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Thema: v. Massow, Antoinette & Friends

  1. #1
    Sir Avatar von yellowshark
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    Antoinette v. Massow & Friends

    Dies ist die Abschrift einer Reisebeschreibung meiner Urururgranny väterlicherseits, Antoinette von Massow, geb. von Pirch, vom 26. Oktober 1801.
    Das Original fand ich im Familienarchiv unter den hinterlassenen Papieren ihrer Tochter Agnes von Mach, geb. von Massow. Dieselbe hatte auf dem betreffenden Umschlag folgenden Vermerk gemacht:

    "Beschreibung der Reise, die meine geliebten Eltern 1801 mit meinem Bruder Hans nach Berlin machten.
    Tante Mach begleitete sie; sie reisten mit eigener, vierspänniger Kutsche und hatten Paul und Eva mit, den Diener und die Jungfer; ersterer war 65 Jahre bei dem geliebten Vater.
    Dieses mir so unbeschreiblich interessante Schriftchen sollte ich wohl verbrennen. Wer könnte sich später wohl dafür erwärmen?
    Feuer ist der sicherste Versteck; könnte ich mich nur dazu entschließen!
    Meine Theuren, wann bin ich bei Euch?

    Den 10. April 1881
    Agnes von Mach, geb. v. Massow."




    Inhaltsverzeichnis

    Reise von Poganitz in Pommern nach Freienwalde 1 - 5

    Erster Aufenthalt in Freienwalde 5 - 7
    (Vorstellung bei der Königin - Mutter)

    Aufenthalt in Berlin 7 - 11

    Aufenthalt in Potsdam 11 - 17

    Ball im Schloß 16 - 17

    Erste Vorstellung bei den Majestäten 16 - 17

    Reise nach Freienwalde 17 - 18

    Zweiter Aufenthalt in Freienwalde 18 - 19
    (Abschied von der Königin - Mutter)

    Rückreise nach Stolp 19 - 21

    Rückreise nach Poganitz 21 - 23



    -1-

    Den 24. August verließen wir das angenehme Poganitz und kamen sehr gut in Stolp an, setzten den lieben Hans Pirch im Kadettenhause ab und fuhren im Hotel zu Paris vor; fanden dort eine zahlreiche Gesellschaft, aus Reisenden bestehend, nahmen mit dieser ein wohlschmeckendes Mittag ein und amüsierten uns prächtig; als Eingang zu diesem Vergnügen machten wir die Bekanntschaft des Kriegsraths Schock, der mit lebhafter Freude unseres lieben Bruders Ferdinand gedachte, nach seinem Wohl sich erkundigte und die herzlichsten Empfehlungen an ihn uns auftrug. Dann wurde die Unterhaltung allgemeiner; die liebe Schwester Dörtchen wurde durch einen Umstand veranlasst, etwas von den freien Manieren der Franzosen zu erzählen, auf deren Leichtigkeit und Gesprächigkeit sie einige satyrische Ausfälle machte, und am Ende erwies es sich, daß die Gesellschaft größtenteils aus dieser Nation bestand, und daß d i e nur gut wegkamen, die gar nichts von der deutschen Sprache verstanden; übrigens hatte dies für die Erzählerin keinen nachteiligen Einfluss, man hörte ihr ferner mit Wohlgefallen zu .

    Um 6 Uhr langten wir in Schlawe an, fanden durch Paul vorbereitet, ein wohlarrangiertes Logis und einen gut besetzten Tisch, an dem ich mich aufs Schleunigste hinzusetzen durch den Hunger gezwungen ward und die Fortsetzung bis zum Mittagsquartier lasse, nämlich meiner Erzählung.


    Nemitz, den 25. Hier kamen wir bei schönstem Wetter sehr vergnügt und glücklich an; sobald das Mittag eingeleitet ist, schreibe ich zur ferneren Aufzeichnung unserer gestrigen Begebenheiten, unter denen sich eine Bekanntschaft, die wir noch im Negligee machten, vorteilhaft auszeichnete; es erschien ein junger Mann von Adel, dessen Mutter eine alte Bekannte meines Massow war; diese ließ ihn durch ihren Sohn begrüßen.
    Als er eintrat, saßen wir gerade beim Abendessen, luden ihn deshalb mit dazu, welches er annahm, und - wie die Folge zeigen wird - viel zu unserem Agrement beitrug. Erst fragte ihn mein Mann, ob er nicht gedient habe oder wenigstens einen Trieb fühle, dem Staat als Militär zu nützen, worauf er versicherte, er habe schon seinen Abschied genommen und zwar sei er

