Im vergangenen Sommer bevorzugte der Bundeskanzler den Urlaub zu Hause in Hannover. Dort schnitt er seine Hecke.
Sein Parteifreund Wolfgang Thierse hingegen weilte in Italien. Natürlich in der Toskana.

Zusammen mit einer befreundeten Familie besuchten wir Siena. Nach einem ausgedehnten Stadtrundgang erreichten wir den Dom. Seit meinem letzten Besuch vor vier Jahren ist dort ein elektronisches Zählsystem installiert worden. Rote Ziffern zeigen an, dass nicht mehr als 500 Besucher gleichzeitig im Dom sein dürfen. Außerdem gibt es einen neuen Service, der ermöglicht, Damen mit schulterfreier Bekleidung diese Blöße zu bedecken. Freundliche Kirchenstewards reichen blasstürkisfarbene Zellstofftücher, die die Schultern verhüllen sollen.

Das Zählen und das Verteilen der Tücher gingen an diesem Nachmittag ein wenig zögerlich vonstatten, und so entstand eine Warteschlange. Ein paar Menschen vor mir wartete ein Herr mit rötlichem Haar. Er trug ein blasstürkisfarbenes Sommerhemd, und zuerst dachte ich, dass das doch recht praktisch sei, wenn auch die Männer ein solches Tuch bekämen. Dann aber wurde mir bewusst, dass ich einem Denkfehler unterlag: nur sehr selten laufen Männer schulterfrei durch Italien. Ich sah mir den Herrn etwas genauer an. Er kam mir bekannt vor. Aber im Zusammenhang: Haar, Hemd und Kirche konnte ich ihn noch nicht einordnen.

Ich stieß meinen Begleiter Fritz an: „Kuck mal, da vorne der!“ Fritz wusste, was ich meine: „Ja, das ist der Thierse.“ Unsere Kinder, gerade im sehr neugierigen Alter, mussten natürlich wissen, worum es ging. Ich erklärte ihnen, wer der Herr sei und bat sie eindringlich, sich nicht weiter auffällig zu benehmen. Diese Bitte wurde dahingehend interpretiert, dass jetzt vier Kinder versuchten, möglichst unauffällig im Dom zu Siena ein Foto von Wolfgang Thierse zu machen. Mein zurechtweisendes Zischen verhallte ungehört im Gewölbe.

Die Thierses waren in Begleitung eines anderen Ehepaars. Ob sie wahrnahmen, dass sie von den Kindern fotografiert wurden, wusste ich nicht. Allmählich aber erschien mir dies als wahrscheinlich, denn sie bewegten sich kaum merkbar, in meiner Wahrnehmung aber stetig, in meine Richtung. Mit meiner Frau stand ich an einer Marienstatue, die durch den Einwurf einer Euromünze beleuchtet werden kann. Als die Statue erstrahlte, standen die Thierses hinter mir. Meine Tochter kam angelaufen, zupfte an meinem Hemd und fragte nach einer erneuten Münze für den Apparat, der etwas über den Dom erzählt. Mein Sohn wies sie zurecht, sie müsse ja nicht alles über den Dom wissen. Die Thierses lachten.

Möglichst unauffällig bewegte ich mich in einen anderen Bereich, dort, wo die ganzen Motorradhelme hängen. Während ich meinem Sohn den Sinn dieser Wandverkleidung erklärte, standen die Herrschaften erneut hinter uns und hörten offenbar meinen Ausführungen zu. Normalerweise macht es mir ja nichts aus, Menschen in solchen Situationen auch anzusprechen. Hier aber hinderte mich zweierlei: einerseits finde ich, dass Prominente in ihrem Urlaub nicht von Touristen angesprochen werden müssen. Andererseits mochte ich nicht in die Verlegenheit kommen zu bekennen, dass ich bei der letzten Wahl nicht die SPD gewählt hatte.

Meine Kinder hatten langsam genug vom Kirchekucken. Wir schritten in Richtung Ausgang. Die Thierses in Richtung Krypta. Dort verweilten sie bestimmt eine Stunde, denn nach dieser Zeit sah ich sie aus dem Dom kommen.

Kein Bodyguard weit und breit. Sehr sympathisch.

Die Fotos wurden auch ganz passabel.