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Thema: Richard in der Löwenstadt

  1. #1
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    Weizsäcker, Richard von (Richard in der Löwenstadt)

    In sprachloser Bewunderung hier vertretener Autoren und im Angesicht zahlreicher interessanter Stränge möchte ich mein Debut jetzt und an dieser Stelle; - naja..., mehr oder weniger "zum Besten" geben.

    Da hat sich in der Tat in den letzten Jahren das eine und andere angesammelt, dass der hier Kundige als "paparazzen" umschreibt, ich selbst hingegen eher als "Karambolagen" zu bezeichnen pflege.
    "Karambolage", also der unfreiwillige und nicht geplante Zusammenstoss mit mehr oder minder bekannten Zeitgenossen, ist dabei jedoch ein Begriff, der vom grossen Hellmuth Karasek geprägt wurde; einem Zeigenossen übrigens, der mir persönlich bisher nie untergekommen ist, wohl aber meiner Freundin im IC-E zwischen Leipzig und Hamburg, eine, allerdings, völlig andere Geschichte ...
    Ansetzen möchte ich vielmehr zu einer Zeit, die mittlerweile einige Jahre zurück liegt, genauer: zu Beginn der Neunziger Jahre.

    Richard von Weizsäcker bekleidete das Amt des sechsten Bundespräsidenten und besuchte Lübeck im Rahmen der Neueröffnung des berühmten "Buddenbrook-Haus", (beziehungsweise der Eröffnung des dortigen "Heinrich-und-Thomas-Mann-Zentrum") wovon ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nichts wusste.
    Einer Zeit, die von mir überwiegend mit praktischer Philosophie ausgefüllt wurde; hatte also die Pubertät (war damals etwa 19) zu diesem Zeitpunkt schon bis zur Entdeckung des Gehirns, des Denkens und Versuchen der Selbstfindung, absolviert.

    Nachdem ich also nach mir selbst suchte, (ich befand mich in diesem Augenblick am Fuss der Lübecker St.Petri-Kirche und bewegte mich in Richtung Schmiedestrasse, Ecke Holstenstrasse) vernahm ich die empörten Klarstellungen eines Mannes in den besten Jahren.
    Der alte Mann schimpfte gar laut und schien wohl irgendwie und von irgendwem belästigt.
    Es war wohl ein Sonntag, (in den Strassen der Lübecker Altstadt war jedenfalls ziemlich wenig los und es war auch noch nicht sehr spät) denn schnell war die Ursache des historischen Zwischenfalls auszumachen.
    Etwa genau gegenüber dem Parkhaus Schmiedestrasse bewegte sich, das konnte ich jetzt genau erkennen, ein älteres Ehepaar, gefolgt von jungen, sportlichen Herren, so etwa drei oder vier.
    Je näher das Grüppchen kam, umso besser verstand man den Dialog und erkannte, dass es sich bei den jungen Herren weder um Kriminelle, noch um Bettler und schon gar nicht um bedürftige Punks handelte (wie es eventuell unbekannte Dritte annehmen konnten).
    Dieser Herr, der mich damals in dieser Situation sehr stark an den Berliner Volksschauspieler Günther Pfitzmann erinnerte (mag vielleicht auch nur durch den erlebten berliner Slang beeinflusst worden zu sein), machte die jüngeren Herren sehr direkt darauf aufmerksam, dass auch er und seine Frau Anspruch auf Privatspähre hätten und mindest in angemessenen Rahmenbedingungen etwas mehr Raum einzuräumen wäre - ausserdem sei man doch in Lübeck, da passiere sowieso nie etwas!

    Auf etwa sechs bis sieben Meter, ich befand mich jetzt unter den Verkaufsarkaden eines Juweliers, direkt an der Ecke Holstenstrasse (hier musste der Mann jetzt auch vorbei), war mir verhältnismässig schnell klar:
    Das da ist Richard von Weizsäcker samt Gattin!
    Er grüsste kurz ("Tach"), mir völlig unverständlich, (vermutlich stand ich irgendwie dumm herum, mit offenem Mund oder ähnlichem) und bewegte sich mit Frau und anbeamteten Tross in Richtung Kohlmarkt, warscheinlich direkt zum Eingangs erwähnten Buddenbrookhaus.