    - 2 -

    als Cadett außer Dienst gegangen, wo ich mich des komischen Gedanken nicht erwehren konnte, daß man ihm für diese mühevolle Zeit die Erlaubnis hätte geben können, fernerhin die Uniform zu tragen.
    Wir rühmten das niedliche Städtchen Schlawe und adressierten ihm hierüber das Wort, worauf er mit dem lächerlichsten Selbstgefühl erwiderte: "Für jemand, der die Lebhaftigkeit haben will, ist es ein äusserst sehr trauriger Ort, aber für einen, der nach dem Grabe hin will, ist es ein äusserst sehr schöner Ort."
    Dies sagte er mit dem Bewußtsein, wie schade er fürs Grab, also auch für Schlawe sei.
    Zu einiger Aufmunterung reichten wir ihm saure Gurken zum Braten, welche er nicht nahm und dabei beteuerte, so gerne er sie speise, täte er es doch nie, denn sie blähten ihn entsetzlich.
    Die liebe Schwester Dörtchen versicherte ihm hierauf trocken, sie könne sich so nicht überwinden, würde aber bei jeder daraus entstehenden Wirkung seiner gedenken.
    Am Ende wünschte er meinem Manne Glück, daß er die Reise mit zwei so lustigen Damen machen könne; nun ging er mit vielen Komplimenten zum Hause hinaus und wir ohne diese ins Bett.
    Hier in Nemitz fanden wir eine betrübte Wirtin, denn in der Nacht hatte man ihr eine Kuh gestohlen. Mann und Sohn schwangen sich eben aufs Ross, der lieben flüchtigen nachzuhetzen; wir aber erwarten indess sehnlich eine Schüssel Erdtoffeln und grillierten Putenbraten, welchen Eva präpariert.
    Geändert von yellowshark (30.08.2008 um 16:40 Uhr)
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  2. #2
    [Member] Avatar von Herr Cohn
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  3. #3
    Moderater Avatar von Murmel
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  4. #4
    Sir Avatar von yellowshark
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    Cöslin, den 27. des Abends um 7 Uhr.
    Wir setzten unsere Reise bis Cöslin vergnügt fort, stiegen in Zanow ab, ließen uns Kaffee machen und wurden von einem Manne, der meist angenehm erzählte, sorgfältig unterhalten. Er war ein Schlesier und zog mir seinem Prinzipal umher, kleine Pferde, Dromedare und Affen zu zeigen. Wie wir hinlänglich gelabt waren, gings den langweiligen Gollenberg hinan, den wir größtenteils zu Fuß erstiegen, sowie den Berg mit der Fahne, von dem wir die See in Augenschein nahmen, welche in einem dichten Nebel wie die Zukunft unserm Blick erschien. Mein geliebter Hans legte hier seinen Namen mit kleinen Stückchen Kieselsteinen; gern hätte ich diesen, für mich höchst angenehmen Platz auf der Retour wieder besucht, allein es war schon ziemlich spät und wir mußten eilen.

    - 3-


    In Cöslin fanden wir die gute Tante, unserer sehnlich harrend, zärtlich und freundlich, wie sie immer ist; den folgenden Mittag machten wir am Regierungsrath Bonin (unserem Herrn Vetter) eine sehr interessante Bekanntschaft.

    Hier langten wir ohne Unglücksfälle an, fanden den Gasthof sehr besetzt; unter anderen Fremden befand sich auch der Musikdirektor Sarti aus Petersburg mit seiner ganzen Familie hier. Sie sind geborene Italiener, haben sich mit uns schon vor der Tür, wo wir uns trafen, französisch unterhalten; er ist krank und geht in sein fruchtbares, warmes Vaterland zurück, dort die Übel zu beheben, welche er sich in dem rauhen Klima zugezogen hat. Es ist derselbe, dessen der Poet Kotzebue in dem merkwürdigsten Jahre seines Lebens ruhmvoll gedenkt.

    Neugasthof, den 28. August
    Hier holten uns die Petersburger ein, und während der Danziger Fuhrmann, der sie bis Berlin bringt, seine Pferde tränkte, unterhielten wir uns mit diesem, dem Scheine nach sehr gutmütigen Menschen; sie baten uns aber, uns in Berlin besuchen zu dürfen, wo sie sich 14 Tage aufhalten wollen.

    Rannow, den 28. abends
    Hier aßen wir ein prächtiges Abendbrot und werden auf einer Streu schlafen, wo wir herzlich froh sind, daß Geisler nicht von der Parthie ist, denn sonst würde er uns wahrscheinlich auf die Ohren treten, und zwar mit mehr Bequemlichkeit, wie ehemals seiner Dame beim Tanz.

