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Thema: Rühmkorf, Peter(le)

  1. #1
    Member Avatar von schygulla
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    Rühmkorf, Peter(le)

    Im Café Einstein, aber nicht das hässliche unter den Linden, sondern das Original in der Kurfürstenstraße, wo einst „Kohlhiesels Tochter“ Henny Porten (nicht Harry Potter) residierte, jetzt aber also Kaffeehaus-Villa, wo man Kaiserschmarrn und Wiener Schnitzel verspeist, wenn man so viel Geld hat, wie ich nicht habe, der nur einen Einspänner trinkt, schreibt und guckt, zum Beispiel in die Ecke da hinten, da hockt Jan Josef Liefers mit seiner Anna, die immer so pumperlgsund aussieht, und dem Kleinkind, das ganz doll toben darf. Liefers wird ja immer mehr wie Becker, Ben. Pfui. Rutscht ein bisschen zu auffällig rum, da auf seinem Bänkchen, ist nicht ganz bei seiner Anna und seinem Kleinkind, sondern sendet Existenzzeichen nach allen Richtungen und schlendert dann vorbei, so pfauenhaft langsam, dass ich mich sofort erinnere: am Tag zuvor war ein Tatort mit ihm im Fernsehen und er will nun noch ein bisschen Aufmerksamkeit einsammeln. Pfui. Ich ducke mich weg, mir tut Anna leid und das Kleinkind auch. Kindererziehung ist auch nix für unseren Josef, scheint mir, der übrigens – noch eine Ähnlichkeit mit Becker, Gewichtsprobleme hat, die werden, weiß ich von meinem Vater, im Alter schlimmer – klar, es schwankt, aber tendenziell geht’s eben doch immer nach oben... Aber ich will von dem älteren zwei Menschen erzählen, die dann hereinkamen. Der Greis fein angezogen, aber auch lässig. Diese Mischung aus edlen Stoffen und intellektueller Verschlamptheit – find ich ja sexy. Ziemliche Glatzenbildung, aber hübscher Haarkranz, der noch lustiger aussieht, wenn man ihn nicht kämmen würde, Brille, Hut und der Alte guckte ein bisschen so naiv wie der Balg von Anna und Josef . Seine Begleiterin wirkte muttihaft, Tüten hatten beide, und taten sich mit der Platzwahl sehr schwer. Der eine ist nicht schön, der andere schon besetzt, und auf dem dritten sitze ich. Und gucke einfach so, wie ich halt gucke und dann streckt der Greis einfach seine Zunge raus. Und meint – ohne jeden Zweifel – mich. Das Einstein ist kein Ort, wo man Zungen herausstreckt. Ehrlich gesagt: ich konnte gar nicht mehr weiter arbeiten, weil mich das so irritiert hat. Versuchte zwanghaft nicht mehr hinzugucken. Ob er mir noch mal die Zunge raus streckt? Da ich stundenlang im Einstein verweile, wenn ich schon mal dort bin, erlebte ich den Abgang des Paares. Ich sprach ihn an „Warum haben sie mir die Zunge rausgestreckt?“. Der Mann guckte verblüffend gütig, seine Begleiterin ergriff für ihn das Wort: „Er musste seine Aggressionen loswerden, und da haben sie’s abgekriegt!“ Hm, dachte ich mir, während sie sich über meine Blätter beugte und fragte: „Schreiben Sie an einem Buch?“. Sie sagte: „Davon kann man aber nicht leben!“ und fügte schnell hinzu: „Aber, das wissen sie ja!“. Das Paar ging ab.
    Kaum waren sie draußen, fiel der Groschen. Der Zungenblecker - war das nicht der Dichter Peter Rühmkorf? Daheim googelte ich nach Bildern und voilà: er war es. Kann der denn von seinen Büchern leben?, fragte ich mich. Ich meine, er war gut angezogen. Nachts als ich nicht schlafen konnte, zog ich meinen einzigen Rühmkorf vom Bücherregal und las darin: „Der Hüter des Misthaufens“.

  2. #2
    Member Avatar von Effe Oberg
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  3. #3
    Avatar von Goodwill
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    Mit Blick auf das oben postierte Bild kann ich nur sagen: Das "Einstein" ist sehr wohl geeignet. Es gibt keinen besseren und passenderen Ort, um Zunge zu zeigen und wirre Grauhaar-Frisuren aus zu führen. Es entspräche auch dem genius loci, relativ berechnend zu wirken, die Kuchen-Kalorien mit der Masse-mal-Lichtgeschwindigkeit-zum-Quadrat-Formel zu bestimmen und so Zeug. Ich finde, der dürre Rühmkorf kriegt in dieser Geschichte dank seiner Frau gut die Kurve.

    Mein bisher einziges Rühmkorf-Buch übrigens: Tabu I. Nicht zu Ende gelesen wegen der unaufgeregten Literatur-Groupie-Szenen.

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