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Thema: Carriere, Matthieu; einsam und verlassen

  1. #1
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    Carriere, Matthieu; einsam und verlassen

    Auch aus Lübecks kommen sogenannte Prominente.
    Nicht die kreativen Verstorbenen wie Thomas und Heinrich Mann, Erich Mühsam, Julius Leber, Erich Ponto oder Willi Brandt.
    Ich meine jetzt jene, die noch leben.
    Zum einen solche, die wirklich aus der Stadt kommen, jedoch schnell wieder verschwanden, wie beispielsweise Jörg Wontorra, Willi Lemke, Stephen Dürr oder die neue Viva-Moderatorin deren Name mir jetzt aber nicht einfällt.
    Sowie welche, die dort hinzugezogen sind weil sie sich gerne mit dem Namen, Ruf und Atmosphäre der Stadt und seiner kreativen Verstorbenen schmücken, wie Günther Grass oder Armin Müller-Stahl.
    Es gibt aber auch noch solche, die wirklich bedeutend sind (oder es waren) und unter den Lübeckern aber weitgehend unbekannt sind.

    Zu den letzteren gehören die Geschwister Carriere.
    Der Vater der beiden war als Psychologe oder Psychiater (so genau konnte man mir dass damals nicht erklären), als ein nicht unbedeutender dazu und hatte seine Praxis in der Aegidienstrasse, nahe der gleichnamigen Kirche, in einem verwinkelten und schmalen Altstadthaus.
    An der Eingangstür verhinderte während geöffneter Praxis ein breiter Lederriehmen, dass die Tür in Schloss fiel.
    An dieser Tür befand sich auch ein Messingschild.
    „Dr. Bern Carriere – Nervenarzt“ stand dort drauf.
    Als Kind bin ich da oft dran vorbeigekommen und fand dass ziemlich furchterregend.
    Den Lederriemen und den Nervenarzt verband ich damals unmittelbar mit Zwangsjacken und Schädelbohrungen; damit wollte ich eigentlich nichts zutun haben.
    Unvorstellbar also, dass die Kinder des Dr.Carriere kreative Schauspielgeister sein sollen.

    Die Tochter Mareike kannte man ja aus „Grosstadtrevier“, eine krimiähnliche Serie des Hamburger Volksregisseurs Jürgen Roland, eine Serie mit bürgerlichem Humor und einem freundlich erhobenen Zeigefinger, die den Fernseh-Konsumenten unterhaltsam über den Alltag der Polizei informieren wollte und natürlich nicht vergass aufzuzeigen, wo Recht endet und Unrecht beginnt.
    Mareike Carriere gab dort die die resolute Kommissarin Ellen Wegener, die Anfang der achtziger Jahre mit der Gleichstellung der Frau im Polizeidienst gleichsam eine der ersten weiblichen TV-Bullletin war.
    Die Mareike kannte man in Lübeck.

    Über den Sohn Matthieu hiess es jedoch, er wäre zwar schon ein grosser Mime, würde sich jedoch leicht selbst überschätzen und sich gerne Exzessen und Orgien hingeben – was auch immer damit gemeint war.
    Er hätte bereits in grossen Produktionen mitgewirkt, internationale natürlich (eigentlich nur selbstverständlich für einen Ehemaligen des Katahrineums - das Katharineum gehört zu den vier grossen Gymnasien der Stadt und ist dabei sogar als ehemalige Klosterschulen eine der ältesten und historischten Schulen Europas, Mann und Mühsam besuchten bereits das Haus).
    Carriere spielte als Schüler irgendeine Figur während des Volksfestumzuges, ein kultur-historischer Festumzug, der sich jährlich einmal durch die Strassen der Altstadt quält.
    Dabei soll er dann für irgendeine Verfilmung als „Tonio Kröger“ entdeckt worden sein, dass Schicksal nahm mit ihm also bereits in Lübeck seinen Lauf.
    Ansonsten kehrt er regelmässig an den Ort seiner Kindheit zurück, schlenderte gedankenverloren durch Strassen und Gassen der Stadt oder schockte auf Kulturveranstaltungen wie den „Nordischen Filmtagen“.
    Matthieu Cariere gilt allgemein als exzentrisch, durchgeknallt und nicht unschwierig.