    Mich persönlich beschäftigte diese Karambolage, vielmehr die Frage nach den Hintergründen der zitierten "Rahmenbedingungen", noch während der nächsten Jahre; zumindest gedanklich.
    Wollte Richie, wie er in den Kreisen seines alternativen Freundes Wolfgang Neuss genannt wurde, mit seiner Gattin nur mehr Raum oder gar mehr Intimität?
    Was macht man mit Bodyguards bei Familienbesuchen?
    Was ist, wenn Richie mal einen kiffen wollte? Würden die Herren auch einen mitkiffen?
    Und vor allem: Warum und was zum Teufel passiert hier in Lübeck nicht?

    Eines schien jedoch glasklar: Das Leben, ob als Repräsentant oder Staatsdiener, ist kein Spaziergang!
    Womit ich wieder was gelernt hätte.
    Dachte ich jedenfalls damals.
    Völliger Unsinn, weiss ich heute.

    Zugegeben: diese Karambolage stellt seitens des Unterhaltungswertes nicht unbedingt grosse Flexibilität unter Beweis; ist aus meinem Repertoire jedenfalls die älteste und stellt somit auf jeden Fall einen Anfang dar, oder?
    Geändert von JPHintze (14.03.2004 um 01:57 Uhr)

  2. #2
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Das ist ja völlig entsetzlich.
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  3. #3
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Rührend sympathisch hingegen: Sie haben ja mal für ZILLO geschrieben! Für olle EASY ETTLER!!!!!!!!!!

    Können Sie DARÜBER nicht mal was schreiben?
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  4. #4
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Ich hab mal in der Zillo eine Kleinanzeige veröffentlicht, über die ich sys kennengelernt habe!
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  5. #5
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    1989! Da wart ihr noch in Abrahams Wurstkessel, wenn ich das mal so salopp sagen darf.
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  6. #6
    Avatar von Werrnerr
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    Eigentlich wollte ich jetzt schlafen gehen. Aber das kann nicht meine Gute-Nacht-Geschichte sein. Ich muss jetzt also noch was anderes lesen. Nee, wa?

  7. #7
    Avatar von Herr Genista
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    Sind Sie immer so geschwätzig wenn Sie sprachlos bewundern?
    Zeterum zenseo.

  8. #8
    Avatar von Alberto Balsam
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    "Produkt einer deutsch-jüdisch/ französischen Paarung innerhalb eines alternativen Kommunarden-Projektes; aufgewachsen bei einer preussisch geprägten Pflegefamilie, nur unweit dem Schatten des Lübecker Holstentores entfernt,..."
    das Lübecker in "Lübecker Holstentores" kommt etwas unerwartet, Hintze, in Ihrer Biografie, ich hätte ein konfuzianisch-molukkisches Tor erwartet

  9. #9
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    .... natürlich ist die Kiste entsetzlich - habe aber auch nie etwas anderes behauptet!
    Und überhaupt: Diese, in der Tat völlig belanglose, Begebenheit ist hingegen ein Paradebeispiel für die tiefen melancholischen und öden sonntäglichen Momente in der barocken Kulisse des provinziellen Lübeck (fragt Bernd Begemann).

    Die Langweile dieser Szene spiegelt vielmehr meines Erachtens die städtische Enge wieder, der bereits Thomas Mann zu entfliehen versuchte. Und der hier, irgendwie, auch der Herr von Weizsäcker zu entfliehen versucht.

