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Thema: Alte Meister: Hollein, Schell, Willikens

  1. #1
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    Alte Meister: Hollein, Schell, Willikens

    Die Reihenfolge, in der ich die Alten Meister anführe, verdankt sich natürlich strikt dem Alphabet. Ich wüsste nicht, wie ich es sonst angehen sollte. Ich selber würde sogar eventuell ebenso reihen, wenn man meine Liebe zur Architektur, zum Film und zur Malerei der Reihe nach gewichten möchte. Wobei das meiste Gewicht am Anfang der Reihe wäre. Dichter sind keine da.

    Nun ja, ich niese jetzt. Draußen war – vor Stunden beim Hingehen - sogenanntes Sauwetter. Dort, es ist nicht weit von uns - aber der Professor zog Galoschen über -, ist viel Glas und eine dreistöckige unmittelbare Aussicht auf den Stephansdom. Nebenan werden, als wir ankommen, gerade die Kabel gelegt für die Fernsehübertragung der Sonntagabenddiskussion im ORF.

    Es gibt einen Cocktail zu Ehren des süddeutschen Malerfürsten Ben Willikens, den ich, entgegen meinem ersten Eindruck – sowohl seiner Bilder als auch seiner Person –, schätzen und sogar lieben gelernt habe, vor kurzem. Er hat mich für sich, und zu meinem Erstaunen, auch für seine Kunst eingenommen, mit seiner Persönlichkeit, im Gespräch. Das ist noch keinem Maler gelungen, dessen Bilder ich im ersten Eindruck abgetan habe. Vermutlich eine Alterserscheinung von mir. Er schätzt meinen Geist und meine verhaltene Sinnlichkeit, wie er meiner Freundin anvertraut hat. Als er zu meinen Füßen vor dem Kamin Platz nimmt, reichlich kurz vor seinem Abgang, zückt der Professor das Handy und macht eine Aufnahme.

    Zum Abschied sagt der Maler dem Professor, ich sei seine Frau für den Zweiten Blick und drückt mich an sich. Er weiß natürlich nicht, dass ich einen Mann habe und schon gar nicht, dass es der Professor ist. Schließlich hat uns nur der Portier und die Garderobiere Seite an Seite ankommen gesehen. Die Blicke des Professors hätten den Meister töten können, er verlangt eine Erklärung. Der Malerfürst verzichtet darauf und verlässt schleunig den Ort. Vermutlich wird er sich morgen darob mit dem Gastgeber besprechen. Ich fühle mich wohl.

    Die anderen Alten Meister sind nicht mehr ganz so gutaussehend wie er. Aber eindrucksvoll allemal.

    Maximilian Schell residiert auf dem Sofa vor dem offenen Kamin, umgeben von einer Reihe von Adorantinnen. Der Fürst und die Mädchen. Er bittet um Vergebung, dass er sich vom tiefen Sofa nicht erheben könne für einen artigen Gruß. Ich vergebe. Er ist ein Freund des Malerfürsten und ein Sammler.

    Hans Hollein ist Architekt. Er sondert Licht ab, aus seinem weißen schulterlangen Haarkranz. Das ist kein gutes Zeichen. Er ist schwarz gekleidet und allein. Rund um ihn – wieder bemerke ich es – die Aura des Genies, niemand tritt zu ihm. Ich beobachte ihn, wie er aus der mittleren Etage des unglaublichen Glashauses, gestützt auf die Balustrade aus Glas, um sich blickt. Er blickt auf sein Werk, denke ich mir. So kann man nur auf sein Werk blicken. Wie Gott auf die Schöpfung, ein wenig müde, leuchtend, und wissen: Es ist wohlgetan.

    Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er das Haus nebenan gebaut hat und damit einen veritablen Skandal provoziert hat im bürgerlichen Wien. Aber so wie er blickt, ist auch dieses Juwel von einem Penthouse sein Werk. Es nimmt das Mittelalterliche des gegenüberliegenden Doms auf mit seinem kleinen Söller, der auf der untersten Ebene gerade einer Person erlaubt, hinauszutreten über den Platz und dem Dom direkt an das Dachgesims zu blicken. Mit seiner offenen Estrade im Inneren über dem Rittersaal. Mit seinen großen offenen Kaminen, in denen das Feuer vom Hausherrn besorgt wird, und mit dem vielen Stein, der hier neben dem vielen Glas verbaut wurde. Da steht er also, schwarz gewandet nach Architektenart, mit dem weißen Haar und dem Profil eines Renaissancefürsten aus der Toskana. Die Augen hellblau. Er ist allein.

