Feridun Zaimoglu. Plötzlich sah ich ihn. Am hinteren, sonnendurchfluteten Ende des Lokals "Alte Patrone" im SWR-Gelände am Judensand in Mainz, der ZDF-Hochburg am Rhein. Er war gerade aus dem Hotel Hammer gekommen, wie ich. Ich ging auf ihn zu, umarmte ihn. Bruder! Er war sehr berühmt geworden, aber er erkannte mich noch. Vor Jahren hatte ich ihn einmal in seinem Ghetto in Kiel besucht und zum Schreiben überredet. Ich weiß noch, wie ungläubig er war.
"Wie ich sollen schreiben deutsche Sprak?! Ich nicht können!"
Ich sagte, er solle auf eine deutsche Schule gehen, um die Buchstaben zu lernen. Später solle er in seiner eigenen Kanak Sprak schreiben. Für ihn und all die Brüder draußen. Nun das Wiedersehen.
Er lebte immer noch mit seiner Possi in Kiel, mit seinen Leuten, nur daß inzwischen ganz Kiel ein Ghetto war und Feriduns Viertel allen Reichtum und alle Pracht anhäufte. Feridun trug silberne Schuhe, brokatbesetzte Hosen, einen Siegelring und fünf weitere Ringe. Um sein Handgelenk schmiegten sich zwei schwarze Uhren von unschätzbarem Wert. Jetzt merkte ich erst, daß auch noch Thomas Meinecke und Jana Simon mit am Tisch saßen. Nacheinander wurden sie von Sheriffs des Fernsehens abgeführt, alle zehn Minuten ein anderer.
Auch ich wurde befragt, natürlich nach Zaimoglu. Ich sagte, er könne gar kein Untermensch oder so sein, da seine Eltern reiche Großgrundbesitzer seien und Diplomaten dazu, mit einer Bildung, die die meine bei weitem übersteige. Feridun könne zum Beispiel die Bibel auswendig. Die Bibel!, nicht den Koran.
Später fragte mich Feri, warum ich das gesagt hätte. Ich meinte, man müsse in den Medien immer Erwartungen brechen.
"Was ich sollen sagen Brider? Bei dem Quatsch? Die mir sagen: du bescheuert, eh?? Du Diplomat, eh?! Eh, was kuckst du?"
"Ich gucke gar nicht. Aber ich weise darauf hin, daß Du Medizin und Theaterwissenschaften studiert hast, mit Auszeichnung!"
Es gab eine Lesung. Ausverkauftes Haus, standing ovations, ein Erfolg, der schwer zu beschreiben ist. Feridun berserkerte in einem Ausmaß, das die Leute vom Stuhl fielen. Mit alttestamentarischer Wucht dröhnte, nein zelebrierte er seine Unterschichtssprache, daß es ein Fest war. Wir atmeten tief durch. SO EINER müßte Bundestagspräsident werden, nicht der schwache Thierse aus dem Osten! Das sah selbst Super-Ossi Jana Simon so.
Danach fuhren sechs Taxis in die Mainzer Nobel-Disco "Effenberg's", wo der Buchhändler und seine Frau sowie die hübsche Gunda Kurz noch mit den Autoren ein bißchen "weiterplaudern" wollte. In den anderen Taxis saßen die Leute vom ZDF, vom SWR, vom Mannheimer Morgen, ein paar Honoratioren, z.B. ein angeblich aufstrebender CDU-Landtagsabgeordneter, die Freundin von der schönen Gunda Kurz, die hieß wohl Sigrid und sah auch nicht schlecht aus. Eigentlich sogar ein schönes Gesicht, ein schöner Mensch, rote Lippen, alles wohlgeformt und fehlerfrei. Ihr Pech war es freilich, daß sie sich immer in der Nähe von dieser Gunda Kurz, einer wahren Schönheit, befand. Verglichen mit ihr konnte jede andere Frau getrost als häßlich gelten. Ich fragte Feridun, ob er auch so empfinde. Die Antwort kann ich hier nicht wiedergeben. Ja, wer war noch in den Taxis? Kulturbetriebler, bedeutende Funktionäre, die Organisatoren, befreundete Ausländer, Türken die Feridun kannten.