    Plate, den 29.
    Nachdem wir unsere Toilette etwas in Ordnung gebracht hatten, ließen wir uns bei Grf.v.Osten melden, einem lieben alten Bekannten von mir und Dörtchen; machten die Bekanntschaft seiner angenehmen, artigen Frau und dreier kleiner Mädels. Wieder dringend zu Mittag geladen, schlugen wir es standhaft aus, nahmen aber geräucherten Lachs, Butterbrot, einen großen Teller der schönsten Reine Claudes und ungarischen Wein zu uns; da wurden wir dann mit dem Versprechen entlassen, bei der Retour länger zu weilen.
    Nun machten wir noch eine Promenade nach dem alten Schloß, gingen hinauf und durchstreiften alle offenstehenden Zimmer in der Meinung, es sei völlig unbewohnt; als wir eben in das innerste Gemach dringen wollten, hören wir von einem Manne, daß da eine alte Oterstin logiere. Blitzschnell liefen wir zurück - und wahrscheinlich hat sich das Gerücht verbreitet, wir sahen dort einen Geist.

    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 17:59 Uhr)
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  5. #5
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    Tragisch: Sarti würde nie nach Italien gelangen.

    Originally posted by yellowshark
    [B] Hier langten wir ohne Unglücksfälle an, fanden den Gasthof sehr besetzt; unter anderen Fremden befand sich auch der Musikdirektor Sarti aus Petersburg mit seiner ganzen Familie hier. Sie sind geborene Italiener, haben sich mit uns schon vor der Tür, wo wir uns trafen, französisch unterhalten; er ist krank und geht in sein fruchtbares, warmes Vaterland zurück, dort die Übel zu beheben, welche er sich in dem rauhen Klima zugezogen hat. Es ist derselbe, dessen der Poet Kotzebue in dem merkwürdigsten Jahre seines Lebens ruhmvoll gedenkt.
    Zu den Reiseplänen und der Gesundheit des Giuseppe Sarti folgende Anmerkung:

    In 1801, after the death of the emperor, he decided to return to Italy. He broke his journey at Berlin to visit one of his daughters who was married to the queen mother's Kapellmeister, Natale Mussini. He died there [28 july 1802] and was buried in the Hedwigkirche.

    [ The New Grove ..., 1980, art. Giuseppe Sarti ]

    Sarti u.a. bekannt aus der Begegnung mit Mozart 1784 und Mozarts Zitat/Variation einzelner Themen von Sarti.

    yellowshark, Sie haben einen direkten Draht zu Mozart. Nicht schlecht.

  6. #6
    Sir Avatar von yellowshark
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    -4-


    Naugard, den 29. abends.
    Wir kommen eben von einer angenehmen Promenade zurück, die wir an dem Ufer eines Sees gemacht haben, während dem die Wirtin das Logis besorgt, Küche und Keller in Bewegung setzt. Dem Major Seelhorst konnte mein Massow seine Aufwartung nicht machen, weil er einer Operation wegen in Stettin war.

    Massow, den 30. nachmittags.
    Hier in dem sauberen Namensstädtchen kamen wir so früh an, daß wir unsere Toilette machen, und da es eben Sonntag war, in die Kirche gehen konnten. Wir hörten eine höchst mittelmäßige Predigt über den barmherzigen Samariter und gingen hungrig nach unserem Quartier; unterwegs trafen wir den Oberst Schäfer auf dem Markt, der vorher schon durch meinen Mann uns zum Mittag eingeladen und eine abschlägige Antwort erhalten hatte. Die kurze Bekanntschaft dieses angenehmen, freundlichen Mannes, sowie seiner beiden ältesten, schönen Kinder gewährte uns viel Vergnügen.
    Wie wir sämtlich zum Essen gingen, bemerkte ich zu meinem größten Staunen, daß der Oberst ohne seine Offiziere abkratzte, und diese in allen Straßen sich verteilten; da hörte ich, daß jeder sein eigenes Töpfchen schrafe und ein trauriges Licht ging mir auf.
    Um 6 Uhr kamen wir in Stargard an; unweit der Stadt kamen uns Cousin Wilhelm, Puttkammer, Zitzewitz und Steinäcker zu Pferde entgegen; den Onkel fanden wir sehr gut aussehend, Tante und Cousine zum herzlichen Empfang bereit.
    Den Abend machten wir da die Bekanntschaft des Forstmeisters von Kummer und seiner Frau, die die Cousine Marianne Bessels ist; beide hübsche, artige Leute; sowie ein Frl. Amalie von Seydlitz, die wir sehr liebgewannen; den folgenden Tag waren über 40 Personen geladen, wo wir uns nicht so gut gefielen, als am Tag unserer Abreise, da wir das Mittag en famille genossen.

