Am 27. Oktober 1999 sah ich den Dalai Lama vor dem Museum für zeitgenössische Kunst in Rom. Und das kam so:
Ich war am Morgen dieses wunderschönen Herbsttages nach Rom gekommen und hatte vor einer geschäftlichen Besprechung noch einige freie Stunden zur Verfügung. Daher verabredete ich mich mit meinen Freunden Massimo und Rosaria zum Mittagessen, sie schlugen das 'Caffé delle Arti' vor. Dort traf ich das muntere Paar dann auch, sie hatten bereits einen Tisch auf der eleganten Travertinterasse des Restaurants ergattert. Es ist zauberhaft dort und ich fragte mich, wieso es mich immer mit Zufriedenheit erfüllt, an einem Ort zu sein, an dem ausser mir keine Touristen zu sehen sind. Wie jedesmal wenn ich in Italien bin, lernte ich ein neues Wort aus der Speisekarte, diesmal war es 'Totani' = Tintenfische. Bald darauf assen wir welche. Wie beiläufig erwähnte dabei Rosaria, dass heute der Dalai Lama das Museum besuchen käme, was mich sofort in grosse Aufregung versetzte, denn wenn mir auch die meisten Promis am Arsch vorbei gehen, so finde ich doch, dass der Dalai Lama etwas besonderes ist. Schliesslich ist er nicht nur berühmt sondern auch noch wahnsinnig nett, glaube ich, und ausserdem natürlich heilig.
Nun gab es zwar am Eingang der Terasse, wo auch die Treppe zum Tor des Museums beginnt, ein gewisses hin und her, aber von einem Menschenauflauf einerseits und vom Dalai Lama andererseits keine Spur. Max und Rosaria wollten deshalb schon aufbrechen aber ich widersetzte mich und sagte, dass man den Dalai Lama nun wirklich nicht jeden Tag zu sehen bekäme und jetzt werde gewartet bis er verdammt noch mal aufkreuzt. Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen bestellte ich noch eine Flasche des köstlichen Friauler Chardonnays, der sich "Ronco del Gnemiz"nennt (und wenn ich Winzer wäre, würde ich meinen Wein auch gerne "Ronco del Gnemiz" nennen). Die Zeit verging, und wir mussten zahlen, aber ich bestand weiterhin darauf abzuwarten, und so lungerten wir auf der Museumstreppe herum und rauchten. Tatsächlich war mittlerweile ein Fernsehteam eingetroffen und auch sonst herrschte ein reges kommen und gehen, aber alles nach wie vor in grösster Selbstverständlichkeit und ohne jede Hektik. Ein Auto fuhr vor, aus dem ein schöner, grosser, alter Mann in Cordhosen und Tweedveston stieg. "Das ist Bertolucci" raunte Rosaria mir zu, und ich dachte bei mir "erkannt hättest du den nie, aber wenn der Dalai Lama nicht kommt, dann haste wenigstens den Bertolucci gesehen..." Dann kam er aber doch, der Dalai Lama: In einam Lancia der italienischen Regierung und in Begleitung des Vizepremierministers, wie Massimo mir erklärte. Ein Glück, dass damals die Centrosinistra an der Regierung war, denn in Begleitung eines Berlusconiadlaten hätte ich den Dalai Lama nicht sehen wollen. Er sah genauso aus wie er halt aussieht, der Dalai Lama. Die Dürrenmattbrille, das gelbrote Gewand, alles da. Ich freute mich, dass es so warm war, denn wie alle einfallslosen Menschen frage ich mich immer, ob er denn im Winter nicht an seinen nackten Arm friert. Er ging keine zwei Meter entfernt an mir vorbei, schaute mich aber leider nicht an - vielleicht hätte er mich wegen meiner Glatze ja für einen Glaubensbruder gehalten? Nach einigen Minuten war dann der ganze Tross in Richtung Museum verschwunden, ich küsste Max und Rosaria und ging. Schliesslich hatte ich ja jetzt den Dalai Lama gesehen. Das kann mir auch niemand mehr wegnehmen, wie man so sagt.
Epilog. Rosaria erzählt.
Du weisst ja, wie nah der Dalai Lama an uns vorbeiging und dass überhaupt kein Sicherheitsbrimborium veranstaltet wurde. Kaum warst Du weg, entschlossen Massimo und ich deshalb, uns dem Tross anzuschliessen. Während des Museumsrundgangs beobachtete ich dauernd diesen unglaublich liebenswerten und charismatischen Menschen und verspürte auf einmal das unkontrollierbare Bedürfnis, ihn anzufassen, kennst Du das Gefühl? _'Kenne ich', sagt virchow, 'ist aber ne andere Geschichte, erzähl weiter!' also begab ich mich in seine unmittelbare Nähe und berührte ihn kurz, wie zufällig. Das fand ich ausserordentlich und erstaulich angenehem. Ich zog mich wieder zurück, zufrieden, den Dalai Lama berührt zu haben. Schliesslich war der Rundgang dann doch zuende und dem Dalai wurde eine Sitzgelegenheit angeboten, während der Rest der Anwesenden herumstand. Neben ihm war ein freier Stuhl aber beim Betrachten der Leute, bemerkte er mich und meine offenbar auffällige Müdigkeit und lud mich mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. So sass ich also neben dem Dalai Lama, der sogar mit mir sprach - leider verstand ich kein Wort, kann nämlich kein Englisch - und die Leute fragten sich wahrscheinlich, wer denn wohl die Dame sei, die da neben dem Dalai Lama sitzt. Dann war aber bald allgemeiner Aufbruch, nur ich war noch Stunden wie benebelt vor Begeisterung über meine Begegnung mit dem Dalai Lama.
Massimo erzählt:
Eine Woche später waren wir mit Dino Zoff mittagessen, und Rosaria erzählte ihm die ganze Geschichte. Am Schluss betonte sie, dass sie das alles nur ihrem Freund Christoph aus der Schweiz zu verdanken habe, denn der habe hartnäckig darauf bestanden, auf den Dalai Lama zu warten. Sich wohl absichtlich etwas schwerhörig stellend murmelte Zoff: "C'era Cristo e il Dalai Lama? Ma dove eravate?!"
(Beitrag wurde von virchow am 21.09.2001 um 20:29 Uhr bearbeitet.)
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