In Hamburg steht, nah an Alster und Hauptbahnhof, seit gut sechs Jahren ein Kubus in vergilbtem Weiß. Der klotzige Bau ist sicher auf einem wuchtigen Sockel aus rotem Granit verankert, heißt Galerie der Gegenwart und gehört zum Kunsthallen-Ensemble. Das Granitfundament beherbergt eine Tiefgarage und viel Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst, die wie Graf Dracula das Tageslicht scheut. Dort brennt sozusagen ständig das Kunst-Licht, Fenster Fehlanzeige.
Der Kalksteinwürfel darüber jedoch wird an einigen Stellen von Sonnenlicht durchdrungen. Architekt Oswald Mathias Ungers hat pro Außenseite eine mittige Fensterachse eingeplant und vor allem auch ausgeführt. So kommt es, dass der Besucher, überdrüssig der Kunstwerke, auf eine viel befahrene Kreuzung, die alte Kunsthalle oder auf die Schienen des Hauptbahnhofes blicken kann. Dort hinaus sah ich.
Denn mich irritierten Installationen wie die zum Flakgeschütz montierten schlichten Holzstühle, deren Beine dorthin zielten, wo Decke und Wand sich berührten. Immerhin aber war ein Stuhl als Sitzgelegenheit für den „Flakschützen“ reserviert. Auch der mit Wasser gefüllte Putzeimer, an den ein schmales Brett mit einem vergammelten Stück Käse am oberen Ende gelehnt war, berührte mich nicht. Das Werk hieß, glaube ich, Rattenfalle.
Beim beruhigenden Blick aus dem Fenster fielen mir zwei S-Klasse-Limousinen auf, die seitlich der Galerie geparkt waren. Beide dunkelblau und mit den dicken verchromten Fensterrahmen versehen, die das Panzerglas verraten. Zwei kurzhaarige Herren in Anzügen standen schweigend davor. Wurde gerade ein neues Kunstwerk angeliefert? Vielleicht eine Badewanne voller Fett?
O.k., dachte ich mir, guckste dir die nächste Etage noch an und linst von dort auch noch mal auf die Panzermercedesse runter. Im dritten Stock waren, wie schon in den Etagen zuvor, fast keine Besucher. Kein Wunder, wer kann mit Flakgeschützen und so schon was anfangen. Mitten im Raum standen zwei Herren. Der eine war Uwe M. Schneede, der Direktor der Kunsthalle. Den kannte ich aus der Zeitung. Der andere, ein Stück kleiner, stand mit dem Rücken zu mir.
Mir fielen sofort das schlohweiße Haar und der himmelblaue Anzug auf. Ein Anzug, wie ihn später auch der Fußballtrainer Christoph Daum gern trug. Die weißen Haare boten einen prima Kontrast zum blauen Anzugtuch, so wie die Kokskrümel einmal wunderbar mit dem Daum’schen Revers kontrastieren sollten.
Vorsichtig schlich ich mich an die beiden Männer heran, die fürchterlich leise sprachen. Dann war ich völlig perplex: Neben dem Direktor stand, klein und ungeschützt, Richard von Weizsäcker. Er hatte ein sonnenstudiogebräuntes Gesicht, wirkte wie immer leicht abwesend und sah eher aus wie ein netter Rentner, der den Anschluss an seine vom museumspädagogischen Dienst geführte Besuchergruppe verloren hatte. Der Alt-Bundespräsident, wie er und seine pensionierten Kollegen so schön heißen, ließ sich die Kunst erklären. Ohne seine Gorillas, die ja die Autos bewachen mussten. Wahrscheinlich hätte sie auch mehr das Flakgeschütz interessiert.
Hier hingen dagegen düstere Monumentalschinken. Ich meine, es war zum Beispiel das „Café Deutschland“, ein finsteres Triptychon von Jörg Immendorf. Kann aber auch von Lüpertz sein, das weiß ich bis heute nicht. Mich wunderte nur, dass ich von Weizsäcker in dieser Ausstellung ohne weiteres ein Messer von hinten in den Rücken hätte rammen können wie einst Brutus dem Caesar.
Sicher, ich hatte weder einen Grund noch ein Messer (und wenn, hätte ich es eher gegen die Gemälde erhoben), aber dass es so einfach sein sollte, einen Ex-Präsi zu meucheln, schockierte mich. Und das nur, weil die Bodyguards Kunstbanausen waren.
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