    Überwiegend lebt er jedoch in New York und war bisher für mich nur ein Phantom.
    In Filmen, die ich sah, wirkte er nie mit.
    Doch dann sah ich ihn irgendwann doch in einer Talkshow des Norddeutschen Rundfunks.
    Ziemlich unsympathisch, herablassend besserwissend und äusserst arrogant.

    Und wenig später auch real in der Lübecker Königstrasse.
    Da doch nur flüchtig, aber sehr direkt und daher genau: Er wirkte irgendwie traurig, verlassen und frustriert, schien aber dennoch nicht gebrochen.
    Später tauchte er dann immer wieder in Tak-Sendungen wie „Fliege“ auf und erzählte über seine Scheidung oder irgendwelchen anderen Privatangelegenheiten.
    Sowas nervt, besonders wenn man die künstlerischen Leistungen dieser Leute gar nicht kennt, jedoch ständig mit deren Problemen konfrontiert wird.
    Bei Matthieu Carriere war dass dann aber doch etwas anderes, ich dachte nämlich an den Lederriehmen damals und irgendwie tat er mir dann sogar etwas leid.
    Geändert von JPHintze (21.03.2004 um 00:41 Uhr)

  2. #2
    Moderator Avatar von rron
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    Der Lederriemen ist sehr schlüssig, vor dem Hintergrund, dass Dr. Carrière die Psychiatrie erlernte, als man dort noch glaubte, mit Elektroschocks therapieren zu können, wie man hier nachlesen kann.
    Warum heißt der Mann eigentlich wie eine Stadt in der Schweiz? Ist das nicht das Privileg der Kinder der Beckhams? Auch doofe Vornamen: Menzel und Mertel. So heißen zwei der Geschwister des deutschen Grand-Prix-Teilnehmers Max Mutzke, wenn man seiner Biographie glauben darf.

    Mit Mathieu verbinde ich nur, dass er so viel raucht, wie ein Mann, der total viel raucht und sehr gerne schwarz trägt, wohl weil er meint, dass das die Leute tun, die von anderen, nicht schwarz tragenden, für total tiefgründig gehalten werden, dabei werden sie meist nur für italienische Omis gehalten, oder für Cure-Fans.

  3. #3
    Moderator Avatar von rron
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    Was natürlich nicht heißen soll, dass italienische Omis und Cure-Fans nicht tiefgründig sein können. Logikfalle.

  4. #4
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    und wohl auch nicht, dass italienische omis nicht zugleich cure-fans sein können, zweite logikfalle.

  5. #5
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    Das mit dem Vornamen des Vaters erklärt sich meines Erachtens mit der, wenn auch eher selten gebräulichen, Verwendung der Kurzform von Bernhard.

    Die Verbindung mit dem Rauchen und der vermutete Hang zum Finsteren ist durchaus nicht von der Hand zu weisen - das ganze kommt ja schliesslich noch dicker; dazu aber in einigen Stunden mehr...

  6. #6
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Stichwort berühmte Lübecker, da fällt mir immer die Bachmeier ein. Hatte durchaus ihre fünfzehn Minuten, wenn auch tragische.

  7. #7
    Avatar von Aporie
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    Mathieu Carrière sieht auch mir weißen Haaren noch wie ein Berufsjugendlicher aus. Das mag daran liegen, dass seine filmischen Großtaten schon sehr weit zurückliegen. Er war noch unter zwanzig, als er in "Tonio Kröger" und "Der junge Törless" spielte. Später war er hin und wieder als fieser Schönling zu sehen, am besten vor zwanzig Jahren in "Die flambierte Frau". In Interviews und Talk-Shows ist er wirklich unausstehlich.

  8. #8
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    Herr Carrière wird in unregelmäßigen Abständen von meiner Mama paparazzt, wenn er bei "Zippendorf" in Lübeck seine Brötchen holt. Meist trägt er dabei eine schwarze "Puk-die-Stubenfliege"-Brille und ist irgendwie umständlich beim Aufgeben seiner Bestellungen.
    Als es meine Mama das letzte Mal doch tatsächlich wagte, das Genie anzusprechen (mei, Mamas halt...) schnappte er sich plötzlich sein neben ihm wartendes Töchterlein und rannte ungestüm (ohne seine Brötchen aber dafür wild fluchend) aus dem Laden. Und hinterließ meine Mama mit einem Riesen-Fragezeichen im Gesicht.

