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Thema: König Karl und seine Bücher

  1. #1
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    König Karl und seine Bücher

    An Häuserwänden, Ateliers, Brasserien oder Squares entdeckt man in Paris in jeder zweiten Straße ein Schild, auf dem steht, welcher prominente Künstler oder Politiker in welchem Jahrhundert gerade in diesem Gebäude oder in jener Gegend geboren, gelebt oder gestorben ist. Man wird in dieser Stadt von Prominenz an allen Ecken und Enden erschlagen. Und mit Glück erwischt man auch noch einen der Lebenden.

    In meinen ersten Wochen in Paris habe ich mich mit dem Buch „Adieu Paris“ der Journalistin Ursula von Kardorff auf den Streifzug gemacht. Ein Buch aus dem 70ern, in dem sie Prominente, ob tot oder lebendig, der einzelnen Quartiers präsentiert und in dem auf einigen Seiten schon damals dem bekannten „deutschen Modemacher“ Karl Lagerfeld ein Kapitel gewidmet ist. Am Schluss beschreibt sie, wie sie ihn nach dem Interview zufällig erneut trifft, kurz vor Mitternacht, bekleidet in einem langen Cape, in der Buchhandlung „La Hune“ neben dem „Café les Deux Magots“, nahe der Kirche Saint Germain. Er stöbert dort gern und meint „Bücher kann man doch nur am Abend kaufen“.

    Die Buchhandlung „La Hune“ hatte auch zwanzig Jahre später noch um diese Zeit geöffnet und ich genoss ebenfalls, ungefähr zwei Wochen nach meiner Lektüre von Kardorffs gesammelter Prominentengala, dort nach Spaziergängen in der Abendstunde kurz reinzuschauen und mich in die französische Literaturwelt zu stürzen. Einen Schmöker zu ergattern und gleichzeitig während der kalten Winterzeit Wärme in den Räumen aufzutanken. Mein beliebtes Ziel war der erste Stock, zu dem man auf einer Wendeltreppe emporsteigt und wo sich meterdicke Bild- und Fotobände stapeln. Jedes Exemplar unbezahlbar und bei meinem damaligen Geldbeutel nur zum Staunen gedacht.

    Eines Abends also, ich blätterte gerade in einem der Bände, kam eine ganze Truppe Männer die Treppe empor. Vorneweg der Besitzer oder ein Angestellter von „La Hune“, immer „oui, oui, ah, oui“ sagend und mit dem Kopf nickend, und hinter ihm, mit langem Cape und mit lautem, französischen Redeschwall, die Legende persönlich, inzwischen weltberühmter Modezar, Karl Lagerfeld. Klassisch mit dem Zopf aus weißen, langen Haaren und einer großen, schwarzen Brille. Es fehlte nur der Fächer. Dafür lief direkt hinter ihm eine Entourage von drei jungen, hübschen Männern, die sich dann im ersten Stock angekommen, stumm und eng um ihn versammelten. Ich vermutete mehr Freunde, als Mitarbeiter.

    Und dann legte er los. Laut, und ganz und gar nicht unauffällig und sich der Blicke der Umstehenden bewusst, war er bereits die Treppe hochgekommen, und schritt nun gemessen wie ein König durch die Reihen der Büchertische und Stapel und zeigte mit gestrecktem Finger auf ein Buch hier und da und sagte nur „ca ... et ca ... et là-bas, ...et je prends ca“. Auf prächtig bebilderte Mode-, Kunst oder Fotobände, die ich vorher nur bewundernd angefasst und deren Preis auf dem Cover geflissentlich ignoriert hatte. Er bestellte sie wie im Dutzend billiger und der Buchhändler notierte genauso fleißig wie euphorisch die Titel und Autoren in sein Notizbuch. Die Meute junger Männer lief immer noch stumm und bewundernd hinterher.

