Es gibt gute Gründe, für die Strecke Hamburg Recklinghausen mit der Bahn zu fahren. Zum einen, wenn einen der Zug für ein langes Wochenende nach Hause bringt. Die Deutsche Bundesbahn spendiert drei Stunden Kontemplation im Großraumwagen, die Arbeit tröpfelt weg, der Walkman liefert den Einstiegssoundtrack für die nächsten den Tage und volle Bahn ist immer noch schneller als volle Strasse. Ladytron haucht mir in die Ohren, die Augen beginnen zuzufallen. Doch nein, wer strebt da mit hochrotem Kopf an mir vorbei, Jürgen W., Schattengestalt der Liberalen und alter Lieblingsfeind. Pappe verpflichtet, ruft mein Hirn mir zu.
Also Jürgen nach in den Speisewagen. Und tatsächlich, da steht er, der Ex-Vizekanzler, Ex-Wirtschaftsminister, und was weis ich noch alles an der schmalen Ausgabeluke des Bistrowagens und verlangt ein Bier und einen Korn. Nach Erhalt wird der Korn noch an der Theke geext und Jürgen stellt sich mit seinem Pils an den der Bar am nächsten gelegenen Stehtisch. Flugs bestellte ich auch ein Pils und mich dazu. Doch bevor ich mit Jürgen unseren Sozialstaat in Ordnung oder wenigstens Frieden im nahen Osten stiften konnte, kamen Jürgens Groupies zum Tisch. Beide in Jürgens Alter, beide männlich. Gemeinsam wurde dann erstmal Regierungsbashing ( Die trauen sich ja eh nie, die Wahrheit zu sagen.) betrieben. Noch zwei Kaffee für die Groupies, noch ein Gedeck für Jürgen. Es folgte die Aufzählung der Zipperlein, Jürgen hat es mit dem linken Meniskus, aber operieren lohnt sich noch nicht, nur das Fallschirmspringen soll er nicht übertreiben. Schade eigentlich.
Das Gespräch wird immer mehr zu einem Möllemannschen Monolog. Sein Kopf wird dunkelrot, im Schnäuzer sammelt sich Getränkereste, es folgen Geschichten aus dem Münsterland, von Männerlogen mit Eisbeinessen, vom Bauernpräsident von Heeremann, Möllifans in Erfurt und so weiter und so fort. Ein Groupie entschwindet in einem günstigen Moment, der andere lächelt versteinert, weiß aber nicht, wie er dem Monologisierenden entkommen soll. Die inzwischen fünf Herrengedecke zeigen Wirkung, Jürgen wird lauter, die Gesten ausladender. Ich werde in die Monologe mit Einbezogen, bezweifle vorsichtig die Möglichkeiten der Deutschen Bundesbahn, am Wochenende längere Züge einzusetzen oder aus dem Heer der Arbeitslosen massenweise Servicepersonal für die Züge zu rekrutieren.
Kurz vor Osnabrück gehe ich zurück zu meinem Sitz, leicht beschwingt durch 4 Pils. Und so einer war mal Wirtschaftsminister fährt es mir durch den Kopf, der hat Milliarden hin und her geschoben. Immerhin, für den äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass ich mal Milliarden bewege, gab es wenigstens einen vor mir, der auch keine Ahnung hatte.
Münster, Jürgens End- und mein Umsteigebahnhof. Jürgen erwidert leicht schwankend meinen Wunsch für ein schönes Wochenende und strebt leicht wankend dem Taxenstand zu. Keine Groupies, kein Empfangskomitee, keine Leibwächter.
Der nahe Osten hat mal wieder kein Glück gehabt.
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