    Ich selber habe ihn nur ein einziges Mal erlebt, als ich 1981 bei Filmaufnahmen in Travemünde als Kind gegen Bezahlung zweimal durchs Bild laufen durfte (siehe auch "Armin-Müller-Stahl"-Strang). Komischer Film, von dem ich nie wieder irgendwas gehört habe. Und Herr Carrièrewar damals schon ganz die Diva, daran kann ich mich noch dunkel erinnern.

  9. #9
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    Sowas nervt...
    alles gesagt, mit nur zwei worten!

  10. #10
    Avatar von Aporie
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    Noch nervender sind nur 0-postings

  11. #11
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    Neben Brian Ferry und Mathias Habich war M. Carrière wohl der Prominente, fuer den ich mit 13 am meisten schwaermte, und uneingestanden wahrscheinlich auch etliche Jahre laenger. Rueckblickend betrachtet hatte ich damals wohl eine Zwangsfixierung auf Leptosomen mit Gesichtern, deren Ausdruck Intelligenz, Sensibilitaet, Arroganz, Leiden am Leben und einen Hauch der Langweiligkeit vereinen, die man Buchhaltern gerne zuschreibt. Himmel, fand ich Mathieu schoen! Das aenderte sich selbst da nicht, als mir auffiel, dass er in Serien wie "Ein Mann will nach oben" immer dann besonders gut und glaubwuerdig wirkte, wenn die Rolle ein gewisses Mass an Herrenreiterei, schnarrenden Befehlston und selbstmitleidige Ruecksichtlosigkeit verlangte. Ich fand ihn halt schoen.

    Bei rechtem Licht betrachtet, finde ich ihn wohl heute noch eine halbwegs attraktive Erscheinung -- sofern er den Mund haelt!!! Seine Talkshow-Auftritte, in der er seine Ex-Frau mit Haeme ueberzog und in der er traenenreich versuchte, ihre Vorwuerfe des Missbrauchs der eigenen Tochter zu entkraeften-- diese Mitleid heischenden Brabbeleien und die Zurschaustellung seiner gequaelten Seele gehoeren mit zum Peinlichsten, was Prominente mit Intellektualitaetsanspruch (den M.C. ja vor sich her schwenkt wie eine riesige Kriegsfahne) bisher so angesondert haben.

    Den allerletzten Fetzen aufrechterhaltender, kritikloser Teenieschwaermerei verlor ich wohl bei seinem Auftritt bei "Zimmer frei". Fuer diese Sendung hatte sich Herr Carrière ganz offensichtlich eine Charme-Offensive vorgenommen. Er wollte als lockerer Sympathietraeger rueberkommen, als kluger, freundlicher Mann, den das Leben ein bisschen gebeutelt hat, der aber trotzdem noch cool, lustig und energiegeladen ist und voller spritziger Ideen steckt, usw. Viel auf der Agenda also, aber als Schauspieler mit Image- und Geldproblemen muss man halt was tun, wenn's was werden soll mit dem Come-Back.

    Ob er inzwischen wieder haeufiger besetzt wird, weiss ich nicht. Die Charmierung der fernsehguckenden Nation von Hausfrau bis Castingagenturchefin jedenfalls ging gruendlich daneben. Was sicher auch daran lag, dass er bereits bei Aufzeichnungsbeginn schon ziemlich angetuetert war. Wahrscheinlich hatte er sich die Nervositaet wegsaufen wollen, vielleicht waren auch ein, zwei Pillchen im Spiel. Waehrend der Sendung dann kippte er Alkohol in sich hinein, als gaebe es morgen keinen mehr zu kaufen. Sein erprobtes (und gewoehnlich gut anzuschauendes) Laecheln, das er penetrant und zunehmend verzweifelt einsetzte, verrutschte immer mehr zum reinen Angstblecken. Seine fuer die Sendung bewusst weichgespuelte Stimme kippte bei Fragen und Scherzen, die er nicht kontern konnte (und das waren viele) immer mehr ins Harsche bis Hysterische -- kurzum, er benahm sich wie verlallter Mann, der hinter sich nur noch das Kreuz hat, an das er bereits mit einer Hand genagelt ist. Schlimm. Sehr, sehr erbaermlich, das!

