Gesine Schwan war nicht immer Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, sie war auch mal Professorin am Otto Suhr Institut (OSI) für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin! Ein stolzes Institut! Das Institutscafé hieß "Geschwulst". Nach den Geschwulst-Parties war die Zebrastreifen-Aktion obligat. Sie bestand darin, mit weißer Farbe einen Zebrastreifen auf die Ihnestraße zu malen, eine harmlose Dahlemer Kleinstraße, auf deren zwei Seiten sich die Hauptgebäude des OSI gegenüber standen. Die Polizei wusste immer schon von den Geschwulst-Parties und beendete die Zebrastreifenaktion rechtzeitig nach Fertigmalung des Zebrastreifens. Der Autoverkehr beachtete den Selbstgemalten während der folgenden Tage immer ordnungsgemäß bis zu seiner alsbaldigen Übermalung.
Ich studierte damals am OSI, und mein bester Kumpel dort war Jörg. Wir interessierten uns beide für politische Theorie, ein Fach in dem Frau Schwan unterrichtete.
Eines Tages machte Jörg Diplom. Es kam zu einer mündlichen Prüfung. Seine selbst gewählte Prüfungsvorsitzende war Gesine Schwan, sie war gerade Dekanin und hatte Jörg sehr ins Herz geschlossen. Ihm außerdem noch reingesetzt wurde Prof. Neusüss, ein Professor, der hauptsächlich Luhmann ins Herz geschlossen hatte. Ich hatte einmal ein Luhmann-Seminar bei ihm belegt und es irgendwann gewagt, eine Frage nach dem Verhältnis Luhmann/Habermas zu stellen. "Habermas," rief Herr Neusüß mit der ihm eigenen Cholerik, "wird keinerlei Bestand haben vor der Geschichte!"
In die mündliche Prüfung konnte man am OSI jemanden zum dabei sein mit rein nehmen, und so begleitete ich Jörg in seine Prüfung. Anfangs hielt er einen Vortrag über irgendwas mit Medien, vielleicht Medien und Zivilgesellschaft oder die Rolle der Medien im politischen Meinungsbildungsprozess.
Frau Schwan horchte angeregt und lobte den Vortrag anschließend nicht über den grünen Klee, aber doch schon ein bisschen. Sie machte auch einige recht kluge Anmerkungen und lächelte ermutigend.
Dann Neusüss. Die ganze Zeit während Frau Schwan geredet hatte, fing er bereits an, nervös mit dem Knie zu wippen, die Hände zu kneten und rot anzulaufen. Als sie ihm das Wort erteilte, brach es SOFORT rumpelstilzchenartig aus ihm heraus "Ein miserabler Vortrag!" Und als Erklärung: "Sie haben Luhmann nicht einmal erwähnt!" Ein klarer Fall von Besessenheit.
Frau Schwan wurde jetzt auch lauter: "Herr Neusüss! Wir haben vorher darüber geredet! Es geht hier nicht um Luhmann! Ich muss sie doch sehr darum bitten, bei der Sache zu bleiben und sich dem Anlass entsprechend zu benehmen!" Dann gab es eine Pause in der Neusüss eine rauchte. Im weiteren Prüfungsverlauf lobte er die Leistungen meines etwas irritierten Kommilitonen mit freundlicher Beflissenheit über den grünen Klee.
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