    Dopperpant, den 3. September.
    Seit dem ersten sind wir hier recht vergnügt, haben gestern an Major Burghagen, einer Frau von Aller (Mutter von 18 Kindern) und einer Frau von Schlegel recht angenehme Bekanntschaft gemacht.

    Königsberg, den 4. September.
    Der gute Cousin Ferdinand schickte uns bis Pyritz, wo wir um halb zehn Uhr eintrafen. In der lieben Tante ihrem Hause alles bereit und auf uns wartend.

    - 5 -


    Kaum wurde unsere glückliche Erscheinung kund, da kamen die alten Bekannten, als nämlich der Post - Commissarius, die Hebamme, 2 Frl. Horns, eine Kinderfrau, der Hauptmann Dumar, die alte gewesene Köchin und die Frau des einen (alten) Bedienten; dies jubelnde Quodlibet hielt uns lange auf, und wir erreichten erst in der Dämmerung Königsberg; etablierten uns in der Krone, die dieses Mal doppelt elegant war, weil unten im Saal alle Offiziere aßen, die des Manövers wegen hier versammelt sind.

    Grünberg, den 5.
    Hier ist ein Posthaus etabliert, weil die Tour bis Freienwalde zu weit war. Die Straße ist hier äußerst lebhaft, denn in der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes haben wir viele schöne Equipagen durchpassieren sehen.

    Freienwalde, den 8. September
    Glücklich kamen wir hier gegen Abend an und gingen bei heiterem Wetter zweimal über die Oder. Es schickte gleich die Frau von Hill und ließ sich nach Dörtchen erkundigen; auch befahl die theure Königin, den folgenden Abend den Thee bei ihr einzunehmen; es wurde also des morgens erst von allen Seiten komplimentiert; Lakaien und Bediente gingen hin und her, Erkundigungen einzuziehen, wie die Nacht verbracht war. Dann wurde befohlen, Hans sollte präsentiert werden und auch wir vorgestellt werden; mit dem Schlage 6 Uhr gings im feierlichen Zuge nach dem Palais; voraus die liebe Dörtchen, im Bewußtsein des besten Ausganges und gewohnt des schlüpfrigen Weges; hinter ihr her zog ich, das Bild der Demut und Reue; denn ich fühlte ein unbekanntes Herzklopfen, welches nicht bloß von der Blödigkeit erzeugt war, denn so schlägt es nur, wenn es wahrhaft angegriffen wird; neben mir mein Hans, unbefangen und heiter, wie es einem Knaben geziemt, dem die grausen Gefahren und Verführungen fremd sind, wie die Laufbahn, die er betreten soll, deren bloße Vorstellung schon mein Herzblut so schnell fließen machten. Dann folgte mein Massow mit ruhigem Gesicht und gewissen festen Schritten, wie das lebendige Sprichwort: "Fürchte Gott und scheue niemand!"

    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 18:02 Uhr)
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  7. #7
    Sir Avatar von yellowshark
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    So betraten wir zuerst das schöne, freundliche Zimmer der Frau von Hill, die bald darauf erschien; sie gefiel uns gleich erstaunend, auch äußerte sie sich so beruhigend über alles, daß wenn ich nur halb so gerührt und halb so dumm gewesen wäre, ich darauf sehr vieles hätte antworten können.

