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Thema: Uhlmann, Thees

  1. #1
    Member Avatar von horschtsan
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    Uhlmann, Thees

    Am Ende eines wirklich miesen Tages, den ich nur mit viel Alkohol überstehen konnte, war ich auf der Suche nach meiner Traumfrau im Kir. Ich hatte ein bisschen gehofft, dass sie auch nach mir sucht. Hat sie aber nicht, die blöde Kuh. Wir kennen uns noch gar nicht und schon ist sie mir unsympathisch, das hat doch alles keine Zukunft. Statt dessen traf ich Thees Uhlmann, Sänger und Songwriter der Band Tomte, der es Dank Charlotte Roches Einsatz zu einem gewissen Bekanntheitsgrad gebracht hat und nun die kommerziellen Nutzung seines eigenen Songs miterleben durfte.

    Thees Uhlmann trug einen schwarzen Kapuzenpulli, den er wohl immer trägt, wofür ich ihn heimlich bewundere. Ich hätte auch gerne den Mut, nur einen Pullover zu haben, den aber mehrmals. Und nur eine Hose, eine Jacke etc. Der tägliche Schrecken bei der Kleiderauswahl hätte ein Ende und Socken paarweise sortieren könnte man sich ebenfalls sparen.

    Ich fragte Thees Uhlmann, wie er es fände, seinen eigenen Song in der Disco zu hören, woraufhin er erwiderte, sehr gut. Das irritierte mich ein wenig, hätte es mich an seiner Stelle doch eher peinlich berührt. So war das jedenfalls früher immer, wenn auf Familienfeiern die alten Kassetten rausgeholt wurden, auf denen die heimlich aufgenommenen Sangesübungen der Kleinsten verewigt waren. Dabei handelte es sich irgendwie auch um Kommerz, gab es doch immer eine nette Großtante, die mir ein paar Groschen Schadenersatz in die Tasche steckte.

    Thees Uhlmann schaute mir direkt in die Augen, während ich noch irritiert an die Familienfeier vom Tage dachte, diesmal ohne Kassettenaufnahmen dafür mit alten Kinderfotos, vorgeführt als Power-Point-Präsentation, bei der wirklich alle existierenden Objektein- und ausblendungsvarianten eingebaut waren und die auch sonst nicht zu überzeugen wusste. Überhaupt sind Familienfeiern grausam. Ich bin zwar schon seit etwa 15 Jahren keinen Zentimeter mehr gewachsen, aber eine Schwip-Tante oder Großcousine, so genau steige ich da nicht durch, hat ihn trotzdem zu mir gesagt, diesen Satz, der für mich untrennbar mit dem Grauen auf Familienfeiern verbunden ist. „Du bist aber groß geworden.“ Hätte sie mir wie damals in die Rippen geknufft und in die Wange gekniffen, wäre es wohl zum Eklat gekommen.