    Stumm war ich auch. Und ich bereue es noch heute. Wo begegnet man Karl Lagerfeld? In der Regel nur als Zuschauer bei Interviews in deutschen Talkshows, in denen er sich nicht nur redegewandt und offen zeigt, sondern auch humorvoll. Ganz sicher hätte er das für mich erstaunliche Déjà-vu mit literarischer Vorlage und um zwei Wochen verzögerter realer Begegnung amüsant gefunden, vielleicht sich an das Interview von früher erinnert. Ich konfrontierte ihn nicht damit. Stattdessen starrte ich die seltsame Truppe noch eine kurze Weile an, schaute zu, wie König Karl die gesamte Etage leer kaufte, und dann von einer Sekunde auf die andere aus der Buchhandlung rauschte und mit einer schwarzen Limousine auf der Straße entschwand. Ich dagegen verließ „La Hune“ langsam und ohne Buch. Aber immerhin. Mit einer guten Geschichte.

  2. #2
    Member Avatar von Malevitsch
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    Wieso bereuen sie "es" noch immer? Das ist´s doch gerade.

    Die Lokalitätskomik in der Geschichte sehe wahrscheinlich wieder nur ich wegen meiner grauenvollen Französischkentnisse.
    Geändert von Malevitsch (31.12.2005 um 18:53 Uhr)

  3. #3
    Avatar von Alberto Balsam
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  4. #4
    Seniorita Avatar von elinor
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    (Entschuldigung, dass ich gleich Worte wie "eigentlich" und "irgendwie" verwenden werde)
    Also: eigentlich finde ich die Geschichte ganz hübsch, aber irgendwie verstehe ich den gesamten letzten Absatz überhaupt nicht. Kann mich jemand aufklären? Der Autor vielleicht?

  5. #5
    Large Member Avatar von vir
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    Das Pseudonym erscheint mir ein Quentchen zu ehrgeizig aber ich finde die Geschichte auch nett. Angenehm unaufdringlich erzählt, irgendwie, und eigentlich auch ein bisschen spannend weil man immer Angst hat und denkt: "Oh Gott, jetzt bittet er ihn sicher um ein Autogramm!"

    Ich war übrigens vorgestern in einem Hotel, das bis in die Fünfzigerjahre ein Sanatorium war und wo Dimitri Pawlowitsch Romanow am Tag nach seiner Entlassungsfeier starb. Romanow war nicht nur Neffe des letzten Zaren und einer der Mörder Rasputins sondern zwischendurch auch Liebhaber von Coco Chanel, die dem Modehaus ihren Namen gab, das Karl Lagerfeld usw.

    Zufall? Ich glaube nicht!

  6. #6
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    Hallo elinor, alberto und vir, das Pseudonym Hemingway grenzt in der Tat an Größenwahn, aber der gute geisterte früher auch immer in Paris rum und deshalb passte es einfach.

    Natürlich hätte ich ihn nicht um ein Autogramm gebeten. Wahrscheinlich muss ich mich noch vom indezenten Paparazzi zum höflichen Paparazzi wandeln, denn freundlich auf die Situation angesprochen würde ich ihn heute dennoch. Nicht als geifernder Autogrammjäger, sondern als Mensch zu Mensch, soweit das im Gespräch mit "Königen" möglich ist. Oder legt man mir jetzt den Forumsausstieg nahe, weil ich das gestanden habe?

    Vir, was ist der Unterschied zwischen einem Member und einem Large Member? Der Ort Pulitz hat aber nichts mit dem gleichnamigen Preis zu tun, oder? Ich mein nur Stichwort Größenwahn...

  7. #7
    Member Avatar von Syphilister
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    Lieber Hemingway

    Genau so stelle ich mir den höflichen Papparazzi vor. Er erkundet Paris (auch) nach einem alten Prominentenführer. Da haben sie diesen Glücksfall verdient. Und so schön, wie ihr Erlebnis war, beschreiben sie es auch.

    Bei ihrer Schilderung, wie Lagerfeld ordert, fällt mir eine Dritthandpaparazzierung ein. Wenn Michael Jackson in seinem Chalet in Gstaad weilt, wird ab und an der Musikalienladen zu oder auch extra aufgesperrt. In Minuten ordert Jackson mit Fingerzeigen den halben Laden und lässt in sich sofort ins Hotel bringen. Aber eben, dritte Hand.

    Und Namen sind Schall und Rauch. Sehen sie nur meinen.