    - 6 -

    Jetzt kamen aber bloß einzelne kleine Bruchstücke zum Vorschein als Lohn, Gottes Segen, Dankbarkeit, Gefühl usw. Diese Fragmente sammelte die gute, aufmerksame Doris sorgfältig und brachte sie in ein schönes Ganze. Wir konnten ohngefähr eine Viertelstunde oben zugebracht haben, als wir beschieden wurden, herunter zu eilen. Die würdige Königin empfing Dörtchen mit Mutterliebe und uns mit unendlicher Herablassung und Huld. Unser lieber Hans benahm sich wie ein Engel, mit einnehmendem Anstand und Unbefangenheit. Wie die Königin ihn fragte, ob er gern zu ihr gekommen sei, antwortete er freimüthig, es hätte ihn sehr glücklich gemacht. Uns dankte die Königin, ihr das liebe Kind so jung anvertraut zu haben, welches sie durch mütterliche Sorgfalt und Pflege zu verdienen und zu belohnen suchen werde. Ich war so gerührt, daß - statt zu antworten - ich ans Fenster treten und mir die heißen Tränen trocknen mußte; ein Glück, daß die treffliche Königin mehr auf Gefühl als auf Worte sieht, sonst wäre ich schlecht gefahren. Minister Haudwitz machte meiner Rührung und Verlegenheit ein Ende, denn der erschien; nach ihm Graf Goltz.
    Nach einigen Stunden ging die liebe Königin in ihr Gemach und wir zerstreuten uns. Den folgenden Tag wurden wir wieder zum Thee geladen, da hatte mein Blut sich schon etwas besänftigt. Den dritten Abend, wie wir bei Frau von Hill waren, ehe wir die Königin sahen, sprachen wir viel über Hans'chens Lage. Frau von Hill äußerte herzliche und religiöse Grundsätze und sagte ein gleiches von der würdigen Königin; ich sagte ihr, daß es unser dringendes Bemühen gewesen sei, sein junges Herz für Frömmigkeit und Tugend zu öffnen und daß es unser heißer Wunsch wäre, ihn hierhin befestigt zu sehen; diese ernsthafte Unterredung beruhigte uns unendlich und ich sah heiter in die Zukunft.
    Wie wir nachher zu der Königin gerufen und aufs Gnädigste empfangen wurden, beschenkte sie uns beide Schwestern und die Hofdame; jede mit einer charmanten Haube, welche Graf Fouquet verteilte. Dann wurden Proverbe aufgeführt, uns zu amüsieren, die sehr hübsch ausfielen und uns viel Vergnügen machten. Gegen 11 Uhr wurden wir entlassen. Als wir zu meinem guten Massow kamen, der dieses Mal nicht mitgegangen war, erfreuten wir erst sein Herz wegen der gehabten Unterredung wegen Hans'chen und dann führten wir das eine Proverb auf; Dörtchen war ein Witwer und hatte Hans' Überrock an, dessen alten Filz auf und sah abscheulich aus.

    - 7 -

    Als wir nun den folgenden Morgen wieder bei der Königin waren, erzählten wir den Scherz, worauf sie befahl, der Rock solle geholt werden und wir uns in Tätigkeit setzen. Dies geschah, und wir agierten vor den Augen der lieben Königin mit einer lobenswerten Dreistigkeit - uns nicht zu rühmen. Vorher hatten wir in demselben Zimmer dejeuniert, und nach demselben Hauterdtoffeln gegessen mit Salz und Butter.

    Hans'chen mußte diesen Morgen der Königin Schokolade präsentieren, worauf sie ihm auch viel Kuchen und Schokolade reichen ließ. Er benahm sich bei allem unverbesserlich; ich sage dies mit Überzeugung, ohne von der mütterlichen Eitelkeit irregeleitet zu werden. Die Königin sagte auch deshalb einigemal, "das Kind hat eine sehr gute Erziehung." Ich dachte, wenn Du wüßtest, wie er ungezogen sein kann, dankte aber Gott, daß er sich hier so prächtig benahm.



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  8. #8
    Sir Avatar von yellowshark
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    Den 10. September früh fuhren wir nach Berlin und erreichten es um 5 Uhr nachmittags. Eva, Hans, Friedrich und ich freuten uns wechselweise über den herrlichen Anblick; doch bei jedem äußerten sich die Gefühle besonders; Hans wollte im Wagen auffliegen, drehte sich bald das Genick um, damit er nur von beiden Seiten sehen konnte, schrie auch wohl laut auf vor Jubel.
    Eva saß da mit ihrer gewöhnlich ernsthaften Miene, dies setzte den Hans außer sich selbst, er rief hintereinander: "Eva, Eva, wundert sie sich nicht? Sehe sie doch die prächtigen Häuser!" wo diese denn empfindlich antwortete: "Ich habe ja Augen, ich sehe ja wohl!"
    Friedrich blickte mit dem Phlegma, welches seine Schmerzen erzeugt, ruhig von der unteren Etage bis zur vierten, er sagte dann freundlich und wundersam: "Das ist a'schön Stadt."
    Ich duchflog nach alter Art Häuser und Straßen, sah die Vorübergehenden, fand Ähnlichkeiten und freute mich kindisch, in Berlin zu sein; gleich denselben Abend besuchten wir den Hofmarschall Massow, fanden sein Bein auf einer Bank in Betten verpackt, und an ihm übrigens einen angenehmen Gesellschafter, der es sehr bedauerte, uns jetzt nicht logieren zu können, da er selbst elend und ohne Frau sei, welche sich mit den 5 Knaben in Steinhöfel aufhielt; er habe aber für ein gutes Quartier gesorgt, und zwar in der Sonne, wo wir charmant wohnen; nur sie schmilzt alles Metall in der Schatulle,

