Ich war eine Woche lang selbst prominent, weil ich am 24.11. mit dem Flugzeug auf dem Weg von Berlin nach Zürich abgestürzt bin. Ich war einer der neun Überlebenden, 24 Menschen starben.
(Wer es verpasst hat: 24 Tote bei Flugzeugabsturz in Bassersdorf und
«Du stehst da praktisch nackt im Wald» )
Wir waren in der Schweizer Tagesschau, im "Blick" (Schweizer "BILD"-Gegenstück), in der BILD höchstselbst, im Fernsehen bei RTL, SAT.1, SternTV etc. Seit dem Wochenende, genau eine Woche nach dem Absturz, ist die Prominenz so plötzlich wieder vorbei, wie sie gekommen ist. Zum Glück.
Ein Schweizer Nachrichtenmagazin bat mich, die Geschichte des Absturzes selbst aufzuschreiben, mit etwa 3500 Zeichen. Ich fand, das sei eine gute Idee (nachdem vorher alle Zeitungen ausser der oben verlinkten NZZ irgendeinen Quatsch dazuerfunden hatten), schrieb aber spontan 25'000 Zeichen. Dem Magazin lieferte ich die 3500, was ich mit dem Rest mache, weiss ich noch nicht.
Kathrin Passig, permanent prominente Teilnehmende dieses Forums, schlug vor, als ich ihr die Geschichte erzählt hatte, hier einen Beitrag namens "Last night a passion fruit saved my life" zu schreiben. Ich weiss nicht, ob das ganze nicht etwas zu heavy für dieses fröhliche Forum ist. Aber praktischerweise kann ich für den Teil der Geschichte gleich einen Ausschnitt aus meinem Text nehmen.
Da es auch sein könnte, dass ich mal ein Buch über die letzte Woche schreibe, ist alles ab hier (c) by Peter Hogenkamp und bitte nicht kopieren oder wiederverwenden oder in elektronischen Medien oder sonstwo ihr wisst schon was damit machen.
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"Hallo, wir sind gerade mit dem Flugzeug abgestürzt..."
Der Deutsche Peter Hogenkamp (33) war zusammen mit seiner Freundin Jacqueline Badran an Bord der Unglücksmaschine und wurde nur leicht verletzt. Seine Erinnerungen an die Unfallnacht hat er selbst aufgeschrieben.
Flughafen
So früh war ich noch nie in meinem Leben am Flughafen. Wir (meine Lebens- und Geschäftspartnerin Jacqueline Badran und ich) haben den Mietwagen um 19 Uhr in Berlin-Tegel abgegeben, um nicht einen weiteren Tag verrechnet zu bekommen, und der Flug geht erst um 20.40 Uhr. Wir essen in aller Ruhe eine Currywurst. Die Sicherheitskontrollen fallen uns als extrem streng auf. Ich muss nach der Durchleuchtung meinen Schlüsselbund, den Laptop, die Laptoptasche separat vorzeigen oder nochmal durchlaufen lassen. Kein Vergleich zur eher laxen Kontrolle in Kloten vor dem Hinflug – aber was einem sonst auf die Nerven gehen würde, verschafft uns nun ein angenehmes Gefühl von erhöhter Sicherheit.
Kurz nach uns trifft eine auffällige Gruppe ein. Ich kenne sie nicht, aber man sieht auch so, dass es Sängerinnen mit ihrem Manager ("Aufpasser", denke ich) sind: Die Frauen tragen silberne Nylonhosen und weisse Mäntel darüber, der Mann schwarz und einen geschorenen Schädel. Vielleicht kommen sie direkt von einem Auftritt, denn sie sind sehr aufgedreht. Sie sitzen keine Minute still, necken auf Englisch "Ändy", stürmen den Duty-Free-Shop, kommen mit Duftproben an allen Handgelenken wieder raus, Andi muss an allem riechen.
Wir haben anstrengende drei Tag hinter uns, haben an einem "Lernfest" in Berlin eine Strassenumfrage gemacht, Internet-Schnupperkurse geleitet, zwischendurch Meetings gehabt, die Produkte unserer Firma Buchhändlern angeboten und zum Abschluss der deutschen Bundesfamilienministerin unsere Ergebnisse präsentiert. Nun wollen wir vor allem ein wenig Ruhe und setzen uns daher in eine stille Ecke. Um etwa 20.40 Uhr wird der Flug zum Boarding aufgerufen. Andere Fluggäste fallen mir nicht auf.