    Und nun zu Herrn Ettler:
    Ich habe garantiert auch kurzweilige, interessante Episoden auf Lager - aber viele haben wenig mit dem "paparazzen" an sich zu tun - vielleicht aber einige doch.
    1989 war wirklich interessant - vermutlich das wichtigste Jahr der Achtziger (kann aber auch nur ein persönlicher Eindruck sein...).
    In den Jahren davor, ich hing zu dieser Zeit überwiegend in irgendwelchen Mod-Szenerien herum und beschäftigte mich Ska, lernte ich "Easy" im Zillo kennen. Das war ein Club an der Untertrave, zunehmend düster aber dennoch offen für Subkulturen aller Art.
    Easy zimmerte regelmässig ein Zine zusammen, ich glaube der verehrte Stanley Head machte damals schon mit, das imponierte natürlich. Da ich zu dieser Zeit Schüler einer FOS in Hamburg war, blieben Kontakte zu anderen "hamburger Schülern", vornehmlich aus´m Kir, natürlich nicht aus. So kam es zu lustigen Abenden, an denen beispielsweise Rocko Schamoni überhaupt nichts mit Timo Blunck von den Grace Kairos anfangen konnte ...

    So richtig hatte ich aber weniger mit Easy zu tun - ich hielt jegliche musikjournalistische Ambitionen im Zaum und ging lieber für die nächsten Jahre zur Marine.

    Doch dann, es war wohl Mitte der Neunziger, begegnete ich Easy auf der Lübecker Kanaltrave. Er hatte da einen eigenen Kahn, unweit der Lübecker "Lachswehr" (historisches Gartenlokal, bekannt aus den Werken Emmanuel Geibel). Ich begann gerade ein Volontariat, wusste über eine Geschichte über Anzeigenkampagnen der rechten "Jungen Freiheit" im "Zillo".
    Eine vorgeschlagene Artikelserie über alte, neue, dumme und intellektuelle Nazis lehnte Easy jedoch ab ("... sind doch kein Nachrichenmagazin") und die ganze Geschichte war bald vergessen.

    Weitere Jahre später heuerte mich Joe Asmodo, Chefredakteur des Zillo, an. Easy war bereits an Krebs (?) verstorben. Chefredakteur und Sekretärin erbten den Zillo-Verlag und "wickelten" nun ab. Mit insgesamt fünf Leuten und vielen externen Schreibern wurde das Blatt gemacht. Nach ´nem halben Jahr wurde mir die Geschichte jedoch zu langweilig: Herr Asmodo bevorzugte wirtschaftliche Abhängigkeit von Industrie einer alternativen Ausgewogenheit. Ich nutzte stattdessen einen interessanten Labelkontakt für ein mehrmonatiges Praktikum in USA.

    Wieder viel später, es dürfte vor drei Wochen gewesen sein, traf ich einen ehemaligen Grafiker des Zillo - nachdem das Testament endgültig vollstreckt war, wickelten die beiden Erben ebenfalls die verbliebenen Arbeitsplätze ab und führten das Magazin seitdem "von zuhause aus", wie dieser erzählte.

    Easy soll übrigens doch, zumindest in den letzten Lebensjahren, ziemlich rechtsextrem gewesen sein. Angeblich lag die Beeinflussung durch eine Nazi-Gothic-Band nahe; selbst dem Kieler Verfassungsschutz waren entsprechende Geschichten bekannt. Easy, angeblich in jungen Jahren in Kreisen der Hamburger Motorad-Rocker "Hells Angels", vielleicht doch Drahtzieher rechtsextremer Unterwanderungsversuche der schwarzen Gothic-Szene? Wir werden es wohl nie erfahren.

  10. #10
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    So packend wie Opas Kriegserzählungen.

  11. #11
    muskatnusspferdchen Avatar von sys
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    wie gerührt war ich eben...
    und jetzt schieb gefälligst & endlich die originalen jochen-gewöhnt-sich-das-rauchen-ab-geschichten wieder rüber.

    ich hab dich doch lieb!
    habe nur für dich heute spontan einen ultimativen wortwitz gerissen:
    unfreiwillig und womöglich schon in irgendeinem programm gelaufen:
    "der ist nicht ganz koscher!"
    "was willste erwarten: der ist karabiner."

  12. #12
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Was Hintze da schrub, als Antwort, fand ich im Vergleich zum Einstieg wirklich interessant, denn die Zillo war schon, ähihi, eine sort of besondere Zeitschrift. Sie hatten auch ein verwegenes Verhältnis zur Lesbarkeit; manche Seiten waren in lila auf blau gesetzt. Erinnerte ein wenig an das Einschaltbild des Commodore 64.
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