Anfang der 90er machte ich mit drei Freunden Urlaub in Nizza. Wir hatten eine Wohnung, die jeden von uns 20 Mark am Tag kostete, nichts anderes als Strand, Frauen, Strand, Cocktails, Frauen und Strand im Sinn und genossen unseren ersten Urlaub mit 19 Jahren ohne Eltern. Martin, Guido, Oliver und ich ließen uns zwei Wochen die Sonne auf den Pelz brennen und stiegen dann ziemlich entspannt in Nizza in den Flieger Richtung Flughafen Frankfurt.
Unsere zweite Klasse war bereits komplett besetzt, alle Fahrgäste brav auf ihren Plätzen – wir warteten nur noch auf die Herrschaften der ersten Klasse. Die wurden per Bus an die Rampe kutschiert und ich konnte am Fensterplatz sehen, wer auf dem Flugfeld gerade aus dem Bus ausstieg und bei uns einstieg. Unübersehbar, ziemlich lang und durchtrainiert, lief auch ein blonder Hüne über das Rollfeld. Ich meinte zu Oliver neben mir: „Da kommt Carlo Tränhard.“ Da wir damals nichts Besseres zu tun hatten, als uns permanent zu verar.... (macht man mit 19 eigentlich noch was anderes?), antwortete Oliver mit „Ja, ja, iss schon klar“. Und guckte dumm, als der lange Leichtathlet im Flieger den Gang runter kam und sich eine Reihen vor uns hinsetzte. Ein paar Minuten später, ich war längst in Lektüre vertieft, fummelte am Walkman rum, den man damals noch im Flugzeug benutzen durfte, sagte Oliver: „Du, und da kommt Boris Becker.“ Meine Antwort war wenig originell und vorprogrammiert: „Ja, nee, iss schon klar.“ Und auch ich guckte dumm. Denn zwei Meter vor mir nahm Boris Platz neben Carlo, über dem Arm locker lässig `ne flotte Sporttasche.
Das war dann das Ende der Ruhe in der zweiten Klasse. Hinter mir tickte ein indischer Fahrgast völlig aus, beugte sich zu mir rüber und fragte: „Is das Boris Becker, is das Boris Becker?“ Mindestens fünf Leute sprangen von ihren Sitzen auf, schnappten sich irgendetwas Beschreibbares wie Bordmagazin, Serviette oder Kotztüte und drängelten sich auf dem Gang, um einen Schriftzug zu ergattern. Boris erbarmte sich bei einigen, bis es der Stewardess zu bunt wurde und sie einfach den Vorhang vorzog. Klare Verhältnisse und willkommen in der Lufthansa-Klassengesellschaft. Statt auf rote Haare starrte ich auf blauen Baumwollstoff.
Gesehen haben wir ihn dann ein zweites Mal am Frankfurter Flughafen. Die erste Klasse verließ natürlich vor uns den Flieger. Er lief allein, wie ich damals erstaunt feststellte ohne Bodyguard und ohne Carlo, der wohl noch am Kofferband stand, die Gangway entlang. Wir im gebührlichen Abstand Koffer tragend hinterher. Und auch hier, in Deutschland, rasteten alle aus. Egal, an welcher Touristengruppe er vorbeilief, es glotze, tuschelte, verrenkte den Kopf jeder, der ihn sah. Die Krönung war eine durchgeknallte Stewardess, die mit einem Hechtsprung über den Tresen sprang und ihm wie von Sinnen nachlief. Wir verloren ihn dann aus den Augen und bedauerten ihn zutiefst. Uns reichte die Massenpanik der wenigen Minuten bereits, was erlebt der Mann sein Leben lang?
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