    - 8 -

    und die Pfandbriefe verbrennt sie; doch dieses gewöhnliche Naturereignis macht auf den Hofmann, welcher von Sonne und Mond gleich wohltätig beschienen wird, keinen weiteren Eindruck.
    Denselben Abend gingen wir noch unter die Linden, wo die Erleuchtung in den Straßen einen herrlichen Effekt macht und welches die Eva entzückte, die immer hinter uns her zog und äußerst gesprächig wurde, doch ein Umstand machte ihre Zunge stocken, denn ein Chapeau zog sie am Rocke, worauf sie Dörtchens Kleid ergriff - welches ihr am nächsten war - es so fest hielt, wie sie noch bis jetzt festzuhalten ihren guten Ruf ist bemüht gewesen.


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  9. #9
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    Heute als den 11. haben wir mit Putzmachern, Schneidern, Kaufleuten und Friseur zu tun gehabt, welches die Geldbeutel empfinden; dann machten wir Visite bei Gräfin Wartensleben, diese begleitete uns zu Minister Massows, welche wir nicht zu Hause fanden; dann bei Major Frankenbergs, wo wir die liebe Dörtchen absetzten, weil sie den Abend bei einer Freundin passierte, und ich meinem guten Massow, der nicht wohl ist, Gesellschaft leisten will.
    Gestern konnte ich nicht einschlafen, denn das beständige Fahren war mir, als wenn in Bischofswerda ein starkes Gewitter in der Ferne tobt; heute früh im Negligee besuchten wir den Wilhelmsplatz; die Statuen machten mir viel Vergnügen; ich sah im Geiste den lieben Ferdinand einst auf Schwerins, und den lieben Fritz auf Seydlitz' Stelle. Die Bildsäule des alten Ziethen gefiel mir am meisten; sie ist so nach dem Leben ausgehauen, daß man vor Liebe und Ehrfurcht ihm die Hand drücken möchte, und dann staunt, daß es nur Stein ist, dem die Kunst diesen Feuerblick, diese Schönheit in Stellung und Kleidung gab.

    Den 12. besahen wir Monbijou, welches viele prächtige Zimmer enthält; dann gingen wir nach dem Hause, wo unser theurer Hans wohnen soll; ich bin unfähig, die Gefühle auszudrücken, welche meine Seele pressten. Der Pagengouverneur war mit dem jungen Skribenzke ausgegangen, und wir machten daher seine Bekanntschaft das Mal nicht. Als wir zurückkehrten, besuchten wir den Hofmarschall Massow, welches alle Tage einige Stunden geschieht; wie wir in unser Logis zurückkehrten, fanden wir wieder neue Freunde und oft alte Bekannte.



    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 18:16 Uhr)
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  10. #10
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    - 9 -

    Den 13. machten wir Visite bei der Oberhofmeisterin von Gaadi, eine prächtige Frau, die ich ganz so fand, wie der allgemeine Ruf sie geschildert hatte, sie war gegen uns und Hänschen äußerst gütig. Wie wir zurückkamen, besuchte uns Graf Wartensleben, blieb bis zwei Uhr bei uns. Dann ging mein Massow zum Diner zum Feldmarschall Möllendorf und wir bereiteten uns zu der Nachmittagsfatigue durch ein prächtiges, schönes Mittagessen.
    Nachdem mein guter Mann retourniert war, fuhren wir bei Präsident Schleierlzenz. Diese bewirteten uns den Abend bei Karslens im Thiergarten; aus der Gesellschaft sind mir folgende Personen näher bekannt geworden: Der Präsident Kirscheisen, seine Frau und Tochter, Leutnant Horn nebst Frau, Rittmeister Katte mit Gattin, Geheimrath Zehdel, der Major Liebermann, der Major Korswand - den ich mit Mühe hinter seiner Nase vorfand.

