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Thema: Wolfe, Tom

  1. #1
    Moderator Avatar von Klede
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    Wolfe, Tom

    Zweimal bin ich durch selbst mir vollkommen unerfindliche Gruende zu Abendessen eingeladen worden, an denen im einen Fall ein beruehmter Schriftsteller, im anderen Fall ein beruehmter Regisseur teilnahmen. Das Abendessen mit dem Regisseur, John Waters, war furchtbar. Waters hatte die sehr lustige Eroeffnungsrede fuer ein Filmfestival gehalten und wurde danach von irgendwelchen Studenten ausgefuehrt, zu einem Vietnamesen, wenn ich mich recht erinnere. Es war unglaublich deprimierend, die Studenten (darunter auch die kokainsuechtige, mittlerweile in Los Angeles lebende June, die mir in unregelmaessigen Abstaenden seltsame Fragen mailt, die ich wortreich beantworte, worauf sie wiederum nicht antwortet. Letzte Frage: "Did Robert ever have a crush on me? Please be honest." Ich kenne keinen Robert.) stellten Fragen wie "John Travolta. Gay or straight?" John Waters, immer verzweifelter, antwortete: "Look, I really don't know. I just don't know." und man konnte kleine Schweissperlen auf seiner Stirn sehen.

    Das andere Abendessen fand 1996 statt, oder 1997, ich weiss nicht mehr genau. Tom Wolfe war von der Uni eingeladen worden und hielt eine Rede ueber Neurowissenschaft, gemischte Studentenwohnheime und Zeitgeist (er benutzte das deutsche Wort, bezog sich die ganze Zeit auf Nietzsche), der Zusammenhang war mir nicht ganz klar, aber ich war begeistert, lachte und klatschte, auch wenn ich kein Wort verstand. Wolfe sah einfach sensationell gut aus und sprach so, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Er haette Einkaufszettel vorlesen koennen, es haette nach den geistreichsten Bonmots geklungen, man haette seinen Witz und Geist gepriesen, zurecht. Darueber hinaus sah er exakt so aus, wie man es von Fotos kennt: weisser Anzug, Gamaschen, eine Blume im Knopfloch, es war sensationell. Bei Günter Grass bin ich auch immer wieder ueberrascht, wie sehr er genau so aussieht, wie ich ihn mir vorstelle, wenn ich ihn mal im Fernsehen sehe. Allerdings bin ich bei Grass immer furchtbar enttaeuscht, zu Geld gekommener Deutschlehrer ist nun mal kein Style, der mich vom Hocker reisst. Wolfe hingegen: einmalig, unangestrengt, anders duerfte er gar nicht aussehen. Das unterscheidet ihn uebrigens von Waters, bei dem der Bart, die Frisur, die Kleidung immer noch etwas geliehen aussehen, zu ueberlegt und berechnend.

    Der eigentliche Moment, von dem ich allerdings berichten will, kam waehrend des Abendessens. Es waren alle moeglichen Leute da, eine Riesentafel. Auch die beiden semiprominenten Schriftsteller, die an der Uni unterrichteten, Carol Maso (heisst wirklich so, schreibt postmoderne Sexschinken) und Robert Coover (etwas bekannter, erzaehlt ab und zu Maerchen neu, als postmoderne Sexschinken) waren da, Wolfe schien sie nicht einmal wahrzunehmen. Erst gab es eine Suppe oder Schnittchen, keine Ahnung, dann aber wurden Salatteller gereicht. Riesig grosse Salatblaetter haeuften sich auf den Tellern, mit reichlich dunklem Dressing benetzt. Als der Teller Tom Wolfe serviert wurde, kam es mir so vor, als ob sich die bis dahin reichlich langweilige und zerfaserte Gesellschaft mit einem Mal gleichzeitig zusammenriss und nur auf einen Punkt konzentrierte: wie wuerde Wolfe, immer noch seinen bluetenweissen Anzug tragend, mit diesen riesigen Salatblaettern umgehen? Wuerde er ihn ueberhaupt anruehren, das Risiko eingehen, dass ein Salatblatt von seiner Gabel rutscht oder ungeschickt auf dem Teller verrutscht, dunkles, oeliges Dressing auf seinen Anzug spritzend? Wolfe war die Anspannung, die sich mittlerweile im Raum angesammelt hatte und vor sich hin surrte, nicht anzumerken. Er sagte irgendwas, ich konnte es nicht verstehen, ich starrte nur auf seine Haende, die Lautstaerke war runtergedreht, das Rauschen in meinen Ohren war lauter als alles andere, ich starrte auf seine Haende, die vollkommen gleichgueltig und in Zeitlupe nach dem Besteck griffen und mit einer Leichtigkeit die riesigen Salatblaetter falteten, zu kleinen, mundgerechten Happen falteten, durch die Wolfe mit einem kurzen, perfekten Ruck seine Gabel stach. Der Salat schien vorgefalzt zu sein, mit so einer Widerstandslosigkeit liess er sich von Wolfe falten und in den Wolfeschen Mund fuehren. Selten sah ich einen Akt solcher unmessbaren Schwierigkeit mit solcher Nonchalance und Eleganz vorgefuehrt. Den Rest des Abends habe ich vergessen.

  2. #2
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    ...
    Geändert von Grinsekatze (29.05.2006 um 23:53 Uhr)

  3. #3
    Avatar von slowtiger
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    Dressing for Pleasure.

  4. #4

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    Ich finde, du hast Thomas-Bernhardsche Qualitäten, Klede. "Holzfällen", kennst du das Buch?
    Not bad at all, die Geschichte.
    Leider hat Hanswasheiri vergessen, mir das Bläuen beizubringen.
    Ich werd ihm die Ohren lang ziehen.

  5. #5
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Nichts leichter als das!

  6. #6
    Avatar von Bartholmy
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    So habe ich mir Wolfes Tischmanieren vorgestellt, oder so ähnlich; jedenfalls anders als die von Hunter S. Thompson.

    Es geht auch anders:

    I'd discovered, after a lot of extreme apprehensions about what spoons to use, that if you do something incorrect at table with a certain arrogance, as if you knew perfectly well you were doing it properly, you can get away with it and nobody will think you are bad-mannered or poorly brought up. They will think you are original and very witty.

    I learned this trick the day Jay Cee took me to lunch with a famous poet. He wore a horrible, lumpy speckled brown tweed jacket and gray pants and a red-and-blue checked open-throated jersey in a very formal restaurant full of fountains and chandeliers, where all other men were dressed in dark suits and immaculate white shirts.

    The poet ate his salad with his fingers, leaf by leaf, while talking to me about the antithesis of nature and art. I couldn't take my eyes off the pale, stubby white fingers traveling back and forth from the poet's salad bowl to the poet's mouth with one dripping lettuce leaf after another. Nobody giggled or whispered rude remarks. The poet made eating salad with your fingers seem to be te only natural and sensible thing to do.

  7. #7

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    Absatz 1 macht meinen Tag.

  8. #8

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    Mir ist dagegen der vorgefalzte Salat nie aus dem Kopf gegangen, nur wußte ich die Zusammenhänge beim besten Willen nicht mehr. Danke für's Ausgraben!

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