    Der Professor weiß leider nicht, ob dieses Penthouse von ihm ist.

    Beim kalten Büffet sehe ich den Meister Hollein wieder, allein und verzagt vor dem Fingerfood. Bei mir setzt der Lady-Di-Effekt ein, auch ich gehe zu auf die Bresthaften und Verlassenen, sogar auf leuchtende Greise und Genies. Ich trete zu Ihm und sage: Verzeihen Sie, Herr Hollein, Herr Professor, darf ich Sie fragen, ist dies Penthouse Ihr Werk? Ich bin wegen des Söllers dazu gekommen, es zu vermuten. (Was – architektonisch gesehen stimmt, denn es gibt immer ein kleines witziges postmodernes Detail in seinen Bauten. In Wirklichkeit, charmante Leserin, bezaubernder Leser, Ihr wisst es, war es Sein Blick auf Sein Werk).

    Der Meister hebt indes Seinen Blick vom Teller, sieht mich an und sagt: Ja. Sein Blick sinkt in meinen Busen. Das ist in Ordnung. Ich bin eine Femme entre Deux Ages und, wie Willikens schon richtig bemerkte, für jeden noch älteren Mann eine Frau für den Zweiten Blick. Bei Hollein bin ich geneigt, darüber hinaus seinen Sinn fürs Material und die Konstruktion dafür ins Kalkül zu ziehen, dass der Blick im Wortwechsel jedes Mal nach wenigen Worten in den Busen sinkt. Ich vermute sogar, das wäre auch so, wenn eine der jüngeren Damen wagen würde, ihm nahezutreten. Es wagt keine. Ich habe ihn für mich und er erzählt mir, dass dieses Haus einst das Kaufhaus mit den größten Schaufenstern in Wien war. Am Stephansplatz, direkt gegenüber dem Dom. In der Monarchie hätte der Adel im zweiten Geschoß hinter den Scheiben Platz genommen und, wie aus den Logen der Oper, der vom Kaiser angeführten Fronleichnamsprozession beigewohnt. Er sagt auch: Das Haus gehört der Generali. Vermutlich will er nicht, dass ich glaube, der Hausherr – ein Mann mit einem mindestens so berühmten Onkel aus der bildenden Kunst – sei sein Auftraggeber gewesen. Ich lasse ihn mit gebührenden Dankesworten wieder seinem Fingerfood. Die eine oder andere Frage aber bringt mich auch später wieder zu ihm, denn die auratische Zone um ihn ist immer leer.

    Soeben, ein bisschen spät, wie ich meine, kehrt auch der Professor heim. Illuminiert.
    Geändert von Norma L. (09.02.2009 um 01:03 Uhr)

  2. #2
    Member Avatar von bilderbuch
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    Ach Norma, ich würde gerne mit Ihnen tanzen, während all diese Professoren sich illuminieren. Zu einem zarten Glühen täte ich es zwischen uns beiden bringen können, tänzerisch.
    Nicht nur der Absatz mit den niedersinkenden Blicken des auratischen Hollein macht mich ein bischen eingenommen für Sie. Irgendwann weiss ich vielleicht auch, warum sein Lichtabsondern kein gutes Zeichen ist.

  3. #3
    Avatar von AntonH
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    Geändert von AntonH (11.07.2014 um 14:15 Uhr)

  4. #4
    Nomember Avatar von maki
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    Jedesmal wenn ich an Hans Hollein vorbeilaufe, erinnert er mich an das Haas-Haus, und umgekehrt. Beide verbindet eine wölbungsreiche Feistheit, fettfilmig spiegelnder Glanz im Gesicht und ein allgemeines Zuviel.

    Ausserdem legen alle drei Erlebnisberichte mit Holleinbezug, die mir bisher übermittelt wurden, nahe, dass es sich um einen Herrn handelt, der sich in der Öffentlichkeit gerne wie ein verzogenes Kleinkind oder überhaupt nicht benimmt. Eine von mir sehr und seitdem noch mehr verehrte Dame hat ihn daraufhin einmal vor einer Versammlung devoter Kulturwirbelloser zusammengestaucht.
    Von holleinschen Auren wurde mir nichts berichtet.