    Den folgenden Tag aßen wir en famille bei Schleinitzens Mittag.
    Nach demselben fuhren wir bei Minister Massows, die unbeschreiblich gütig und hilfreich waren; auch zu allen Diensten sich schon schriftlich wie mündlich angeboten hatten. Da fanden wir den Landrath Massow aus Schlesien mit seiner Tochter, artige Leute; lange verweilten wir uns höchst angenehm in dieser lieben Gesellschaft, so daß wir nur sehr spät zum Thee und Souper bei Graf Lottums kommen konnten, wo wir schon engagiert waren. Diese Leute haben uns erstaunend gefallen; sie sprachen mit viel Anhänglichkeit von dem lieben Ferdinand.
    Heute sind wir zum Diner bei Minister Massows gewesen, und will ich die Personen, die ich da kennen lernte, nach dem äusseren beschreiben, denn bei so kurzer Bekanntschaft kann man selten des besseren Teils am Menschen gedenken und nur an der Außenseite sich aufhalten.

    Ich sah also dort den Minister Thielemann, einen speckfetten Mann mit langer, breiter Taille, kurzen Schößen, breitem, langen Haarbeutel, sehr kurzen Unterkleidern, breiten Schuhen, großen Schnallen und einem Chapeau bas; diesen Mann sieht jeder voller Komplimente, sanft auftretend, hold umherblickend.
    Minister Arnim in einem besseren Kostüme, artig und geschmeidig, mit der Stimme eines kränkelnden Kindes. Bei dem General Merkatz saß ich. Und seine Unterhaltung gewährte mir wahres Vergnügen, denn seine Äußerungen verrieten eine edle, gute Seele; seine Gemahlin: eine ebensolche Dame; dann der General Wartensleben, mit der besten Laune; sein Sohn blasswangig und trübe; dessen Frau eine geborene Gräfin Reichenbach, immer lieblich lächelnd und von anscheinender Gutmütigkeit.

    - 10 -

    Die Generalin von Saldern, gerade und eben, die Finger alle zehn immer in der Tabaksdose. Der Oberst Eckenbrecher von der Artillerie mit seiner Frau und Sohn. Diese Familie stammt gewiß aus Italien, denn nie sah ich gelbere Gesichter. Dann ein Fräulein von Bock mit brennend roten Blumen, die die fliehende Jugend gewaltsam zurückbringen sollten, dabei eine so leise, sanfte Stimme, wie das Lispeln der kaum berührten Espenblätter. Dann ein junger Graf Kanitz und sein Referendarius, beides artige, hübsche Leute; die Oberst Thadden, eine artige Frau. Mit dem Cousin Otto fuhren wir, weil Minister Massows zum Thee und Souper engagiert waren, nach Hause und brachten den Abend in angenehmer Unterhaltung und in Erwartung des Cousins Christoph hin. Dieser erschien erst den folgenden Morgen mit seinem General, er gefällt uns sehr gu
    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 18:18 Uhr)
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    Den 16. aßen wir bei Graf Wartensleben, da fanden wir die Großkanzlerin Goldbeck, eine alte freundliche Dame, den General Wartensleben mit der ganzen Familie, den Generalleutnant Schwerin, Leutnant Rehbinder, Oberst Stange, Minister Massows, einen alten invaliden Major, der schon seit undenklichen Zeiten Hofmarschall dei Prinzessin Heinrich ist, Beauvais heißt und das Gesicht voller Pflaster hat; seine Lebensgeschichte ist überhaupt nicht erbaulich, mit der machte Graf Wartensleben bekannt.
    Von hier fuhr ich nach unserm Logis, zog mir meinen Staat ab, und dann kam die Gräfin Wartensleben, holte uns ab zu einem Souper, welches Minister Massows gaben. Da fanden wir General Kuhnheims, einen Leutnant Tetten mit seiner Frau; hübsche artige Leute; ein Fräulein Arnim aus Sachsen, ein wohlgezogenes angenehmes Mädel aus Sachsen, die die lieben Dohna's kennt aus Schlodien und nach ihrem ganzen hohen Wert schätzt und liebt, welches Anlaß für mich zu angenehmer Unterhaltung gab. Dann waren da noch mehrere artige Leute.

    Den 17. war Diner bei General Kuhnheims; in der sehr zahlreichen Versammlung fanden wir viele Bekannte aus Preußen. Ehe noch die wirklich glänzende Tafel aufgehoben wurde, sagte mir ein Bedienter, daß die Gräfin Lottum unten mit ihrer Equipage auf mich warte, um mich in die Comödie zu führen. Ich mußte also - um die liebe prächtige Frau nicht warten zu lassen - mir die Erlaubnis erbitten, aufzustehen. Es wurde das Trauerspiel "Tancred" gegeben. Madame Jagemann machte ihre Rolle schön, so wie sie selbst recht hübsch ist. Zum Nachspiel sahen wir die Comödie "Aus dem Stegereif". Darin agierte Iffland meisterhaft.

