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Thema: Kuerten, Dieter (das schwarze Gespenst)

  1. #1
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    Kuerten, Dieter (das schwarze Gespenst)

    Das ist alles jetzt schon eine Weile her. Ich hatte gerade einen Achtungserfolg mit einem kleinen Quatschbaendchen erzielt und befand mich mit Frau Passig, damals noch eine relativ unbekannte Schriftstellerin, auf Lesereise durch Deutschland. Unsere Buchpraesentation hiess "Mutmassungen ueber Unwissen" und bestand zu wesentlichen Teilen darin, Videos von sich bespuckenden Igeln vorzufuehren und minutenlang Gegenstaende fallenzulassen. Den Leuten gefiel es mal mehr, mal weniger.

    Zwischendrin mussten wir unser eilig zusammengegoogeltes Buechlein in Schundsendungen vorzeigen, zum Beispiel bei "sasch@screen" beim Heimatsender center.tv oder halt bei "aspekte" auf der Buchmesse. Meine Selbstachtung, ohnehin schon so duenn, dass sie sich hinter dem Stamm einer Sumpfbirke verstecken koennte, schrumpfte von Tag zu Tag immer mehr zusammen. Einziger Lichtblick: Der deutsche Herbst '07 zeigte sich von seiner besten Seite. Taeglich strahlte eine andere Gegend in diversen dekorativen Farben.

    Die gesamte Tournee ueber war ich geplagt von Schleimhoehlenverwuestungen im Kopfbereich. Es fing im Hals an, wanderte dann jeden Tag ein paar Zentimeter hoeher, bis die Stirnhoehlen erreicht waren, worauf sich das Elend umdrehte und sich fortan in der Stimmritze haeuslich niederliess. Intern hoerte sich meine Stimme wie die eines Geistes an. Jeden Morgen brauchte ich eine geschlagene Stunde, um wenigstens die noetigsten Luftmolekuele durch die Atemwege zu schleusen.

    Irgendwann in der Mitte der Tournee zwang uns der Verlag, auf der Frankfurter Buchmesse cirka 100 Interviews pro Tag zu geben. Abwechselnd Radio, Fernsehen, Zeitung, das ganze Programm. Zur Koerperpflege kam ich in dieser Zeit nur noch im Taxi. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, der Verlag wolle uns so dafuer abstrafen, dass wir immer noch nur weit weniger als 100.000 Exemplare verkauft hatten; man begegnete uns mit Enttaeuschung und Verbitterung. Es gibt kaum erniedrigendere Taetigkeiten, als zehnmal am Tag zu erklaeren, wie sich Ratten an den Schwaenzen verknoten oder warum Dunkle Materie nicht schwarz sein kann. Schon morgens fing ich heimlich mit trinken an.

    Hier lief mir zum ersten Mal Dieter Kuerten ueber den Weg. Das klingt jetzt erstmal nicht ueberraschend, denn die Buchmesse ist voll mit Prominenten. So traf ich Klagenfurt-Juror Kai Ebel, der mich mitleidig anlaechelte, trank heimlich den Milchkaffee von Dieter Nuhr aus und stiess versehentlich fast mit Elke Heidenreich zusammen. Aber Dieter Kuerten? Sein einziges Buch erschien im Jahr 2003 und heisst "Drei unten, drei oben: Erinnerungen eines Sportjournalisten". Etwa eine Minute steht er verloren am Stand von Rowohlt, sein weisses Haar ragt wie immer flach eine Handbreit ueber die Stirn hinaus. Makellos: schwarzer Anzug, schwarze Lackschuhe, weisses Hemd. Ich lag in derselben Minute in einer nahegelegenen Ecke mit gutem Ausblick, bewegte stumm die Lippen im Versuch, gescheiterte Antworten von vergangenen Interviews nochmal zu geben. Meine Kehle war nach Tagen des sinnlosen Schwafelns ein unordentliches Schlachtfeld aus Blut und Schleim.