    Apropo Schall: Vor mehr als zwanzig Jahren wollte ich unbedingt den Ekkehard Schall als Arturo Ui im Berliner Ensemble sehen. Extra kam ich Stunden früher um eine zurückgegebene Karte zu erhaschen. Zum Glück hatte ich gerade zu rauchen angefangen und vor dem berühmten Haus gut zu tun. So bekam ich Ekkehard Schall auf einem Spaziergang vor dem Mammutabend zu sehen. Ich glaube sogar er grüsste, als er wieder zum Bühneneingang hineinging. Nicht ganz unverrichteter Dinge ging ich zufrieden Heim, als die Vorstellung begann.

    Dieser Tage war ich in Berlin und genau so überraschend wie damals stand Ekkehard Schall wieder vor mir. Diesmal als Name auf einem Grabstein. Ich komme jetzt wohl in das Alter, wo ein solcher Moment Nachdenken über Zeit auslöst.
    Abends ging ich ins BE. Karten gibt es da heute.

  8. #8
    Large Member Avatar von vir
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    Hören Sie mal, Hemingway, Sie Naseweis: Zuallererst räumen Sie die Mitte ihres mittleren Absatzes auf, dann schreiben Sie sich hinter die Ohren, dass der "gute" Hemingway seinerzeit nicht in Paris herum"geisterte" sondern höchstens -soff, und dann lesen Sie ein paar Wochen lang hier die guten Geschichten aus den letzten fünf Jahren und dann, nun, dann schreiben Sie uns hier von mir aus wieder mal was rein.

  9. #9

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    Er soff nicht nur, er schoß dort auch einem Huhn den Kopf ab, um seinen Revolver vorzuführen, als Zeuge der äußerst angepißte und grad aus der Ardennenoffensive kommende Salinger. Die Episode geistert als Katze noch durch For Esmé, with love and squalor. Wenn ich einmal im Jahr bei meinen Eltern zu Besuch bin, hole ich immer vier, fünf Hemingwaybücher aus dem Schrank dort in der Absicht, jetzt wirklich mal eins zu lesen, ich bin über die ersten drei Seiten noch nie hinausgekommen, obwohl ich es wirklich wollte, groteskeste Langeweile. Dagegen heute endlich mit der Post eingetroffen: Rohstoff, allein die ersten Sätze, das mußte ich mir förmlich aus der Hand reißen, weil ich noch was anderes vorher zu Ende lesen muß: Das Geschäftsjahr 68/69. Auch nicht schlecht, mit Dirk von Foerster als Romanfigur. Jeder, der das liest, denkt sofort an Foerster, sogar Foerster selbst, als zentrale Spinne der Muße-Gesellschaft, die Blitze baut, sehr lustig. Meine gerade aufgetauchte Identifikationsfigur heißt Rolf Geyer.
    Geändert von Stimmen (04.01.2006 um 17:27 Uhr)

  10. #10
    Restaurator Avatar von Jeremy
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    "...einen Mechaniker, Rolf Geyer, ein Alleskönner - er arbeitet als Maschinenbautechniker bei Siemens Hannover."
    Aha, aha.

  11. #11

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    Hat mich wahnsinnig aufgeregt die ersten hundert Seiten, daß der Erzähler und Büdinger nicht einmal zum Lötkolben greifen, die ganze Künstlerdrogenscheiße, während Bekurz sich totlötet, ich wußte sofort, der erste biedere Arbeiter, der auftauchen wird, das ist mein Mann. Und Entschuldigung, "Alleskönner", siehst du mich anders, Economyschlunze?

  12. #12
    Restaurator Avatar von Jeremy
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    Ja, und zwar als Alleskönnter. Du bist wie ein mit Kerosin betankter Lamborghini, der im sechsten Gang Vollgas fährt, aber noch auf vier Holzblöcken zum lackieren aufgebockt ist.

    Abgesehen davon etwas Witziges: Der jetztige Besitzer des 90°, dieser verblassenden Nobeldisko in Berlin, durch die Ariane Sommer bekannt wurde (sie war dort Pressesprecherin), war in meiner Schulklasse und druckte sich in der Elften Visitenkarten mit seinem Namen und dem Titel darunter: Allesköner.

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