  5. #5
    Avatar von AntonH
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    Geändert von AntonH (11.07.2014 um 14:15 Uhr)

  6. #6
    [Member] Avatar von FritzWoelkchen
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    Strang sei Dank gelangte ich betreffs Holleinrecherche zu dieser erschütternden Dokumentation fruchtlosen Bürgerbemühens in Waidhofen gegen Glaskubus oder -quader auf des Rothschildschlosses Burgfried.

  7. #7
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    Maki, ja, das stimmt genau! Die Analogie von Form und Glanz des Meisters und dem umstrittenen Haas-Haus. Ansonsten kann ich persönlich nicht berichten, dass er sich schlecht betragen hätte, im Gegenteil war er vollendet höflich in den Umgangsformen, bis auf die, wie ich glaube vom Reptilienhirn gesteuerte, Augenbewegung. So etwas kenne ich auch von anderen, sogar von gegenderten-politisch-korrekten-und-weithin-unbekannten Herren. Ich habe mich davon nicht veranlasst gefühlt, ihm eine Szene zu machen, zumal mein Kleid hochgeschlossen war. Möglicherweise war aber das, was ich für seine einsame Aura hielt, schon das Ergebnis von langjährig fortgesetztem Kotzbrockentum in Gesellschaft, von dem nur ich keine Kenntnis hatte. Jedenfalls benahm er sich eher wie ein stilles Baby.
    Die Lichtabsonderung, @ bilderbuch, kenne ich aus der Sterbebegleitung. Ob Sie es mit mir zu einem Glühen brächten, darf ich allerdings bezweifeln.

  8. #8
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    Alte Meister ff.: Nitsch

    Am Freitag war ich, zum Abschluss einer träumenden Woche zwischen den Rosen des Professors, zu Besuch bei einer Freundin im Ort Mistelbach, im niederösterreichischen Weinviertel. Ich sprach im örtlichen Eiscafé einem Banana-Split zu, der köstlich war, von Split jedoch keine Rede. Die nackte Banane lag in ihrer Gesamtheit in kniehoher Schokoladensauce auf einem bootsförmigen Teller aus weißem Steingut. In ihrer – der Banane - EU-konformen Rundung mindestens sieben Kugeln Vanilleeis, vermutlich drei davon als Kompensation, da ich Schlagobers verweigert hatte.

    Die Freundin fand, ich solle auch Kultur haben, nicht nur Sinnlichkeit. Also führte sie mich an einen Ort, der einmal eine Pflugfabrik gewesen war. Nun das Mistelbacher Museumszentrum zu Ehren des Meisters Nitsch, Hermann.

    Dieser quadratische Herr hat meinen Lebensweg schon das ein oder andere Mal gekreuzt. Je nach Lebensphase war ich davon mehr oder weniger erbaut. Zunächst – in den späten Siebzigern – eher archaisch fasziniert. Anfang der Achtziger hatte ich die Aufgabe, einige Kübel Blut und Gedärme etc. herbeischaffen zu lassen für eine legendäre Performance mit nacktem Mann in einer Wiener Galerie. Das war mir weniger erbaulich. Netter war es ein paar Jahre später bei tagelangen Begängnissen von Orgien und Mysterien im Prinzendorfer Schlossareal, die große Mengen köstlichen Weinviertler Weines umfassten. (Der Professor siedelte später seinen Rosengarten nicht ganz ohne önologische Hintergedanken in dieser Gegend an.)

    Am Freitag also, in Mistelbach, sah ich ihn wieder, Hermann Nitsch. Jetzt ganz angekommen als Alter Meister in Seinem Museum. Er, in schwarzem Hemd, hutlos, den grauweißen langen Bart wie der Herr der Flüsse in zwei Strömen auf der Brust liegend. Makellos, er lässt malen. Er sitzt mit Leuten, u. a. der langhaarig blonden Museumsdirektorin, an einem Tische in der Sonne vor heraufziehendem Gewitter. Drinnen in der langen Halle die Assistenten mit den Werken in Progress. Die Werke sowie die Assistenten voller vieler Farben. Vorbei die rot-weiß-schwarze Ära. In meiner ökofeministischen Zeit habe ich ihn der Usurpierung der Blutrituale der Großen Göttin bezichtigt. Man hat so seine Sorgen in manchen Lebensabschnitten.

    Die Freundin hat mich der Direktorin vorgestellt, wir durften gratis durchs Areal, was in Anbetracht der recht begrenzten Besucherzahlen eigentlich unökonomisch ist. Nun denn. Der Meister sah unser Interesse mit Wohlgefallen. Wir störten seine Pause nicht.

