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Thema: Fischer, Helmut (und die Fernwärme)

  1. #1

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    Fischer, Helmut (und die Fernwärme)





    Tanten sind doch leicht zu verzücken! Das wird jeder schon mal
    festgestellt haben. Eine selbstgepflückte Blume, ein kleiner Hund mit
    weichen Barthaaren, ein perfekt echtes unechtes Collier in der
    Glücksrad-Auslage: und rostige Tanten werden im Allgemeinen nicht nur an
    Sonntagen sanftmütig und weich wie Butter. Nicht so Tante
    Aenne aus München. Aus der Reserve lockte Aenne hingegen die Begegnung mit einem Charmeur uralter Schule. Und da erwischte es sie volle Lotte.

    Ich nenne es das ‚Wunder vom Petersplatz‘. Das geschah am letzten Tag
    meines Kurzbesuchs in der Stadt, in der angeblich ja fast gar keine Bayern
    mehr wohnen. In vier Tagen gab es viel Wunderliches über den Lebenswandel einer knapp siebzigjährigen Witwe zu erfahren. Merkmale einer rüstigen Dame? Aennes farblich perfekt komponierte Sammlung PH-neutraler Seifen und Waschgels. Ihr geliebter Rückenschrubber, der an manchen Tagen wie eine Schuheinlage roch. Ihr von Haselnußwurzeln durchtriebener Garten, den ich täglich mit vier mühseligen Spatenstichen umzugraben hatte, nicht gegen Cash, sondern für ein Glas trüben Brot-Trunk. Rote Backen sollste kriegen! Eisern auch Tante Aennes Askese. Wenn sie sich mal unverzeihlich gehen ließ, dann rauchte sie an einem Tag drei Marlboro Ultra-Zigaretten, trank einen Viertelliter Diät-Multivitaminsaft oder kaufte 50 Gramm Pfeffersalami für drei Futtertage. Und doch war alle Bescheidenheit Fassade. Im Grunde träumte sie von einem Leben im Rausch, sie las Konsalik bis ihr nachts die Lesebrille in den noch lauwarmen Kamillentee fiel, sie schmachtete in TV-Gesellschaft von Doktor Schiwago und Doktor Brinkmann und kniete darnieder, wenn Bata Illic Melodien für Millionen sang. In ihrer Brust kämpfte die hoffnungslose Romantik gegen den kühlen Reformhauswahn, sie war wie eine dürre Rose in der Kernseifenschale, ein Tropfen Klosterfrau Melissengeist, der auf seinen Würfel Zucker wartet. Warum ging diese Frau nicht einfach aus dem Haus und angelte sich einen Millionär? Sie hatte doch schon mal einen. Ist es vielleicht einem organischen Defekt zuzuschreiben, dass sie alles andere denn Risikofreudiges unternahm, um doch noch einmal mit aller Leidenschaft der Mittelpunkt für einen echten Herzensbrecher zu sein? Fast schien es, als wollte sie um keinen Preis Aufsehen erregen in der vorletzten Runde des Lebens, das war nicht ihre Welt.

