An einem heißen Frühsommervormittag Ende Juni fahre ich zufällig mit dem Fahrrad am Büro meines Mannes vorbei, ich würde die Adresse nicht wissen, aber wenn ich davor stehe oder ich es suchen würde, erkenne ich es. Ich komm direkt aus der Psychoanalyse und es ist sein Geburtstag, wahrscheinlich ist also, dass etwas in mir die Adresse doch weiß und dass es mit den Zufällen dieser Art ganz allgemein so weit nicht her ist wie man gemeinhin zu denken geneigt ist.
Die Psychoanalyse tut unserer Beziehung naturgemäß nicht gut, zumindest nicht vordergründig und nicht auf den ersten Blick, denn das ungerichtete, eher assoziative, hochemotionale Rumrühren in Mustern, kindlichen und erwachsenen Wünschen, den Ursprüngen der Grundaufstellung, das Abräumen der vermeintlichen Gewissheiten über sich selbst und das Neudenken und vor allem das fast überrealistische, zwingenddringliche, allerbasalste, überbaubefreite -Spüren von Zusammenhängen und der eigenen Wahrheit konfrontiert einen zwangsläufig mit der ewigen Wiederholung der Elternbeziehung in der Partnerschaft.
Das will niemand sehen, also jedenfalls ich nicht, die sich ihren Mann mit gutem Grund als lebendigen Kontrapunkt zu ihrer Herkunft ausgesucht hat, trotzdem lassen sich ganz unterschiedliche, ja wirklich gegenteilig aussehende Teile bei genauerem Drehen und Wenden fantastisch exakt übereinanderlegen, das Ding mit den zwei Seiten der gleichen Medaille. Wie die Verneinung die Möglichkeit des Jas ja mitdenkt und mitweiss und mitausdrückt, wie in der Bejahung die Arbeit des Niederhaltens des Nein steckt, unausweichlich und immer.
Dann hat man den Salat und man weiß nicht mehr was stimmt, es stimmen viele sehr unterschiedliche Dinge gleichzeitig und die Komplexität ist wahnsinnig anstrengend, Überblick nirgends, die Welt wackelt und alles Wackeln kommt aus einem selbst, das Äußere steht erstmal so da wie immer und weiß von nichts.
Soll man aufhören am Baum zu rütteln und sich wieder in die Wiese legen? Soll man den Baum abholzen? Soll man so lang rütteln bis er anders aussieht und ist das nicht von vornherein definiert das Sisyphosmodell? Soll man sich eine andere Position zum Baum suchen und kann man dort auch glücklich sein?
Ich mach was ich immer mach wenn ich nicht weiter weiß, ich zieh mich zurück (-->Muster), was dazu führt dass mein Mann mir den Raum gibt und abwartet (-->Muster), und wir mal eine Weile auf Pause sind.
Da rein fahr ich "zufällig" an seinem Büro vorbei und für mich selbst wie "aus dem Nichts" ruf ich ihn an und lade ihn für die Mittagspause zum Essen ein.
Wir gehen in ein Gartenlokal ums Eck, bestellen Trinken und Makis, und dann verbringen wir eine tapsige Stunde miteinander wie beim ersten Kennenlernen. Das meiste machen wir über die Blicke, sonst passiert nicht viel, kleine Vertrautheiten, er gefällt mir halt auch so total und zwar absurderweise immer, die Makis werden bis zum Schluss nicht fertig (eine "Maschine" in der Küche sei ausgefallen), ich werd die Stunde als fast rührend erlebt haben, vorsichtig und suchend, er, wie er mir Wochen später mal in seltener Hinknallausnahmestimmung hinknallen wird, als nichts als sprachlosen Vorwurf. Nochmal später, als wir sehr zerstritten sind, wird er in größerer Runde vom Keinemakigeburtstagsessen erzählen, die Erzählung beginnt er mit "meine liebe Frau" und schaut mich so verschwörerisch belustigt an, dass ich einen vollkommenen Alleswirdgutmoment erlebe.
So geht's dahin und die Dinge bleiben schwierig, und wie seine Pause vorbei ist und wir gehen, zeigt er mir noch Christian Ludwig Attersee zwei Tische weiter, wann ist er so steinalt geworden dieser vitale Mann, die rothaarige, altes-Mädchen-hafte, eindeutig künstlerisch gekleidete Dame bei ihm seine Frau?, da sitzen sie, haben auch kein Essen bekommen, und was wird wohl ein jeder von ihnen beiden denken hinterher, zur Atmosphäre dieses ihres Rendezvous, wie oft gelingt es wohl, dass zwei in einer Stunde, an einem Tag, einen Moment lang in einer Weise wirklich dasselbe erleben, wenn sie sich gegenüber sitzen?