Es war zu der Zeit, als ich selber Hitze noch überhaupt nicht vertrug. Die Temperatur im ersten Wiener Gemeindebezirk erreichte damals praktisch nie dreißig Grad Celsius. Mir war es trotzdem zu heiß. Deshalb traute ich meinen kurzsichtigen Augen nicht:
Auf dem Gehsteig einer Gasse namens Tuchlauben ging Robert Mitchum einher. Er tat, was in dieser Gasse an einem heißen Tag sehr viele Passanten tun: Er schleckte ein Eis in der Tüte. Ein rosa Eis. Erdbeere? Himbeere? Wassermelone war damals noch nicht.
Es gibt in dieser Gasse einen berühmten Eissalon, von dem sich ein steter Strom von Eisessern in beide Richtungen wegbewegt. Aber Robert Mitchum ging recht allein auf dem gegenüberliegenden Gehsteig, Richtung Kohlmarkt, der damals keine besondere Adresse war. Ich kam von da. Ich sah und erkannte ihn von weitem.
Er trug eine mitteldunkle Hose, ein weites helles Hemd darüber flatternd. Vielleicht sogar kariert. Er ging seinen unverkennbaren Gang. Ein bisschen schlaksig, ein bisschen aus der Hüfte. Völlig versunken in den Genuß von diesem rosa Eis. Es rührte mir ans Herz. Ich sah das Bübchen Mitchum über seine Nasenspitze auf das Eis schielend, er war ganz bei sich.
Im Moment als ich dies wahrzunehmen glaubte, war ich an ihm vorbei. Damals hätte ich einen Prominenten nie dadurch behelligt, daß ich mich nach ihm umgesehen hätte. Ich blieb also allein mit dieser Erscheinung. Und mit der Frage, ob er es überhaupt war.
Am nächsten Tag hatte ich im Hilton einen berühmten Grafiker abzuholen. Der Mann hatte angeblich "Bravo" erfunden. Nun denn. Ich wartete also am Lift, da er mit einem Haufen Mappen zu erscheinen gedachte und Hilfe angefordert hatte. Die Lifttür glitt sanft auseinander und vor mir stand: Robert Mitchum. Ich strahlte ihn an und sagte entgegen meiner damaligen Weltanschauung: Grüß Gott! Er nickte kurz und war Robert Mitchum.
Ich hatte Robert Mitchum mit einer Tüte rosa Eis in der Tuchlauben gesehen.
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