    Dabei hatte sie so hoffnungsvoll angefangen, meine Laufbahn im Rampenlicht. Mitte der 90er bestand mein Koerper ausschliesslich aus Stahl und Knochen, vereint mit einem Alu-Gestell namens "running gag" trieb ich optimistisch die Passstrassen der Alpen empor, hoeher, schneller, weiter, und dachte mir nichts dabei. Denken war nicht so mein Ding, aber treten konnte ich. Im Geiste plante ich den Weltrekord: 15.000 Hoehenmeter in 24 Stunden, gern auch mehr oder weniger, hatte sowieso noch nie jemand probiert. Praktischer kann man einen Rekord nicht abraeumen. Danach der unvermeidliche Auftritt im aktuellen Sportstudio - im Gespraech mit dem damals schon schwaechlichen Dieter Kuerten. Selbstsicher auf meinen Stahlbeinen stehend wuerde ich luzide, treffsichere, ja, lustige Antworten geben, oder was ich damals dafuer hielt. Das gesamte Interview hatte ich in endlosen Trainingseinheiten wieder und wieder im Kopf abgespult, Kuerten war weicher Ton, ach, er war das Innere eines Schweinedarms in meinen Haenden. Der Applaus des Studiopublikums bricht ueber mich herein, zerschlaegt sich jedoch an meiner gesunden Stahlnatur. So war das damals, in den 90ern, mit Dieter Kuerten.

    Am naechsten Tag fuhren wir von Frankfurt nach Erfurt. Die Bahn streikte, jedoch schien wieder die Sonne, fast haette man Hoffnung schoepfen koennen. Das wichtigste Requisit unserer erbaermlichen Show war ein etwa armlanges Gummireptil, das extrem echt aussah und die gesamte Tour ueber auf meiner Reisetasche sass. Wir hatten es nur dabei, um es waehrend der Veranstaltungen zweimal runterzuwerfen, einmal zeitgleich mit einer sehr kleinen Kuh. Reagierten die anderen Menschen bisher eher mit Hass und Ekel auf das gruene Tier mit den bernsteinfarbenen Augen, so ernteten wir in Erfurt zum ersten Mal eine freundliche Reaktion, als uns naemlich eine Passantin laut "ooooch, guckemol" hinterherrief. Ueberhaupt zeichnete sich eine Art Lichtblick ab, insbesondere weil der Schleimpegel in ein paar Hoehlen sich allmaehlich auf ein halbwegs ertraegliches Mass zurueckdraengen liess. Auch meine Stimme bekam allmaehlich wieder Farbe, sie war lediglich noch etwas blechern und aehnelte etwa dem Organ von Roboz, dem debilen Roboter vom "Trio mit vier Faeusten". Die Menschen lachten uebermaessig oft in Erfurt und freuten sich wie die kleinen Kinder. Vielleicht wird doch noch alles gut, so betete ich die ganze Nacht, waehrend unter uns die Sonne herumwanderte, um anderntags beim Fruehstueck auf der anderen Seite wieder rauszukommen.

    Dabei geschah es. Ich schob mir gerade eine gebratene Mini-Wurst in den Mund, da tauchte die kurze Gestalt wieder vor mir auf. Man hatte ihn nicht kommen sehen, abermals stand Dieter Kuerten vor mir. In Erfurt hatte er absolut nichts verloren. Wie immer etwas ratlos erscheinend, so als wuesste er nicht, in welche Kamera er zu blicken hat, schwenkte er seinen weiss bedeckten Kopf in alle leicht erreichbaren Richtungen. Meine Koerperspannung fiel endgueltig zusammen; zu frueh hatte ich mich der Hoffnung ergeben, Dieter Kuerten, das Gespenst der stahlharten Vergangenheit, waere in Frankfurt aus meinem Leben verschwunden. Verfall ist der natuerliche Sinn des Lebens. Makellos wieder das Schwarz seines Anzugs und das Weiss seines Hemdes.
    Geändert von Aleks (16.10.2007 um 00:36 Uhr)
    Das Ei läßt sich aus dem Teig nicht mehr entfalten.

  2. #2

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    Geändert von Kalfater (16.11.2010 um 19:05 Uhr)

  3. #3

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    Geändert von Kalfater (16.10.2007 um 08:10 Uhr) Grund: doppelt

  4. #4
    Avatar von Herr Genista
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    Ist dann bald mal genug gerasselt, Kind?
    Zeterum zenseo.

  5. #5

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    Geändert von Kalfater (16.11.2010 um 19:05 Uhr)

  6. #6
    Kolkrabe Avatar von Doctor Subtilis
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    Säbel, Gummireptile, pah! Wer immer eine Meerrettichwurzel und eine geeignete Reibe mit sich führt, nimmt es mit der wüstesten Schleimhöhle auf!

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