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    Aus der Loge ging es zu Graf Lottums, die uns äußerst liebreich bewirteten; von den Anwesenden gefiel mir besonders ein Geheimrath mit seiner Familie sehr gut, dessen Namen ich vergessen. Gestern überraschte mich das Wiedersehn eines alten lieben Bekannten, des Rittmeisters Puttkammer, der sich gar nicht verändert hatte. Auch hatte ich das Vergnügen, die lieben General Herzbergs mit ihrer Familie zu sehen; nachdem sie mich verlassen hatte, holte ich die Gräfin Wartensleben ab, und wurde von dieser in die Porcellaine und Bronze Fabrique geführt; beide gefielen mir - doch die letztere übertrifft an Schönheit die erstere. Besonders rege wurde meine Aufmerksamkeit durch die transparenten Lampen, welche sich der General Macdonald bestellt hat und welche erstaunlich schön sind; es schmeichelte meiner Eitelkeit, daß die Nation, welche uns so ungern Gerechtigkeit widerfahren läßt, und so selten zugibt, daß auch ohne sie etwas kann erfunden werden, hier eingesteht, solches nicht bis jetzt liefern zu können, und ein General aus ihrer Mitten solches aufs teuerste bezahlt.


    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 18:05 Uhr)
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  12. #12
    Sir Avatar von yellowshark
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    Den 18. des Morgens. Alles ist zum Manöver hinaus und mein geliebter Hans nach Monbijou gebracht; die Sonne scheint mir so freundlich ins tränennasse Auge, welches ich bittend zu Gott richte, um Segen und Unterstützung für das teure Kind und um Mut für meine oft zagende Seele.

    Den 19. September in Potsdam.
    Nachdem mein geliebter Hans uns verlassen hatte, packte ich unsere Sachen zusammen und erwartete den guten Massow vom Manöver zurück. Er kam und erzählte mir, daß er den lieben Hans besucht und noch einmal Abschied genommen habe, wo er äußerst freudig gesagt, er hätte schon gelesen und geschrieben, und der Gouverneur sei von Beidem sehr zufrieden gewesen.
    Um 12 Uhr hatten wir abgesessen und besuchten dann noch die lieben Graf Lottums und Hofmarschall Massow - und nun gings nach Potsdam; die ganze schöne Chaussee war mit Menschen besät, die teils ritten, teils fuhren, und es nahm sich prächtig aus, wenn man die perspektierische Allee wimmelnd von lebenden Geschöpfen sah.
    In Zehlendorf hielten wir ein wenig stille, bei welcher Gelegenheit ich mir ein großes Glas Bier reichen ließ; und wie ich mich mit selbigem so recht in die erste Trinkposition gesetzt habe, fährt pfeilschnell ein Halbwagen vorbei, aus dem sich ein Engelsgesicht bückt - und zwar die liebe Königin mit dem teuren Monarchen zusammen fuhren einfach mit 4 Pferden und einem Diener nach Potsdam.

    - 12 -

    Hier in Zehlendorf spannten sie aus. General Rellet benutzte diese Gelegenheit und besorgte währenddem das Entretien, welches er selbstgefällig und selbstlachend endigte. Den Cousin Pirch fanden wir sehr wohl, auch hatte er uns ein hübsches Logis ausgemittelt. Wir mußten noch den Abend bei ihm passieren und lernten in seiner Frau ein charmantes, liebes Weib kennen. Sie ist die Schwester des Minister Alvensleben und gleicht zum Verwechseln und Verkennen der Obristin N.....(?).

    Wir sollen, wenn wir nicht ausgebeten sind, ihre täglichen Gäste sein, welches ich für meine Person gern annehme, da mein Mann immer in Sanssouci ißt.
    Heute gingen Pirchs zu einem lange vorher gebetenen Souper und wir benutzten derweile die kurze Zeit, etwas von den Merkwürdigkeiten zu sehen; zuerst gingen wir nach dem Neuen Garten und in das Marmorpalais am Heiligen See; an demselben sieht man die schöne Stadt, welche sich mit ihren Türmen majestätisch erhebt; dann die Pfaueninsel, vor derselben ebenfalls auf einer Insel zwei schöne Tempel; auf der anderen Seite einen hohen Berg, dessen dickes Gehölz durchgehauen und von schönen, mannigfachen Lustparthien geziert wird; kurz: die Ansicht der herrlichen Natur weist das Herz zur Liebe und Bewunderung für den Schöpfer derselben hin.


    Geändert von yellowshark (10.12.2001 um 18:06 Uhr)
    ys

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