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Thema: Reich-Ranicki, Marcel

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    Avatar von Joachim Lottmann
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    Marcel Reich-Ranicki

    aus: Joachim Lottmann "HULEBECK AUF DEUTSCH" und andere Erzählungen, Verlag Kiepenheuer & Witsch, April 2003


    Es geschah auf der Frankfurter Buchmesse. Es war das Krisenjahr 2002. Der ICE 3, wirklich ein schneller Zug, viel schneller als der normale ICE, dazu noch leiser, 'flog' mit 320 km/h auf Frankfurt zu. Die Mirna und ich saßen angeschnallt in den 'Sprinter'-Fauteuils, vor uns die Computer und die Bordgetränke, links die nahenden Wolkenkratzer der Messegesellschaft. Wehe wenn dieser Zug jemals in die Hände fanatischer Islamisten geriet, dachte ich und lächelte der Stewardess zu. In Deutschland schlossen die Buchhandlungen. Die Branche lag in Agonie. Aber die junge Stewardess würde bald weggeheiratet sein, von einem reichen Fahrgast gehobenen Alters, die war krisensicher. Die Mirna dagegen... ich sah sie an.
    Die Mirna war eine Legende. Milliarden von Männern hatten mit ihr schlafen wollen. Dachte die Mirna zumindest. Das war natürlich überhaupt nicht so. Oder doch? Was wußte ich von den Männern? Ich war ein Literat. Ich beschäftigte mich mit Büchern und Kritikern.
    Da war zum einen der Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Marcel Reich-Ranicki. Seit Urzeiten diente er mir schon als Vaterersatz, da ich meinen leiblichen Vater aus Kriegsgründen nicht kennengelernt hatte; schon kurz nach der Rückkehr aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern war er an den Folgen einer Kriegsverletzung gestorben. Die prunkvolle Beerdigung ist heute noch die erste Lebenserinnerung meines älteren Bruders Ekkehart, der am 12.Oktober 1954 zur Welt kam, auf den Tag genau vor 48 Jahren. Aber Reich lebte! Er hatte die Lager überstanden. Deshalb wandte ich mich immer wieder an ihn. Schon mein erstes Schulgedicht (über Peter Handke) hatte ich ihm geschickt, in die Gustav-Freytag-Straße nach Frankfurt. In meiner Doktorarbeit Jahrzehnte später (wieder über Peter Handke) erwähnte ich ihn als großen Einfluß und gab ihm einen credit in meinen endlosen Danksagungs-Episteln, in der Hoffnung, er würde es erfahren. Das war natürlich der typisch weltfremde Unsinn des Studenten, der ich damals war, noch keine 32 Jahre alt. 15 Schuljahre und 19 Semester hatte ich bis zur Schlußsentenz meiner Handkeforschung verbraten - na, egal. Ich sah auf die Mirna. Die hatte dafür vielleicht zu viele Marylin-Monroe-Filme gesehen? In Deutschland hatte eben jeder seine Macke.
    Die Reich-Ranicki-Macke hatten viele, also viele Autoren. Jedenfalls die älteren. Die bedeutendsten Vertreter seiner eigenen Generation, Martin Walser, und der Söhne-Generation, Bodo Kirchhoff, hatten gerade große Romane darüber in den Markt geschoben. Reich-Ranicki wurde darin immer getötet, was aus psychologischer Sicht angeblich notwendig war, ich jedoch ablehnte. In meinem Reich-Ranicki-Roman dürfte er weiterleben, schriebe ich einen. Aus psychologischer Sicht war das notwendig, das Schreiben, wegen des Vaterkonflikts und so weiter.
