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Thema: Delay, Jan, bemützt

  1. #1
    [Member]
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    Delay, Jan, bemützt

    Ich lebe in einer Kellerbude auf St. Pauli. Kostet fast nichts, ist still wie auf dem Friedhof und ich kann da den ganzen Tag malen. Denn hinten liegt ein kleiner Hof, grün und überraschend hell, gehört zu meiner Bude, und das Licht ist völlig Klasse da. Die Rottöne schimmern wie Blut, das trieft - Entschuldigung für den Vergleich, aber es ist so. Das Blau glitzert und lebt knallvoll in dem Licht, hat mehr Schatten als sonst irgendwo, der flackert, großartig. Nachts male ich nicht, da steht nur so eine Funzel und wenn sie brennt, sieht jedes Bild graugelb aus. Ich sitze dann so da und lausche, oder ich hör Mahler, oder natürlich Reggae. Früher, als ich noch Offizier war, hätte ich mir dieses Leben weder gewünscht noch vorstellen können. Da war ich straight wie Helmut Schmidt, nur manchmal, da bin ich ausgetickt. Jetzt geht es mir gut.

    Aber das ist alles gar nicht so wichtig. Nein, aber dass hinten an der Tür zu meinem Hof ein wahnsinnig gelbes Farbding an der Wand hängt. Sonst sind hier überhaupt keine Farben, die Wände sind zuletzt 1928 gestrichen worden, hat der alte Schuster erzählt, der ins Heim ging, als ich vor 20 Jahren hier einzog. Farben hier wären unmöglich. Nur der irre gelbe Fleck an der Wand muss sein. Er schwankt hin und her, wenn die Tür wie jetzt bei der Hitze offensteht. Es ist ein blödsinnig langer Mützenschirm mit einer kleinen Mütze oben dran, hängt einfach an einem Nagel. Kanariengelb, Plastikgelb, wie durchgedrehte Chrysanthemen.

    Die Mütze hat mir mal einer geschenkt. Nachts in der Prinzenbar. Die Party war vorbei aber die Leute waren noch da, die meisten völlig hinüber. Der DJ hatte seinen Hang zu den Sex Pistols ausgelebt und war jetzt oh Erleichterung bei The Chosen Few angelangt, seit einer Stunde, das wurde immer überzeugender. Nur deshalb war ich überhaupt noch hier. Ich lehnte da und guckte. Hinten in der Ecke hockte einer und hämmerte auf einem kleinen Laptop herum. Weil neben mir eben ein paar Bierflaschen auf den Boden krachten, wollte ich da nicht mehr sein und schwankte rüber zu dem in der Ecke. Was machte er? Er steckte in knallegrellegelben Klamotten und hatte auf dem Kopf eine irrsinnige Mütze in der selben Farbe, der Schirm lang, länger als der ganze Kerl. Das Ding ruderte vor ihm herum wie ein gelber Gummifäustling mit Parkinson im Endstadium. Seine Finger tanzten auf dem Laptop, aber ohne Ziel. Da guckte er zu mir hoch und näselte los, leise, aber ich hörte ihn trotz des rasendmachenden Riddim im Bauch genau: "Hey sag mal, wiiie hieß der Typ, der den bösen Mann mit dem kleinen Bart allemachen wollte, General von was, von Senfenberg?, mussss ich jetzt wissen Mann!" - "Stauffenberg", sagte ich, "Oberst." Das Gesicht des Typs entgleiste, er fuhr auf mich zu, der Mützenschirm haute mir in den Bauch, da riss er sich das Ding vom Kopf und schenkte es mir. "Hab ich mir schneidern lassen Mann", sagte er, sollst du haben, Stauuuffenberg!!, wär mir niiie mehr eingefallen." Ich war auch ziemlich hinüber, lächelte deshalb nur ein bisschen und ging mit dieser Mütze in der Hand rüber zu meinem Freund Herrn U., der auf einmal groß guckend im Eingang stand, und der war begeistert und erzählte mir, dass ich da Jan Delays Mütze festhielt.
    Geändert von G.A.Schangscherall (14.08.2003 um 16:52 Uhr)

  2. #2
    Member
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    ich frage mich, warum kein mensch auf die idee kommt, diese wunderbare geschichte zu kommentieren! einerseits habe ich lauthals gelacht, andererseits ist aus dem lied, für dessen text jan delay den namen des stauffenberg benötigte, etwas, wie ich finde, sehr beachtliches geworden... und die nasale art und weise, mit der er worte von sich gibt, ist sein markenzeichen, bei dessen erwähnung mir gleich ganz warm ums herz wird. wie schön, ich bin begeistert, danke!
    ach so, nur die mütze kann ich mir nicht so recht vorstellen, in meinem kopf erscheint sie als abstraktes, quietschgelbes, meterlanges gebilde...

  3. #3
    Avatar von Alberto Balsam
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    Eine Geschichte unkommentiert zu lassen heißt ja nicht automatisch, dass man sie nicht mochte. Man kann sie ja auch mal so stehen und wirken lassen, aber es ist richtig: Diese Mütze, die würd ich auch gern mal sehen

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