    Aber wo ich gerade so ueber Optik bzw. oberflaechliche Gruende fuer's Gutfinden von Maennern nachdenke: Traefe ich heutzutage einen Strammticker, der so ausschaut wie Herr Carrière oder Herr Habich an guten Tagen ausschauten, oh hey, wahrscheinlich wuerd ich begeistert in Flammen aufgehen, so wie vor tausend Jahren, bei Georg F., Magnus R. und Tommi A..

  12. #12
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    Carriere, Take II

    Viel später; es war erst vor einigen Monaten (kommt mir also fast noch wie gestern vor), traf ich ihn dann leibhaftig, in Aktion sozusagen, und das war nicht von „schlechten Eltern“, und dass ganze dauerte sogar wesentlich länger als der besagte verhuschte Augenblick auf der Strasse.
    Schauplatz des Auftritts dieser wirklich theatralischen Leistung des Herrn Carriere war das „Cafe Art“ in der Lübecker Kapitelstrasse, einer Nebenstrasse der Mühlenstrasse, gleich kurz vor „C&A“ rechts rein.
    Das „Cafe Art“ gehörte zu den geschäftlichen Existenzen der Stadt, die trotz Rezession, Erwerbs- und Kaufkraftlosigkeit immer noch mit Gewinn existieren und dabei sogar auf eine lange Firmengeschichte zurückblicken können.
    Das liegt vermutlich daran, dass diese Lokalität hauptsächlich von oberen Schülern während der grösseren Pausen und Freistunden frequentiert wird.
    Mit den Schülern der Oberschule zum Dom, zumindest mit der Masse, hatte der Wirt des „Art“ also ein einträgliches Geschäft.
    Ursprünglich hiess es „Cafe & Friseur Art“, der Friseur rentierte sich aber nicht mehr.
    Jetzt also nur noch Cafe und Art, wobei letzteres sich oft in interessanten Fotoausstellungen manifestierte.

    Es könnte also letzten Herbst gewesen sein, es regnete „Katzen und Hunde“, das Stadtarchiv hatte geschlossen und Fotos knipsen brachte bei diesem Wetter auch nichts, es mich in dieses „Art“ verschlug.
    Zudem waren vermutlich Schulferien, das Lokal waren jedenfalls bis auf wenige Plätze leer. Im Vordergrund die üblichen älteren Herrschaften und Muttis, vom Einkaufsstress Pause machend, in den hinteren, verwinkelten Räumen des Altstadthause nur in der einen Ecke die, grundsätzlich in Cafes überall präsenten, guten Freundinnen beim Plausch und an einem Tisch in einer anderen Ecke, direkt an der Tür zum Biergarten, schien ein einzelner Herr zu sitzen.
    Dort lagen die offensichtlichen Utensilien des Mannes, eine angebrochene Schachtel filterloser Zigaretten, die Frankfurter Allgemeine, eine Tasse mit einer umständlichen Kaffee-Spezialität und, im Aschenbecher davor, eine noch glimmende Kippe.
    Ich setze mich in diesen Raum an einen kleineren Tisch an einer der inneren Ecken und wählte selbstverständlich, wie es in Norddeutschland Sitte ist, die weiteste Distanz zu den anderen Gästen.
    Ausgerechnet hinten, da ich ebenfalls zum Pflanzenrauch tendiere, im vorderen Bereich des Hauses das Rauchen jedoch untersagt war.
    Mittlerweile kam der Herr des Tisches gegenüber wieder zum Vorschein, ich bemerkte sein kommen aus dem vorderen Bereich, nahm aber davon keinerlei Notiz, da ich mich der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ widmen wollte, die neben anderen Publikationen den Gästen hier zur Lektüre zur Verfügung steht.
    Im Hintergrund lief moderner Jazz, neben meiner Kaffeemischung und journalistischen Beiträgen aus aller Welt genoss ich also auch noch eine Melange aus elektronischem, trancelastigem Jazz und einem dezenten Gesprächs-Klangteppich von den benachbarten Tischen.