    Vaterkonflikte hatten ja viele, auch die Mirna. Sie sah von ihrem Buch auf, ein Buch über starke Männer, das sie selbst geschrieben hatte und das auf der Buchmesse vorgestellt werden sollte. Sie sah mich mit einem Ausdruck künstlicher Naivität an, der sagen sollte: Ich bin doch nur ein kleines, dummes, dummes, dummes Mädchen, warum willst du mit mir schlafen? Die hellblonden Locken fielen ihr ins verwirrte Gesicht, ein Blusenknopf hatte sich gelöst. Ihr Vater heiratete an dem Tag, an dem mein älterer Bruder (er hieß übrigens Ekkehart, sagte ich es schon?) Geburtstag hatte, also heute, was bedeutete: die Mirna war nicht zur Hochzeit ihres Vaters gegangen. Hatte also einen Vaterkonflikt. Der Vater heiratete eine 25jährige Chinesin. Geil, dachte ich, da wäre ich aber gern zugegen gewesen, als Sohn. Auch die Mirna hatte nichts gegen die junge Frau, aber nur, weil die den 76jährigen offensichtlich binnen zwei Jahren unter die Erde vögelte. Morgens und abends mußte er ran, das waren schon 700 Orgasmen im ersten Jahr, und spätestens wenn die Zahl vierstellig wurde, machte das Herz nicht mehr mit. Das Testament wurde gerade erst geändert...
    "Würdest du jemals so etwas machen, wenn du so alt wärest?" fragte mich die Mirna und behielt den Mund danach offen, ganz wie Marylin. Ich lachte gequält auf.
    "Ich habe es schon gemacht!" Und dachte an die 19jährige Freundin, die ich als 38jähriger einmal gehabt hatte. Zehnmal am Tag... nach einem halben Jahr war ich um zehn Jahre gealtert. Nein, ich mußte diese Erfahrung nicht nochmal machen, und ich war auch noch nicht 76, auch wenn ich vielleicht bald so aussah. Jedenfalls mochte die Mirna ihren Vater nicht und boykottierte sein Leben samt Hochzeit. Sie nannte ihn Nazi. Im Krieg war er schnell aufgestiegen in der Wehrmacht, hatte in jungen Jahren schon Verantwortung übernommen. Schön für ihn, schlecht für Deutschland. Bei der Bundestagswahl am 22. September kandidierte er für die Republikaner. Ich erzähle nicht was vom Pferd, Freunde, es war so.
    In meinem Roman 'Deutsche Einheit' ließ ich dann Reich-Ranicki DOCH schon mal ein bißchen auftauchen. Es war noch nicht der große Reich-Ranicki-Roman, aber wenigstens schon ein Anfang. Reich spielte da einen vom Ich-Erzähler bewunderten Großkritiker, der in einer großen, leider geistig verwahrlosten Universität einen Vortrag hält. Der Ich-Erzähler, mit einer jungen, gerade erblühten Frau im Schlepptau, rettet den Kritiker vor einer bornierten, aggressiven Studentenhorde. Bevor ich das Manuskript abgab, bekam ich Zweifel und schickte es Reich zu. Der schrieb nett zurück. Er habe nichts gegen die Geschichte, bis auf das Ende. Ihm gefiel nicht, daß er vor Dankbarkeit geweint haben soll. Das würde nicht zu ihm passen. Er habe noch nie in solchen Zusammenhängen geweint.
    Das Buch erschien und wurde für mich - gewiß wegen dieser Nebenthematik - der größte Verkaufserfolg seit zwölf Jahren. So wie 'Tod eines Kritikers' die erste Nr.-1-Platzierung Martin Walsers nach 50 Jahren des Schaffens wurde und 'Schundroman' mehr verkaufte als 'Intifada', pardon, 'Infanta' von Bodo Kirchhoff. Dankbar griff ich zum Telefonhörer und leistete mir von dem neuen Geld als erstes ein Ferngespräch nach Frankfurt. Seine Nummer hatte ich parat, die stand auf dem Brief, den er mir geschrieben hatte. Nur - er erinnerte sich an nichts mehr. Der Vorgang muß für ihn unvorstellbar klein und unbedeutend gewesen sein. Oder seine Sekretärin hatte das gemacht. Er war jedenfalls ungehalten und sagte nur:
    "Was wollen Sie?!"
    Ich erklärte es und fragte:
    "Erinnern Sie sich denn gar nicht mehr an mich?"
    "Nein. Ich habe dazu auch keine ZEIT. Was wollen Sie?"
    "Ich habe Ihnen ein Buch zugeschickt, darauf haben Sie geantwortet, und jetzt ist es herausgekommen und ein Riesenerfolg. Und in großen Teilen handelt es ja von Ihnen, und da - "
    "Von MIR?!"
    "Ja..." Ich lachte unsicher.
    "Was ist das für 'n Buch?"
