch die Stadt drehte. Ein paar Gramm Marihuana hatten ihn hinter Gitter gebracht.
Zur Beerdigung kam auch eine Frau aus London, die mir als Anthea vorgestellt wurde. Sie weinte viel und machte sich Vorwürfe, ihren früheren Geliebten (als solcher galt er, vielleicht ein Gerücht) nicht gerettet zu haben. Ein bisschen Geld hätte vielleicht gereicht. Jetzt war es zu spät. Nachdem die Freunde den Toten gestreichelt und ihm ein paar Souvenire auf die Brust gelegt hatten, verschwand der geöffnete Sarg stotternd in der Tiefe des Leichenaufzugs des Krematorium Piskarjowka.
Ein paar Monate später hörte ich, dass Anthea mit Ihrem Mann und Ihren beiden Kindern für sechs Monate nach St.Petersburg übergesiedelt war. Der Mann war Brian Eno. Sie hatten eine große Wohnung von einem Engländer gemietet, von dem es hieß, dass er nun in Baku im Erdölgeschäft war. Die Wohnung befand sich auch an der Mojka, achtzehn Häuser von meiner Wohnung entfernt. Das ist bei St.Petersburger Mojka-Ufer-Häusern etwa ein Kilometer.
Die Gerüchteküche brodelte. Es hieß, Brian Eno wolle örtliche Musiker produzieren, er bereite eine Ausstellung im Russischen Museum vor, er sei nun für lange Zeit in der Stadt. Der kulturellen Boheme schwoll die Brust. Seht, selbst solche Größen des Musik-Business kommen in unsere herrliche Stadt, um hier zu leben! Ein befreundetes Paar, beide Künstler, hatte bereits ein Bild an ihn verkauft. Alle fühlten sich geehrt. Es ging voran mit Rußland. Tatsächlich wollte Brian Eno nur ein Sabbatical einlegen. Aber immerhin bei uns.
Da in meiner Wohnung an der Mojka drei Zimmer leer standen, gründete ich während dieser Zeit die Galerie Karl Anderson, benannt nach dem alten Schweden, der das Haus vor 170 Jahren für den Baron Fittinghoff projektiert hatte. Zur ersten Ausstellung schickte ich auch ein Fax in die Wohnung von Eno. Die Nummer kannte ich, weil eine Bekannte einmal auf die Wohnung aufgepasst hatte. Vielleicht kauft er ja noch ein Bild, so dachte ich mir. Und allzu weit hätte er es ja nicht. Wir besorgten guten moldawischen Wein und machten belegte Brote. Ich fegte zur Verwunderung meiner Nachbarn (Diese Deutschen!) die Haustreppe. Auch das schwedische Konsulat Karl Anderson! erhielt eine Einladung. Auf den Balkon setzte ich einen Fagottspieler.
Es kamen viele Leute, unter anderem viele Künstler, die Snacks und Drinks schnell verschwinden ließen. Sogar einige Bilder wurden verkauft, vornehmlich an Ausländer. Als der Besucherstrom bereits abebbte, klingelte es und Brian Eno kam herein, hinter ihm Ehefrau Anthea und zwei artig angezogene Mädchen, die sich sofort mit einer kleinen Katze beschäftigten, die mir zugelaufen war. Nach einer kurzen Begrüßung, erklärte ich ihnen, wie sie in meinen Einladungsverteiler geraten waren und lotste sie in die Ausstellungsräume. Aber die Kunst fand wenig nur Aufmerksamkeit, mein Balkon zog alle magnetisch an und so standen wir bald dort und die Engländer hielten sich an der Brüstung fest. Das Paar war sichtlich ergriffen vom schönen Blick. Sie lenkten die Unterhaltung auf die Frage des Immobilienerwerbs und ich verstand, dass sie auf der Suche nach einer Wohnung waren und die Wohnungen im Hause Fittinghoff waren erschwinglich. Nach einigem Schauen und Komplimenten verabschiedeten sie sich wieder von mir, die artigen Mädchen streichelten nochmal die Katze und alle verließen das Haus wieder. Der Besuch hatte keine zehn Minuten gedauert.
Etwa zwei Monate später hörte ich durch Freunde, dass Anthea (oder Eno?) eine Wohnung in der gleichen Etage gekauft hatte, einen Balkon weiter, an einem anderen Aufgang. Angeblich sollte dort ein großes Musikstudio entstehen. Ob was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Ich sah Brian Eno noch zwei weitere Male zufällig und in Begleitung von Bryan Ferry, der sehr alt aussah. Im November 1997 hatte Brian Eno tatsächlich eine Ausstellung im Russischen Museum. Kurz darauf verließ die Familie St.Petersburg.
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