Der Hamburger Dom hat ja mit Jesus an sich nichts zu tun. Obwohl er auch im letzten Sommer auf dem Heiligengeistfeld stattfand. Eher das Gegenteil ist der Fall. Da wird gesoffen, geschossen, geschubst, gefummelt, gepöbelt, gescootert, gekotzt und gebetet höchstens dann, wenn man kopfüber in der Achterbahn hängt und der rote Dreipunktgurt sich plötzlich so wabbelig anfühlt.
Mit all dem wollte ich nichts zu tun haben, meine sechsjährige Tochter lediglich zum Ponyreiten und mich selbst auf eine Currywurst einladen. Beides war nach einer guten halben Stunde erledigt. Wir befanden uns bereits auf dem Rückweg zur S-Bahn-Station und strömten gerade mit der Masse Richtung Ausgang, als es plötzlich nicht mehr weiterging. Wahrscheinlich eine Schlägerei mit Polizeieinsatz, dachte ich, oder eine herumliegender Betrunkener, der den Weg bis zur Unpassierbarkeit vollgekotzt hat, und nahm mein kleines Mädchen vorsichtshalber auf den Arm. Inmitten einer Masse von gestauten Kirmesgängern sollte sie nicht auch noch zur Unterschicht gehören. Man weiß ja, was aus solchen Leuten wird.
Kaum hatte ich sie gerettet, kämpften sich drei große, schwarzgekleidete Männer mit Sonnebrillen über und Funkgeräten an den Ohren aus der Gegenrichtung durch die Massen und drängten das Volk recht kompromißlos dahin, wo es hingehört, nämlich an den Rand, und machten den Weg frei für einen noch größeren, noch schwarzergekleideten Mann. Und schon stolzierte Helmut Kohl umringt von weiteren sechs Bodyguards forschen Schrittes durch die Gasse. Weiß der Teufel, wer ihn auf diese, in den dunklen Gemäuern der Parteizentrale sicherlich als überragend volksnah gefeierte Idee gebracht hat. Die meisten überwiegend jugendlichen Passanten hatten ihn auf jeden Fall nicht auf der Rechnung, denn wie ein Pop- oder Filmstar sah Birne auch Jahre nach seiner aktiven Kanzlerkarriere nicht aus. Selbst dann nicht, als er nur noch ein bis zwei Meter von mir entfernt war.
"Ich habe Dich damals gewählt!" musste ich irgendwas sagen. Helmut sah mich lächelnd an, faltetet die Hände und schwenkte sie neben seinem Kopf, so wie es ein anderer Kanzler auch heute gelegentlich noch tut. Und hätte ich schon damals gewusst, was für ein abartig gigantisch wirkender und fuchteinflößender Kerl dieser Dr. Helmut Kohl ist, dann hätte ich es vielleicht sogar wirklich getan.
Lesezeichen