Boarding
Wir steigen ins Flugzeug ein und werden von der Crew mit einem freundlichen "Grüezi mitenand" begrüsst. Jacqueline mustert den Captain und grinst: "Ah, ein Schwyzer". Er versteht, was sie meint, und lächelt vielsagend zurück. Nachdem auf dem Hinflug mindestens die Hostessen multikulti waren, bin auch ich insgeheim froh, nur Schweizer zu sehen; aber da der Wettstreit Schweiz-Deutschland ist so alt wie unsere Beziehung, kann ich mir die sarkastische Bemerkung: "Na, dann kann uns ja nichts mehr passieren" nicht verkneifen.
Wir haben in der Zweierreihe links die Plätze 11A und 11B. Direkt vor uns auf 10A sitzt Andi. Die drei Mädchen sitzen erstaunlicherweise nicht neben ihm, sondern etwa fünf Reihen weiter vorn. Wir quetschen uns auf unsere Plätze, Jacqueline wie immer ans Fenster, ich an den Gang, und schlagen "Spiegel" und "NZZ" auf. Hinter uns sitzen zwei Deutsche, ich bekomme Gesprächsfetzen mit wie "Damals habe ich noch Frühstücksradio gemacht", dann fragen sie auf Englisch eine auf der anderen Seite sitzende Amerikanerin: "So why didn't they book you on Business Class?" Sie antwortet: "I asked them to, but something got mixed up." Noch mehr Showbusiness, denke ich, und drehe mich nach der Frau um. Sie hat eine schwarze Mütze tief heruntergezogen und sieht aus, wie ein Promi, der nicht erkannt werden will. Ich kann ihr Gesicht erkennen, habe sie aber noch nie gesehen.
Plötzlich stürmen die drei Mädels von vorn herüber. "Andi, Andi, we have asked, we can sit next to you.", ruft die Dunkelhäutige. Sie setzt sich neben ihn auf 10B, die anderen beiden auf 9A und 9B. Sofort wird Andi wieder geherzt und belagert, und die drei scheinen die Aufmerksamkeit aller genauso zu geniessen wie die Tatsache, dass er sich in lächelnd sein Schicksal fügt.
Wenn sie in Stimmung ist, kann auch Jacqueline ein ganzes Flugzeug unterhalten, aber heute wollen wir es lieber etwas ruhiger. Ich schaue mich um, hinten rechts ist alles leer, und es sind erst noch Dreierreihen. Wir packen unsere Sachen zügeln etwa fünf Reihen weiter nach hinten und setzen uns vermutlich auf die Plätze 16D und 16E. Pro forma frage ich noch eine Hostess, sie sagt: "Kein Problem".
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An der Stelle ist bereits erklärt, wie die Passionsfrucht (die Girlie Band hiess "Passion Fruits") mein Leben rettete: In Reihe 11 wären wir ziemlich sicher tot gewesen. Von den Passion Fruits kamen die beiden auf 9A und 9B ums Leben; Debby, die sich neben Andy auf 10B gesetzt hatte, überlebte wie er mit schweren Verbrennungen.
Der Absturzteil ist wie gesagt im Magazin «Facts» erschienen unter der verkürzten Überschrift «Gerade abgestürzt» .
Das mit dem "Schwyzer" Piloten muss man vielleicht in Deutschland noch erklären: Im Januar 2000 ist schon mal eine Crossair-Maschine abgestürzt, und die Piloten kamen beide aus Osteuropa, aber nicht aus demselben Land; damals wurde spekuliert, ob eventuell Verständigungsprobleme im Cockpit die Ursache des Unfalls waren.
Und fürs Protokoll speziell in diesem Forum: Die Frau mit der schwarzen Mütze war die Sängerin Melanie Thornton, die ich aber ebenfalls nicht kannte, auch wenn man ihren Song "I love how you love me" oft im Radio hörte. Auch sie starb.
So, wenn jemanden die Ernsthaftigkeit des Themas bedrückt, Beschwerden bitte an Kathrin Passig, die mit dem Haar in der Unterhose (habe sie in Berlin getroffen, mich aber nicht getraut nachzufragen).
Gruss, Peter
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