    Thees Uhlmann sah mich immer noch unverwandt an und ich hatte das Gefühl jetzt was sagen zu müssen. Also sagte ich zu ihm, dass ich Tomte total geil fände. Diese niveaulose Anbiederung war mir im gleichen Moment unsäglich peinlich, aber im Vergleich zur Familienfeier durchaus angebracht. Tomtekonzert oder Familienfeier, da müsste ich gar nicht lange nachdenken. Auf der Familienfeier lief statt dessen die ganze Zeit Volksmusik, meinen Großeltern, passionierte Musikantenstadlgucker, zu Ehren, und das in einer Lautstärke, die einem Tomtekonzert angemessen gewesen wäre, meine Großeltern sind nämlich fast taub. Nicht mal das Essen wusste zu gefallen, erinnerte es mich doch sehr an Essen 3 aus der Unimensa, Fleisch mit Sättigungsbeilagen und brauner Sauce. Dazu anstrengende Tischkonversation mit einer älteren Frau, die wohl irgendwie mit mir verwandt war und die ganze Zeit über ihr schreckliches Leben lamentierte. Ihr verstorbener Mann, den ich genauso wenig kannte wie sie, habe es dagegen mit seinem frühen Abgang genau richtig gemacht. Auf der anderen Seite saß mein Onkel und versuchte, den dunkelhäutigen Kellner, wahrscheinlich süd- bis südosteuropäischer Abstammung, zu provozieren. „Die Tochter vom Meyer aus der Kirchengasse, die wird ja auf dem Schulweg immer von Negern belästigt, also wenn ich ihr Vater wäre, dann würde ich da mal mit nem Baseballschläger aufräumen“ oder „ich bin ja wirklich froh, dass ich studiert habe, da kann mir so schnell kein Neger den Job wegnehmen, aber der Müller aus der Druckerei, der hat ja seinen Job an einen Neger verloren, das muss man sich mal vorstellen, früher hätte es sowas nicht gegeben“ oder „dass die jetzt sogar zur Polizei dürfen, um Gottes Willen, da kann man sich seiner Haut ja nicht mehr sicher sein, die halten ja zusammen wie Pech und Schwefel“. Das macht er immer und ich weiß, dass es vollkommen sinnlos ist, ihn über seine Idiotie aufzuklären. Ich versuchte ihn zu ignorieren und vertiefte mich in Gespräche über Gebärmutterkrebs und Blasenschwäche.

    Thees Uhlmann schien das sehr zu freuen, was meine Irritation in Unglauben steigerte. Irgendwie war ich plötzlich der Meinung, meine Familienfeier sei der Anlass zu dieser Freude und ich war mir sicher, dass sich Thees Uhlmann gerade über mich lustig machte. Ich fragte mich, ob es vielleicht ein schlechte Idee war, ihn angesprochen zu haben, ihn, der auf der Bühne immer so nett wirkt und mit dem ich mir ein Gespräch weniger kompromittierend vorgestellt hätte. Ich fühlte mich sehr unwohl und es wurde im weiteren Verlauf des Gespräches noch schlimmer. Irgendwann wurde mir klar, ja, es war eine schlechte Idee, ich kann aber nicht mehr genau rekonstruieren, wie es dazu kam. Sie wissen schon, der Alkohol.

    Später fragte ich noch, wann Tomte denn mal wieder in Hamburg auftreten würde. Irgendwann im Mai oder Juni oder so, antwortete Thees Uhlmann. Ich versprach zu kommen, wie ich das auf Familienfeiern auch immer mache. „Ach Junge, komm uns doch mal besuchen, wir sehen uns ja so selten und man weiß nie wann es zu spät ist.“ „Ach Oma, sag doch sowas nicht, natürlich sehen wir uns bald wieder, ich komme dich ganz bestimmt besuchen.“ Mache ich aber nie, jedenfalls nicht bis zur nächsten Familienfeier.

    Ob ich zum Tomtekonzert gehe, weiß ich auch noch nicht. Vielleicht hat sich Thees Uhlmann ja wirklich über mich lustig gemacht.

  2. #2
    Avatar von slowtiger
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    Das nenne ich aber mal gekonnt abgeschwiffen. Und für "Wir kennen uns noch gar nicht und schon ist sie mir unsympathisch, das hat doch alles keine Zukunft" kriegt er ein Bier, der horschtsan, bei nächster Gelegenheit.

  3. #3
    Avatar von Bartholmy
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    Schöne Geschichte. Abgesehen von der eigentlichen Geschichte hat mich die Information gefreut, dass es jetzt statt Familien-Dia- oder Video-Abenden das Ganze auch in Powerpoint gibt.

    Nicht nur habe ich das noch nie gehört. Ich wäre auch nie drauf gekommen. Und ungeahnte neue Dinge freuen mich halt immer besonders.

  4. #4
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    Statt "Du bist aber groß geworden" zu sagen, fragen mich Groß- und einfache Tanten jedes Jahr "Wo willst du nur noch hin wachsen?". Leider fällt mir darauf keine schlaue Antwort ein.

  5. #5
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    Freitag.

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