    Irgendwann signalisierte das digitale Geplänkel eines Handys Aufmerksamkeit, nach etwa 30 Sekunden bequemte sich der Eigner, auf das Signal zu reagieren.
    Es war das Kommunikationsmittel des Herren dort drüben, wie vielleicht der ein oder andere bereits vermutet.
    „Jaaaaaahhhhh !??“
    Nach einem Augenblich etwas genervter: „Und??? Dann funktioniert es eben nicht. Wegen einem Staubsauger kann man doch nicht zu einen Zirkus veranstalten. Schmeiss ihn weg!“
    Pause.
    „Ja, schmeiss ihn weg – Du kannst Deiner Mutter ruhig ausrichten, dass ich Dir das so gesagt habe“.
    Wieder Pause. Dann wurde das Gespräch plötzlich sehr leise weitergeführt, vermutlich aufgrund der musikalischen Pause der Hintergrunddudelei zwischen zwei Kompositionen (vielleicht wurde auch Tape oder CD gewechselt), so dass ich nichts mehr verstand. Die anderen, die beiden Freundinnen der gegenüberliegenden Aussenecke, verstanden vermutlich auch nichts mehr, denn es war plötzlich völlig still.

    Erst jetzt wurde mir klar, dass es sich bei dem mondänen Herren von gegenüber aller Wahrscheinlichkeit um Matthieu Carriere handelte, denn seine Stimme befand sich noch eindrucksvoll im Gedächniss.
    Leider, den ich machte mir seit Kenntniss seiner eher trivialen Auftritte so meine Gedanken. Das ich den jetzt hier hatte, würde die Sache nur unnötig intensivieren, so befürchtete ich zumindest.

    Die Musik setzte sich alsbald fort und damit auch langsam die Gespräche der Freundinnen.
    Nach einigen Minuten, höchstens zwei, erklang das mobile Telefon des Herrn Carriere erneut – diesmal, so konnte man deutlich hören, vermutlich ein Gespräch aus Übersee; jedenfalls schien sein Gesprächspartner die englische Sprache der deutschen vorzuziehen.
    “No, forgetit, forgetit!“.
    Doch wie erwartet leiser wurde er nicht, er schien sich sogar mehr und mehr in den offensichtlichen Ärger hineinzusteigern und versuchte, die Tür zum Gartenbereich zu öffnen.
    Draussen bückte er sich dann synchron zu seinem Gespräch und bewegte sich umständlich im Regen.
    Mehr als die Frage, ob es bei derartigen Klimabedingungen nicht zu einem gefährlichen Kurzschluss in den Akkumulatoren des Telefons kommen könnte, beschäftigte ich mich mit der Situation des Matthieu Carriere.
    Obwohl ich dass gar nicht wollte und mich dieses doch von den viel wesentlicheren und wichtigeren Weltneuigkeiten des Hamburger Nachrichtenmagazins abhielt.
    Denn eine wirkliche Traurigkeit erhielt die Szene durch die Tatsache, dass nach dem Gespräch Herr Carriere sehr ernst und in sich gekehrt, allerdings nur kurz, zwischen Garten und Tür, förmlich innerhalb des Rahmens, ausharrte.
    Das ganze wiederholte sich innerhalb 16 Minuten etwa zwei weitere Male, jedesmal verzog sich der Schauspieler in den Garten und sein hühnerhaftes Gescharre sah immer mehr wie der Tanz eines Derwisch aus – hätte es nicht geregnet, könnte ich schwören, nach dem letzten Gespräch Tränen des Künstlers bemerkt zu haben.
    Mittlerweile sah ich genauer hin, mir brauchte die Show schliesslich nicht peinlich zu sein.
    Nachdem er sich jetzt also sicher sein konnte, von jedem „irgendwie“ erkannt worden zu sein, schaltete er seinen Apparat vermutlich ab. Denn nachdem er sich anschliessend seiner Zeitung widmete, blieben die Anrufe aus.
    Kurz bevor ich zahlte und gehen wollte, versuchte Herr Carriere noch Kontakt zu den beiden Freundinnen aufzunehmen, beide schafften es jedoch noch vor mir, ihre Zeche zu begleichen und die Szenerie zu verlassen.
    Nun hauchte bereits Sade im Hintergrund, und der unerwartete Charme des Matthieus liess die Atmosphäre abrupt ins pornolastige Abgleiten.
    Ich beeilte mich hinaus in den Regen zu kommen, liess Matthieu mit seinem Handy (ein wahrer Partner der Dramaturgie) alleine, zahlte sogar am Tresen und war plötzlich irgendwie froh.

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