    "Ist ein Roman, deutsche Gegenwartsliteratur, heißt 'Deutsche Einheit', ist vor drei, vier Wochen herausgekommen bei Kiepenheuer & Witsch..."
    Er unterbrach mich schlechtgelaunt, offenbar davon ausgehend, einen Bittsteller vor sich zu haben, der ihm ein Buch schmackhaft machen will.
    "Was wollen Sie bitte von mir? Ich bin MITTEN in der Arbeit. Was ist DAS für eine Frage. Täglich bekomme ich dutzende von Büchern. Wenn mich jeder vorher auch noch FRAGEN würde..."
    "Ja, eben, weil es so viele sind, denke ich, daß es Sie es gar nicht angucken, gar nicht lesen..."
    "Werde es interessiert angucken, ABER BITTE: Ist das alles? Haben Sie noch etwas?"
    "Es sind immerhin 120 Seiten, die nur über Sie handeln; das ist doch eine ganze Menge Holz."
    "Ja. Mein Lieber, haben Sie noch was zu klären?"
    Er nannte mich 'mein Lieber', nicht ironisch, sondern durchaus zärtlich! Mein Vaterersatz nannte mich so! Irre. Aber das Gespräch blieb restriktiv.
    "Ja, hm, äh, natürlich, von meiner Seite aus noch sehr viel!"
    "Ich habs eilig."
    "Sie haben es eilig."
    "Ich bin mitten in der Arbeit."
    "Ich wollte noch sagen, daß Sie viele Bewunderer haben. Vor allem von jüngeren Leuten."
    "Aha."
    Noch nie hatte ich so ein mißtrauisches, ja übellauniges 'Aha' gehört. Offenbar empfand er es als Beleidigung, daß ausgerechnet die jungen also ungebildeten Leute ihn bewundern sollten.
    "Ja."
    Nach einem Augenblick des mißmutigen Schweigens sagte er endlich:
    "Das freut mich sehr. Ich danke Ihnen."
    "Es geht da um die STREITKULTUR."
    Dieses Wort sprach ich besonders nachdrücklich aus. Ich wußte, daß es das letzte Substantiv war, das in diesem Gespräch noch Platz hatte. Es mußte wirken.
    "Ja. Ja, Lieber, ich muß weiterarbeiten. Ich KANN mich jetzt nicht unterhalten."
    "Nein, nein, ich hör jetzt auch auf. Ich habe Ihnen auch gar nichts weiter zu sagen im Moment."
    "Ja."
    "Tschüß!"
    "Tschüß!" Sein Abschiedstschüß war nett, also in einem erhöhten, verbindlichen Ton gesagt, sodaß ich davon ausgehen konnte, Reich-Ranicki stecke wirklich in Arbeit. Ich hatte ihn gestört, aber nicht belästigt. Bei einer nächsten Begegnung würde er mir nichts vorwerfen.
    Diese Begegnung erfolgte also am heutigen 12. Oktober 2002, mehr als volle drei Jahre nach diesem Gespräch. Vielleicht würde er sich ja sogar an das Wort STREITKULTUR erinnern und ich konnte daran anknüpfen. Oder er würde an der Mirna hängenbleiben, das käme auf dasselbe hinaus. Wenn die Mirna doch bloß nicht so übertreiben würde mit ihrer Frau-Frau-Macke. Sie war fast 40 und wurde immer dummchenhafter. Sie spielte die verwirrte Zwölfjährige und redete allmählich Tag und Nacht über 'Das Eine', also die Liebe. Doch in Wirklichkeit war sie die erfolgreichste Frau Deutschlands. Sie hatte eine Prominentenagentur gegründet, die inzwischen den Markt beherrschte wie die Bild Zeitung die Medienlandschaft. Und sie hatte das ohne Tricks und Aggressivität geschafft, allein durch ihre Intelligenz. Umso dämlicher, ja unerträglicher wirkte auf mich das Dummchengetue. Hoffentlich nicht auch auf Reich-Ranicki. Sie war in der Lage, auf der heutigen Party einen Schuh zu verlieren, tränenüberströmt das zu beklagen und alle Herren über 55 danach suchen zu lassen...
