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Thema: Die schöne Unbekannte, und Karasek

  1. #1
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    Die schöne Unbekannte, und Karasek

    Ein Salonabend. Ein Kunstsalon, in Berlin Charlottenburg. Ich bin zu früh dran und schaue mir die teuren Karossen auf der Strasse an, lauter Wagen, die in der Mitte flacher sind als an den Enden. Ich bin vorm Engang mit einer Freundin verabredet und sehe leicht beunruhigt, dass ich doch besser nicht meine Pferdehackenschuhe hätte anziehen sollen. Hier schweben lauter Damen auf sehr filigranem (hinten) und spitzem Schuhwerk in den Eingang, Perlen blitzen usw. Das Schuhwerk ist wichtig bei solchen Anlässen, einmal weil der Blick da endet und zweitens weil man daran die Habituees erkennt. Oben, im vierten Stock, werden wir von einem Diener empfangen, der uns die Garderobe abnimmt und zum Gästebuch nötigt. Als wir einen eleganten Haken schlagen wollen, nimmt er uns am Arm und sagt, das sei Pflicht. Ich habe mich nicht getraut, im Gästebuch zu blättern, aber es war dick und schon sehr voll. Die Lage der Wohnung im Vierten hatte mich beruhigt, aber nichts da, die Räume sind auch dort so hoch wie hier in Prenzlauer Berg höchstens die Treppenhäuser.

    Wir bekommen Weißwein und stehen vor Beginn der Veranstaltung noch eine Weile im Berliner Zimmer um die Tafel. Die Gastgeberin begrüßt uns persönlich und erkundigt sich ganz unauffällig, wer wir denn seien. Als das geklärt ist (Wir dürfen bleiben) gesellen sich plötzlich ein ganzes Rudel Gazellen um uns. Eine davon, eher Antilope, ist von ziemlich bestürzender Schönheit, zeitlos und unblond wie nur etwas. Ich bin sprachlos, muss aber auch nichts sagen. Sie hat ein dunkelgrünes Wollkleid an, schlicht natürlich, trägt dazu kleine rote Schuhe, die so ein paar Minuten hinter dem Zeittakt liegen, wie von einer Großtante aus den Zwanzigern geerbt. Plötzlich gucken alle in eine Richtung, und aus der blitzt es dann eine Weile lang. Wir hätten doch nichts dagegen, fragt die Gastgeberin, wir würden vielleicht in die BZ kommen. Als der Fototermin vorbei ist, sind die Damen alle wieder weg leider. Sofort bildet sich der nächste kleine Pulk. Ich fürchte weitere Fotos und versuche meine Schuhe zu verstecken, aber es ist bloss Herr Karasek. Die Berliner Pulkbildung ist sehr lustig, niemand will es gewesen sein und alle machen eine Art Ola mit total gelangweilten Gesichtern. Aber die Seismik hat die Menge vom Tisch entfernt und wir konnten in Ruhe das Abendessen nachholen.

    Später gab es noch einen langen und sehr bildreichen Vortrag über das tragische Schicksal der jüngsten Zarentochter, von galoppierender Schwindsucht dahingerafft im ersten Jahr ihrer glücklichen Verbindung mit einem hessischen Landgrafen, bei dem Herr Karasek natürlich in der ersten Reihe sitzen durfte. Herr Karasek interessiert mich nun überhaupt nicht, er ist unvermeidbar in Berlin. Viel aufregender war dieses grüne Ereignis. Als ich später aus meinem vollgestopften Abendtäschchen den Tabak befreien wollte, ist mir so ein A&P-Tütchen mit einem Papiertaschentuch runtergefallen, und die Frau in grün hob es mit den Worten „Oho, eine Dame läßt ihr Taschentuch fallen“ auf und gab es mir mit einem Lächeln zurück. Ich habe dannn noch ein paar weitere Dinge fallen lassen an dem Abend, und sie wurden immer sofort aufgehoben, leider von den vielen älteren Herren im Umfeld. Als einer dann noch sagte „Ich bleib wohl lieber in ihrer Nähe“ hab ich das Vorhaben aufgegeben. Ich habe also heut mit großer Begeisterung jemanden paparazzt, dessen Namen ich nicht weiß. Ich hoffe, dass sie morgen in der BZ steht, dann bin ich schlauer.

  2. #2
    Moderator Avatar von DonDahlmann
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    Ganz großes Gold.

  3. #3
    Avatar von slowtiger
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    Wirklich schön. Und mit lauter glitzernden Stellen.

  4. #4
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    Mildeblitzend Glanzgewimmel; und präzis beobachtet.

  5. #5
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    Umso feiner, weil's laessig runtergeschrieben wirkt und nicht auf Beeindruckung schielend stundenlang geschnitzt.

  6. #6
    Member Avatar von dipl.ix
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    „es ist bloss Herr Karasek“ glänzt besonders. ich überlege noch, ob ich mir nachher eine zeitung kaufen soll, in der gestern stand, dass helmut berger „gestanden“ habe, mit mick und bianca jagger sex gehabt zu haben und das sogar „gleichzeitig“.

    geht weiter schnitzen...

