Schülerschwarm
Wir waren jeden Donnerstag im Tattersall. Daniel, Max, Flo, Gerst, Abi und der Rest. Ich war der einzige, der in jenem Jahr noch nicht in der Kollegstufe war, weil ich die elfte Klasse wiederholen musste. Der Tattersall war eine kleine Bar, die Wände rot, große Bilder an den Wänden, ein gemütlicher Ort für den donnerstäglichen Bierkonsum. An der Theke stand fast immer Hugo und unterhielt sich mit den älteren Stammgästen über Pferderennen, Wetten und Champagner, während wir die Tische in Beschlag nahmen und über Lehrer, Mitschülerinnen, Musik und Parties redeten.
Manchmal, wenn sehr viel los war, setzten sich anderen Gäste an die Tische neben uns und wir kamen ins Gespräch. So kannten wir mit der Zeit alle Gäste, den Besitzer und Hugo sehr gut. Wir feierten unsere Geburtstage im Tattersall, kamen vor und nach Festen hierher. Der Tattersall wurde unser Wohnzimmer.
Ich weiß nicht, ob sie den anderen auch auffiel, aber ab und an stand eine Frau an der Theke, die mich faszinierte. Damals konnte ich sie nicht einordnen, wußte nicht genau, um wen es sich bei ihr handelte. Ich hielt sie aber für eine Schauspielerin, war mir auch sicher, sie schon im Fernsehen erlebt zu haben. Sie war um einiges älter als ich, und ich hätte mich nie getraut, sie anzusprechen. So begnügte ich mich damit, sie anzusehen. Sie trug meistens eine Barboujacke, die sie auch nicht ablegte. Zumindest hat sich das Bild von ihr in dieser Jacke bei mir eingeprägt. Über den Kragen fielen ihre langen, blonden, strähnigen Haare, die sie immer offen trug. Und sie blickte immer ernst. Ich kann mich nicht an ein Lachen in ihrem sanften, aber strengen Gesicht erinnern.
Aber ein Lächeln von ihr hat sich in meine Erinnerung gebrannt. Ich hatte sie wieder angesehen, einige Minuten lang, als sie plötzlich zu mir schaute. Peinlich berührt, wendete ich meinen Blick sofort von ihr, fühlte mich erwischt und spürte, wie sich kleine Schweißperlen auf meiner Stirn bildeten. Aber natürlich musste ich nochmal zu ihr sehen, um zu wissen, ob sie bemerkt hatte, dass ich sie so intensiv beobachtet hatte. Und unsere Augen trafen sich. Für den Bruchteil einer Sekunde durchbrach ich ihre Intimsphäre und sie duldete es, denn sie schenkte mir ein Lächeln. Was für eine Frau.
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