Paparazza, höfliche
Monotones Gemurmel, sanftes Stimmenrauschen, farblos und eintönig, vielfältig einsilbig, aufbrandend und abschwellend, ermüdend, einschläfernd, gerade noch wach haltend, dringen die Gesprächsfetzen an mein Ohr. Sanftes, seichtes Schlummern im schaumigen Café, lauschend auf die pulsierenden Stimmen derer, die nachmittäglich Zeit. Dann mein plötzliches Aufhorchend: „Stopp, da war doch was! Nochmal!“, gefolgt von innerlichem Zurückspulen und einer Entdeckung: „Da, hier ja, an dieser Stelle, da sind sie gefallen, die beiden Worte: höfliche Paparazzi.“
Trotzdessen ich das heiße Zischen des Milchaufschäumers, die garstig fauchende Kaffeemühle und polterndes Rest-Kaffee-Ausklopfen im Widerklang von hastig auf Untertassen geworfenen Löffeln höre, orte ich die Urheberin der beiden Worte.
Denn direkt nebenan spricht ihre kalte, klare Stimme: „Es ist ein phantastisches Forum. Die einmalige Dokumentation von Zeitgeschehen.“
Die reichlich mit Spiegeln bedachten Wände, werden von mir genutzt, um nicht beim Betrachten des Gesprächspaares aufzufallen. So sammle ich Mosaiksteine einer unvollständigen kaleidoskopischen Erscheinung.
Lange Arme, harmonisch zu Hand und Fingern; die Haare blond, gelockt, gefärbt, gegelt; trotz brauner Augen ist ein Ausdruck von Unnahbarkeit zu vermerken. Sie trägt die Brille als schwarzberänderten Abstandhalter; ihre Stimme ist kühl, wissend, intellektuell, streng, sexy; schlanke Beine strecken sich unter dem Bistro-Tisch durch eine braune Wildlederhose.
Ihr Gegenüber ist männlich, braungebrannt, in engem T-Shirt. Ein unrasiertes, eckiges Kinn über behaarter Brust zwischen muskulösen Schultern; breit aber nicht zu breit. In die sonnenbebrillten Augen wird keine Einsicht gewährt. Der Po kantelt am Sitzflächenende des Stuhls - die Körperhaltung eines lässigen Hundes. Seine enganliegende Jeanshose reibt an ihrem wilden Leder.
„Hm ja“, entgegnet er und sie spricht weiter.
„Noch nie war es möglich, dass so viele hochkarätige Leute gemeinsam an einer Stelle über einen langen Zeitraum öffentlich kommunizierten.“
Ihr Gesprächspartner entdeckt etwas im Mund und beginnt zu forschen. Die suchende Zunge beult Wanderhügel in die Wange. Unrasierte Haut steigt auf und läuft in Wellenform aus. Ein kleiner roter Pickel wird gehoben. Es scheint als schaue er verwundert in die Runde und genösse den erhabenen Augenblick, um danach wieder im Stoppelfeld zu verschwinden. Das Munderforschungsteam wird um einen Zeigefinger verstärkt. Als ich ein leises, schabendes Geräusch höre, wechsle ich den Mosaikstein. Hin und wieder gurgelt er zustimmend, ein kehliges Geräusch, gebrochen durch Zunge und Finger.
Sie spricht davon, dass man das großartige höfliche-Paparazzi-Forum geschaffen habe, ein Forum wo abgemurmelt, abgetextet und abgesnobbt wird. Alles verdammt ernst und oft sehr lustig. Das Niveau in allen Hinsichten - besonders in literarischer - hoch. Sie fürchte das Forum stürmende und okkupierende, nichtsnutzige Schreiberlinge und mediale Verwässerung. Das Forum sei Filter, Werk, Schöpfung und Definition zugleich. Sie bete, dass es stark genug sei, jeden Ansturm zu ertragen. Dann schweigt sie.
Langsam rieselt Wirkung durch die filternde Sprechpause. Über das Gesicht des Jeans-Mannes läuft ein nahezu unmerkliches Zucken, das Zustimmung vermuten läßt. Sie spricht weiter.
„Hinter jedem Pseudonym ein schneidiges Sprach-Schwert. Geübt im Umgang, punktgenau zerschneiden, sezieren, verletzen. Wir sind wehrhaft.“
Verwirrt, begeistert und ängstlich erstarre ich erfürchtig auf meinem Stuhl, als ich ihre Frage höre: „Sag mal, hörst Du mir zu?“ Heiß schießt mir das Blut in den Kopf. Ich schiele verstohlen zu ihr. Mir wird schwindlig und ein wenig kalt. Doch gerade, als ich um Entschuldigung bitten will, merke ich, dass ich nicht angesprochen bin. Sie fragt ihn noch einmal: „Sag mal, hörst Du mir überhaupt zu“.
Der Jeans-Mann läßt diesen einen Wimpernschlag verstreichen, den Moment, den es dauert um ein Auge zu benetzen.
Er zuckt resignierend ein verspätetes „Aber-sicher“. Doch es ist zu spät. Ihre Stimme schwingt ausholend, federt nach vorne und trennt leise, präzise und treffsicher die Worte „Ich-muss- pissen“. Die höfliche Paparazza steht auf und geht zu den Toiletten. Wir warten eine halbe Stunde. Dann bezahlt er beider Getränke und geht, weil er weiß, dass das Café bei den Toiletten einen zweiten Ausgang hat.
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