  7. #7
    Member Avatar von chuck
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    Das ist, finde ich, eine der besten Strangüberschriften weit und breit, weil a.: das Komma natürlich vollkommen angebracht ist und Sprachspaß verrät; und b.: der Name Karasek auf diese Weise die Paraphrase für den "bekannten Hässlichen" bildet. Ich begegnete Herrn Karasek genau wie Herrn Müller-Westernhagen am Tag vor Sylvester, aber nicht beim Knallerkauf, sondern in einem obszön überteuerten Fischgeschäft am Hamburger Eppendorfer Baum. Dort bekam man an jenem Tag nur Ware, wenn man Ende September vorbestellt hatte. Herr Karasek hatte, und zwar Wohlstandsware: Lachs, Kaviar, Flusskrebse (wobei das nun gerade die Liste der wenigen Artikel repräsentiert, die man nicht hatte vorbestellen müssen). Seine Tüte lag in der VIP-Reihe am Tresen und befand sich schon in der Hand der Verkäuferin, während er noch dabei war, seinen Namen, das Bestelldatum, die Umstände der Bestellung und den Inhalt der Tüte zu artikulieren (meine Tüte mit dem einzelnen Fisch, der etwas später in einer Salzkruste landen sollte, wurde lange gesucht, war nicht aufzufinden und musste durch einen anderen, grob ähnlichen Fisch ersetzt werden). Herr Karasek griff sich die Tüte, drehte sich um und schlurfte an der langen Schlange vorbei zum nächsten Punkt auf seiner endlosen Besorungsliste, und sein schweißnasses, fahles Gesicht erzählte jedem in der Schlange und jedem Verkäufer auf der endlosen Besorgungsliste die selbe Geschichte: Dieses ist ein verdammter Scheißtag, morgen wird ein verdammter Scheißtag sein, für den ich hier diese verdammten Scheiß-Einkäufe mache, was will ich überhaupt mit Lachs, da kann ich mir doch gleich Instant-Sodbrennen-Pastillen holen, und dann hab ich am Ende wieder die ganzen Kräuter vergessen, dann gibts die morgen nicht mehr, nur noch ein paar obszön teure Kartoffeln und ein schlaffes Bund Schnittlauch, und warum muss man Ende Dezember schwitzen wie ein Schwein, Sylvester ist schlimmer als Weihnachten und kaum hat man sich auch nur ein bisschen erholt, ist Ostern und Donnerstag bin ich schon wieder im Fernsehen, hab ich auch kein Bock drauf."

    Diese Botschaft vermittelte sich innerhalb einer Viertelsekunde und es gab Leute, die er länger angesehen hat. Andererseits unterschied sich das Gesicht nicht spürbar von dem, das er im Fernsehen macht, wenn ihm gerade eine längere Frage gestellt wird.

  8. #8
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    Ich stelle mir gerade vor, wie Karasek seinen Fisch in einem grob ähnlichen Fisch nach Hause trägt.

  9. #9
    Member Avatar von chuck
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    Hihi. Bleibt unkorrigiert.

  10. #10
    Avatar von Aporie
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    Ich bin Karasek nur ein einziges Mal begegnet, damals schlurfte er noch nicht, hatte kein fahles Gesicht, artikulierte weit über Tüteninhalte hinaus, und wenn er eine Botschaft in einer Viertelssekunde vermittelte, dann die, dass er auf seine Umgebung jungenhafter wirkte als er altersmässig tatsächlich war. Im übrigen erweckte er den Anschein, zu eingenommen zu sein von sich selbst, als dass er etwas, das er tat, hätte Scheiße finden können.

    Jahre später schrieb er dann ein Buch mit Geschichten, die Titel trugen wie "Als ich beinahe mit Heinz Rühmann Jaguar fuhr", "Wie ich Peter Handke mit einem Mädchen verwechselte" oder "Wie ich Max Horkheimer beim Binokel zusah".

    Wer hätte gedacht, dass er sich einmal Lachs, Kaviar und Flusskrebse kaufen würde?

  11. #11
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    Herr Chuck,
    wie fanden Sie denn nun Herrn Karasek in dem obszön überteuerten Fischgeschäft? Und was taten Sie eigentlich da?

    Vermutlich haben Sie eher zufällig oder absichtlich und über den Dingen stehend diesen Laden aufgesucht, um sich ganz zielsicher irgendeiner Prominenz zu nähern.
    Und wenn es dann auch noch so gut kommt, dass nämlich einer wie Karasek einen angewiderten Gesichtsausdruck hat, lässt sich das prima verwerten.

    Wie wäre Ihre Reaktion oder Beschreibung ausgefallen, wenn sich Herr Karasek, seiner Prominenz und Ihrer Anwesenheit bewusst, ganz anders gegeben hätte? Und welche geheime Botschaft (alternativ: welcher Sprachspaß) versteckt sich in Ihrem Sylvester?

  12. #12
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    ich lese das jetzt erst und wuchte, weil gut.
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