In meinem Supermarkt war heute Mittag sehr viel los. Das verwundert nicht, es steht Ostern vor der Tür und der Beinschinken dort ist berühmt. Vor mir an der Schinkentheke ordert mit tragendem wienerischen Soubrettenorgan eine wohlfrisierte spätblonde Dame im weißen Blazer. Sie kommt mir bekannt vor. Sie möchte Beinschinken nach einem bestimmten Schnittmuster. Mein Supermarkt ist weltberühmt für seine höfliche Bedienung – sie bekommt anstandslos „Bitte gern, gnädige Frau, ist es so recht?“, was sie verlangt. Sie rauscht ab. Ich bin weniger fordernd in meiner Bestellung. Ich deute schlicht auf einen interessant aussehenden Schinken und sage „Fünfzehn Deka davon, bitte.“ „Gnä’ Frau, den Grünen oder den Bunten Spargelschinken?“ Ich sehe ohnehin keinen Bunten und Grün passt doch besser zum Osterfrühstück.
Als ich gehe, fällt mir ein großer älterer Herr mit einer sehr kleinen feinen Einkaufstüte auf, die er raumgreifend schwenkt. Der Herr bewegt sich leicht verwirrt zwischen Schinken- und Fischtheke, streicht um freistehende Gewürzsäulen, blickt scheu um sich, suchend. Obwohl sehr viel los ist, ist er auffallend allein – im Abstand von mindestens drei Metern um ihn kein Mensch. Seine Mundwinkel hängen ein wenig unterm gepflegten grauen Schnurrbart. Ein trauriger verlorener Mann, wenn auch von beeindruckender Statur.
Eins und eins fügt sich nun in meinem Geist zusammen: Die Dame, die vor mir ihren Schinken kaufte, ist die Gattin dieses Mannes, derzeit beliebtester männlicher Fernsehstar in Österreich: Harald Serafin, 75, Operettendirektor der Seebühne Mörbisch, ist der Publikumsliebling in der Jury der ORF „Dancing Stars“. Dort gewinnt er die Zuneigung der Zuseher wie auch die der Stars, indem er in höchsten Tönen lobt, was er am Parkett sieht. Als „Mr. Wunderbar“ hat er es aufs Cover des großen bunten Wochenmagazins geschafft. Er schwelgt übermütig im Glück seines unerwarteten Hypes. So hat er - eventuell angeregt durch die Präferenzen des Moderators - vor laufender Kamera seinen Jurynachbarn geküsst und mit einem Heiratsantrag überwältigt, was diesen ursprünglich strengen und ernsten älteren Herrn vom Tanzgewerbe in einen freundlichen und liebenswürdigen Juror verwandelt hat, der sich nun sichtlich mühen muss, nicht im Sog des Brachialhumoristen die Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Hier aber, in diesem Supermarkt, ist Harald Serafin, der vom und für den Zuspruch des Publikums lebt, auf verlorenem Posten. Die italienischen und sonstigen Touristen erkennen ihn nicht, die anderen Kunden imTempel sind sich selber zu fein einem Prominenten nahe zu treten oder ihn auch nur eines Blickes würdigen. Der Effekt auf Harald Serafin ist bestürzend. Er zerfällt - ohne den Glanz im Auge des Betrachters. Ich überlege kurz ihn zu erlösen. Zum Glück steuert nun seine Ehefrau auf ihn zu. Sie lässt in Fernsehinterviews gütiges Augenrollen ob der gezielten und ungezielten Peinlichkeiten Ihres Gatten sehen und kommentiert ihn wie folgt: „Ja, er ist auch Zuhause so. Manchmal wird mir sein Frohsinn zuviel.“
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