"Was machst du eigentlich hier?" fragte Feridun. Ich sagte, ich sei in Mainz, um ihn für das Forum zu paparazzen. Er wußte nicht, was das ist. Ich erklärte es ihm.
"Das ist, wenn man im Internet über Stars und Sternchen schreibt. Also wie sie so sind in Wirklichkeit. Ob sie heimlich schwanger sind und so weiter. Übrigens, wo wir schon dabei sind: Kommst du zu meiner großen Joachim-Lottmann-Berlinparty im Kurvenstar am 28. Juni?"
"Was ist denn der Kurvenstar?"
"Kleine Präsidentenstraße drei, im denkmalsgeschützten Kurvenstar-Haus. Meine Nichte Hase ist auch da."
"Was?! Wer?"
"Hase! Meine Nichte!"
"Was? Eine... Nichte?!"
Er wandte sich ab. Das war nichts für ihn. Mit meiner Nichte konnte ich einfach keinen Staat machen. Ich sollte sie durch jemand bekannteres ersetzen, z.B. durch Katja Riemann. Na, die war nun auch schon wieder gänzlich unbekannt geworden. Ich schrie:
"Die Schwestern von t.A.T.u. sind auch da!"
"Tatü? Eh?"
"Das... sind die, die beim Prix d'eurovision auftreten, nackt wahrscheinlich!" Es war so furchtbar laut. Ich hasse Lokale deswegen. Feridun hatte nicht einmal das Wort "prix d'eurovision" verstanden und fragte erneut nach. Ich sagte:
"Prix d'eurovision, diese Fußballweltmeisterschaft für Schwule!!"
Da er immer noch mit dem Kopf schüttelte - er saß weiter weg - überlegte ich, ob es für die Verständigung nicht besser wäre, ihm etwas von mir zu lesen zu geben. Dann fiel mir Holm Friebe ein. Der zog immer.
"Holm Friebe kommt übrigens vielleicht auch zur großen Joachim-Lottmann-Berlinparty."
"Echt? Holm? Der Mastermind von Zentrale Intelligenz Agentur?"
Ich nickte befriedigt.
Nun kramte ich das Manuskript von "Frauen in Freiheit" aus der Tasche und reichte es Feridun, der es tatsächlich las. Gleichsam wie Reich-Ranicki sprach er danach bedächtig von einem "guten Text, wirklich guten Text". Ich war natürlich froh. Endlich etwas richtig gemacht an diesem Tag. Um den guten Eindruck nicht mehr zu gefährden, wandte ich mich der wirklich gutaussehenden Gunda zu, die links neben mir saß. Noch nie hatte ich ein so schönes Mädchen gesehen. Wir unterhielten uns natürlich über Literatur, also über Zuckmayer, der einen Roman über Mainz geschrieben hatte. Als Feridun uns so nett sprechen sah, schaltete er sich ein. Im feinsten Hochdeutsch beleuchteten wir zu dritt die linguistischen Feinheiten des alten Meisters, der einst im Literarischen Colloquium Berlin den "Fröhlichen Weinberg" geschrieben hatte. Insgeheim dachte ich, daß es doch schön sei, endlich wieder in einer Zeit zu leben, in der Sex kein Thema mehr war. Später schwärmte Zaimoglu von neuen Romanciers aus der Population der Rußlanddeutschen. Er sprach so ernsthaft und leidenschaftlich, daß er mich überzeugte und ich mich nun für diese Leute zu interessieren beginne. So klang der Abend nett aus.
Am nächsten Morgen frühstückten wir zu viert im Hotel Hammer. Thomas Meinecke erzählte vom Zündfunk, Feridun von seinem Wikingerfreund Gunter. Es war schon spät am Morgen, die Hotelleitung forderte uns auf, das Frühstück abzubrechen und auszuchecken. So verabschiedeten wir uns. Feridun fuhr nach Kiel, Thomas nach München, ich nach Berlin.
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