Auf einem Feldweg außerhalb der Stadt, wo der Lärm der Menschen nur von ferne und wie eine nicht ganz ernst gemeinte Drohung nachklang, traf ich einmal den Komponisten Robert Schuhmann. Ich fackelte nicht lange und bat ihn um ein Autogramm. (Wir kannten uns vom Sehen aus der Konditorei Kappes.) Schuhmann guckte traurig, dann wieder froh, dann wieder traurig. Und schwieg. Ich legte ihm meine Hand auf die Schulter, eine zarte Geste, eine Art handgearbeiteter Zuspruch sollte das sein. Doch diese sanfte Last war schon zuviel für die zerbrechliche Seele. Er zog die Schulter weg, meine Hand fiel ins Nichts und schlug schlaff gegen mein Hosenbein. Ich wollte sie verstecken, mir war meine Hand plötzlich peinlich. Ich wollte keine Hand mehr haben, also schob ich sie verschämt in die Hosentasche. Schuhmann hatte es bemerkt und guckte noch trauriger. Er nahm seine Schuhmann-Brille ab und blies den Staub des Tages von den Gläsern. Dann sah er mich lange und durchdringend an. Pötzlich machte er den Mund auf und sagte, so leise, daß ich kaum mehr davon wahrnahm als die Schwingung der Luft: ³Wo Genius ist, so verschlägts ja wenig, in welcher Gestalt er erscheint, ob in der Schwere wie beim Bach, ob in der Leichtigkeit, wie bei Mozart, ob in der Wärme, wie bei Beethoven, ob in der Dunkelheit bei Schubert, ob in Nichts, wie bei mir!' Mir schossen die Tränen in die Augen. Ich mußte mich setzen, aber es war nichts da zum Setzen, daher blieb ich stehen, so gut es ging, aber es ging nicht. Es ging überhaupt nichts mehr. Ich drehte mich beiseite, wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht und sagte schließlich, nach einer Pause, die Hundert Jahre dauerte, mit einer Stimme, über deren Tonlosigkeit ich sogleich selbst erschrak: ³Aber Robert... wie kannst du so etwas sagen... du bist nicht Nichts...' ³Doch', erwiderte Schuhmann, ³Nichts bin ich: viel unendlicher als Alles in Allem zusammengenommen.' Dann lachte er schüchtern. Ich lachte mit, wir legten uns ins duftende Gras. ³Der Himmel ist grau, aber nicht ohne Fantasie!', lachte Schuhmann weiter. Er befahl mir, die Augen zu schließen. Ich gehorchte, und Schuhmann summte leise den ersten Satz der Frühlingssymphonie (op. 38): ³Hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm hm...'
Das war schön, das war wunderschön. Dann starben wir beide und waren vielleicht tot.
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