    An jenem Nachmittag setzten wir uns in ein Taxi und besuchten den
    Marienplatz. Von hier aus waren es nur ein paar Schritte zu den Schuhmachern, den Kaffeehausbesitzern, den Conditoren, einem Hutgeschäft und einer großen Buchhandlung, also den Spazierknotenpunkten Münchens. Wir taten den Witwen-Walk. Und überall wurde Aenne sehr zuvorkommend behandelt und umgarnt, man muß wissen, das ist in München nicht unbedingt üblich, wenn man sich als Fischkopp outet. Aenne war bekennende Husumerin und sie genoss es richtig, einmal mitten im Dallmayr im breitesten Friesenplatt das Gedicht 'Freesland uun a wuug' zu zitieren, dabei zwei Stücke Kandis in ihrem Darjeeling und eine verdutzt glotzende Menge mit verschmitztem Zwinkern aufzulösen. Dann, zum Abschluss, sollte es zum Petersplatz gehen, da schwönge irgendein Berni ein enormes Nudelbrett und man sagt, man könne bei ihm ganz passable Pasta kosten. Aber am Petersplatz war kein Durchkommen. Eine Traube halsstarriger Passanten mit schwarzen Regenschirmen stand wie eine dampfende Mauer zwischen uns und diesem Nudelbrett. Es war, als hätte jemand einen Magneten für C&A-Tütenträger und -Tütenträgerinen platziert, und wenn wir auf diesem anderen, etwas berühmteren Petersplatz gestanden und wenn Glocken geläutet hätten und man ehrfurchtsvoll gefaltete Hände und geneigte Häupter hätte erkennen können, wir wären sicher eiligen Fußes einen Umweg zum Nudelbrett gelaufen. So aber wollte ich in Ermangelung eines sichtbaren oder gefühlten Grundes für die plötzliche Ansammlung in Loden gehüllter Rücken einen Grund wissen und drängelte ein bisschen, was meiner Tante sehr missfiehl, sie war kein Drängeltyp. Also, rechts antippen - links vorbeihuschen, ein Musketiertrick, hilft auch bei Münchner Gafferbuam, und schon standen wir in der ersten Reihe und hatten tolle Sicht auf ein: spartanisches Filmset. So weit, so unspektakulär. Ein paar Techniker, ein Kameramann, eine Frau mit einem Riesenschirm, eine blonde Frau mit Hund, ein Mann mit Hut und einer mit einer Lampe. 'Was soll das jetzt' murrte Aenne. 'Warte doch mal, da passiert gleich schon was' beschwichtigte ich, und tatsächlich, der Mann mit Hut nahm Platz an einem nett hergerichteten Caféhaustisch und legte die Beine übereinander und schnäuzte lautstark in ein großes blaues Stofftaschentuch, während sich hinter ihm die Schirmfrau postierte um den Nieselregen abzufangen, bevor die Oktobernässe des Mimen Gesichtsmaske versaue. Helmut 'A bisserl was geht immer' Fischer ist der einzige Schauspieler gewesen, dessen Augenbrauen-Nasen-Partie einem breiten Pfeil ähnelte, der in den Himmel zeigt, so wusste ich bald, dass wir hier nicht Zeuge einer billigen Schauspielpose à la Sascha Hehn beiwohnten, sondern einer wirklichen Charakterdarstellung. 'Das ist doch der Helmut' frohlockte mir Tante Aenne so laut ins Ohr, dass es klingelte und dann reckte sie beide Arme und winkte. Alle hörten es. Alles sahen es. Ein reges Brummen hob an, Lederjacken knirschten, Filmkenner drehten sich um und maßregelten das Tantchen mit strengem Blick, 'Pssst' zischte eine End-Vierzigerin mit Eiserner-Ernst-Brosche erster Klasse, jene hatte dieses hässliche Metall sicher im offiziellen Shop des Kamerad-weißt-du-noch-Vereins erworben, in der trüglichen Hoffnung, das mache sie auf einen Schlag sympathischer. Ganz benommen von der frivolen Zurschaustellung soviel groupiesker Echauffierung stellte ich für ein paar Sekunden das Atmen ein. Und dann verrückte mein Weltbild vollends, als Helmut 'Spatzl, schau wie ich schau' Fischer meine Tante anblinzelte, seine rechte Hand für einen Moment aus der mimischen Konzentration entließ und mit seinen Fingern ein überdimensional großes Luftklavier spielte, ich glaube, es waren die ersten Takte aus Mozarts 'Rondo Alla Turka'. Dann nahm ein Assistent die Lichtmessung vor und jemand schrie 'Kamera läuft' und der Herr Franze Monaco bedankte sich ganz professionell für einen frisch gebrühten Tee. Kurz danach verschwand er wieder, aber meine Tante war für Stunden wie ausgewechselt, sie sagte, es lag an der Pasta, die ganz vorzüglich schmeckte, aber ich bin mir sicher, es war die Fernwärme Helmut Fischers, die sie rehabilitierte, meine Tante ist ein kreischendes Groupie und ich über jeden Zweifel erhaben, was Romantik und Witwen angeht, immerhin.
    Geändert von Max DeRire (02.12.2002 um 16:53 Uhr)

  2. #2
    Hobel Avatar von Ignaz Wrobel
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    So eine schöne herzerwärmende Geschichte um diese Jahreszeit!
    "Ein Tropfen Klosterfrau Melissengeist, der auf sein Stück Würfelzucker wartet" , ach ja.

  3. #3
    Kosmonaut Member Avatar von Yvonne Caldenberg
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    Das Tanten leicht zu verzücken sind, habe ich noch nicht festgestellt. Es gibt Tanten und Tanten.

    Ich habe es gern gelesen, mit der Anmerkung, dass mir die 'knirschenden Lederjacken' besser gefielen, als die 'frivole Zurschaustellung groupiesker Echauffierung'. Letztere fand ich doof formuliert.

    Aber OK, sei's drum.

  4. #4
    Camembert Avatar von Edding Kaiser
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    Meine Tante heisst Christel, ist bis heute ungefickt und lebt nur deshalb noch, weil mein Vater (ihr Bruder) sie einst vor dem Ertrinken rettete, als er sie in einem Ruderboot sitzend aus der Strömung vor der Talsperre zog, was er - glaube ich - des öfteren bereut hat. Sie ist auf groteske Art religiös, Mitglied eines "Kreises", der Ikebana betreibt und verehrt mich abgöttisch. Ich halte sie nicht länger als 5 Minuten aus, obwohl ich sie liebe und in ihren Träumen spielt, das weiss ich zuverlässig, Hans-Dietrich Genscher eine Rolle. Welche das ist, will ich unter keinen Umständen je erfahren.
    Für Inge.

  5. #5
    Avatar von Brotwurst
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    A bisserl was geht immer.
    Und beim Max geht mal wieder so einiges! Phatt!

  6. #6

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    @Yvonne Caldenberg

    Alleine das Wort 'frivol' ist natürlich für sich komplett rentnergeifernder Schmarrn und in vielen Fällen dann das furchtbare 'Frollein' nicht weit. Zu meiner Entschuldigung schmeiße ich in die Waagschale, dass mich die Erinnerung an Aenne völlig verstelzt hat und wohl in den nächsten zwei Wochen mit keinem geraden Gedanken meinerseits zu rechnen ist. Bitte um Formulierungshilfe. Ich bessere dann aus. In Frage kommt, was nicht 'fickengeil' ist. Merci.

  7. #7
    Sir Avatar von yellowshark
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    .
    ys

  8. #8
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    sehr fein - doch, doch

  9. #9
    psychohasi Avatar von Nicki Tuete
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    Freitag!

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