    Das coole Café mit Sonnenterrasse über dem Komplex sucht einen Pächter. Es gibt glückliche Schweine und Rinder, Ziegen, Gänse etc. gleich hinter dem Museum in der Landwirtschaftlichen Fachschule. Die Produkte aus deren Bauernladen sind herrlich. Ein Mensch mit Marketing- und Sachverstand sowie ein wenig Open-Air- und Clubbing-Geist wird nach der Eröffnung der Autobahn in ein paar Jahren dem Tempelbezirk allerhand Leben einhauchen können. Aber so einsam, nur mit dem Meister und seinen Getreuen, hatte es auch viel Charme.

  9. #9
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Zusammenfassung: In Norma L.s' parfümiertem Plüsch-Paralleluniversum ist mit sanftem Ächzen ein Sack Jasminreis umgefallen.

  10. #10
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    Alte Meister fff.: Jean-Paul Guerlain, Francesco Guardi

    Ja, das stimmt, ich lebe tatsächlich in einem parfümierten Universum. Derzeit duftet es nach Pivoine. Dunkelrote Pfingstrosen blühen hier zu diesem kalten Pfingsten in Wien. Ich gehe hinaus in den Garten und hole mir welche herein. Um draußen zu sitzen, ist es zu kalt. Ich stelle die Blumen in eine feine hohe Vase, die wie eine alte Medizinflasche geformt ist. Da sie im Kasten ganz hinten war, bei den Erbstücken, gehe ich davon aus, dass sie aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. Sie ist aus farblosem, durchsichtigem Glas, das wie ein feingefältelter Stoff vom engen Hals hinunter fließt. Pfingstrosen auf ihren schmalen elastischen Stängeln brauchen eine Vase mit einem engen Hals, finde ich. Wenn man sie lang schneidet, können sie so ihre dicken Blütenköpfe unvergleichlich anmutig halten, wie manche dünne Frauen in den 60ern ihre gefönten und toupierten Pagenköpfe. Ich stelle die Vase auf die Fensterbank in der Küche. Da komme ich oft vorbei, und dann weht es mich an - Pivoine.

    Ich bin wieder in dem Haus, das ich für die Freunde bewache, während sie diesmal durch duftende südenglische Gärten reisen.

    Ich bin ganz glücklich über diese Pfingstrosen. Im Weinviertel waren sie schon verblüht, als ich vorletzte Woche im Rosengarten des Professors war. Daher bin ich auf die Suche gegangen nach einem Solitärparfüm „Pivoine“. Das von Guerlain traf nicht meine Sinne. Etro fand ich nicht. Dafür jetzt hier die wahre Pfingstrose, und das auch noch zu Pfingsten.

    Ja, Düfte sind mir wichtig. Vermutlich auch so eine Sozialisation durch die Mutter. Damals in Paris, als wir Kinder waren, schleppte sie meine Schwester und mich mit sich zu allerhand Führungen durch berühmte Duftimperien, wodurch ich Herrn Guerlain als großen Patron im weißen Mantel erinnere, der sich und uns mit konzentrierter Miene weiße Stäbchen unter die Nasen hielt. Auch runter in die Provence reisten wir im schicken roten Mini meiner Mutter zur Lavendel- etc.-Blüte. Zwischen die Felder, in die Fabriken. Meine Antwort damals war Heuschnupfen.

    Aber heute, und schon seit vielen Jahren, lebe ich mit den Düften gerne. Mit denen der Natur, mit denen der Parfumeure.

    Draußen bewegtes Grün. Es ist windig und hin und wieder scheint die Sonne. Dann leuchten plötzlich die Blüten auf – riesiger Mohn, Glockenblumen, Holler, Pfingstrosen und andere Schönheiten, für die mir die Namen fehlen.

    Auch der kleine Guardi über dem Sofa neben mir gibt dann seine ganze venezianische Anmut preis. Ein kleines Querformat. Der Kanal, die Kähne und Gondeln, die Häuser und Palazzi. Darüber ein blauer Himmel, fast ganz verdeckt von einer grauen föhnigen Regenwolke mit weiße Rändern. Wenn draußen die Sonne durchkommt, leuchtet am Bild dieser weiße Wolkenrand, und man möchte meinen, die Sonne werde gleich durchbrechen, in Venedig, wohl um die Mitte des 18. Jahrhunderts.

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