    Und das war nicht naiv, sondern krank. Um einmal eine Position zu beziehen. Und ich sage sogar: Bei Marylin war es NICHT krank, auch wenn sie daran starb. Aber jeder Mensch in unseren Kreisen hat so einen Bereich, der krank und verrückt ist, weil wir halt im postfaschistischen Deutschland leben. Zudem ist es möglich, daß wenigstens die Generation der Urenkel wieder ganz normal ist. Also die Leute unter 22. Das ist mein Befund bisher. Ich kenne viele Leute um die 20 und mag sie sehr.
    "J-Lo, warum sind die Männer so? Und warum sind Frauen so anders?" fragte die Mirna, besann sich aber wieder und organisierte unsere Fahrt zum Stand unseres Verlages auf der Buchmesse. In nur zehn Minuten waren wir da. Früher hatte ich dafür immer eine Stunde gebraucht. Eine Stunde extremer Stress. Aber früher war die Buchmesse auch eine andere. Der Höhepunkt ihrer Bedeutung war Ende der 90er Jahre, ziemlich genau zur Jahrtausendwende, als Grass seinen Nobelpreis erhielt und die Popkultur zwar verrissen, aber gekauft wurde wie nie zuvor. Allein 'Crazy' verkaufte mehr als alle Titel der 80er Jahre zusammen. Christian Kracht wurde als neuer Messias gefeiert und Rainald Goetz als Gottvater. Elke Naters als Maria. Stuckrad-Barre als Paulus. Ich selbst als neuer Judas. Jeder, der unter der Hand dem bräsigen Poetismus früherer Generationen abschwor und stattdessen versprach über den Alltag zu schreiben, bekam einen Vertrag. Wunderbar! Das hatte ich immer gewollt. Das Buch war wieder zum Leitmedium geworden, die Buchmesse platzte vor Menschen und Sensationen. Um ein Taxi zu kriegen, wartete man in Schlangen von hundert Metern. Das war einmal.
    Die Stadt war leer. Die Messe kaum besucht. Die Taxis ohne Kundschaft. Die Verlage brachten Bücher heraus, die vom Ghetto in Amsterdam handelten und wo altgewordene Dauergermanistikstudenten aus Karlsruhe über Freud' und Leid verfolgter Juden während der deutschen Besatzung herumpuzzelten. Alles handwerklich sehr anerkennenswert und Satz für Satz staatlich geprüft 'literarisch'. Alle Fernsehsender berichteten in ihren Kultursondersendungen pflichtschuldigst darüber. Der Absatz brach ein, die Geschäfte gingen reihenweise pleite. Fünfzehn Jahre lang hatte man den 'Tod der Popliteratur' gefeiert, jedes Jahr aufs Neue, nun nicht mehr. Nun war sie nämlich wirklich tot. Der einzige Titel dieses Jahr: Zoe Jennys 'Ein schnelles Leben'. Nur sie konnte man noch nach Herzenslust verreißen. Nur sie war sicher, keinen Preis mehr zu bekommen und die bisherigen sogar zurückgeben zu müssen. Ansonsten waren alle Popliteraten aus dem Programm geflogen, Stichtag 11. September 2001. Seitdem wurde wieder "ernsthaft erzählt", also über Väter in Albanien mit elf Söhnen, die die Schafe hüten in zeitloser literarischer Pracht. Über Mütter in irischen Dörfern, die klaglos die Jahrzehnte überdauern und über ihre pittoresk saufenden Männer. Gähn.
    Die Mirna und ich erreichten den Stand unseres Verlages, wo der Verleger schon wartete. Er stand mit Wolf Biermann zusammen, einem ehemaligen DDR-Schriftsteller, der später auch im Westen durch ein legendäres Rockkonzert (oder war es eine Lesung?) in Köln bekannt wurde. Das war aber lange her, ich glaube sogar noch vor dem Fall der berüchtigten 'Mauer'. Wolf Biermann war später persönlich eng befreundet mit Rudolf Augstein, das wußte ich noch. Mehr aber nicht. Nun stand er da. Mit dem Verleger Seite an Seite! Ein Come-back bahnte sich an. Denn wer neben dem Verleger stand, hatte es gut. "Wenn die Sonne des Verlegers auf dich fällt, frohlocke" dichtete schon Wolfram von Eschenbach.
    Ich wartete, damit die Mirna den Verleger begrüßte. Tat sie aber nicht. Vollkommen verwirrt stand sie vor ihm, unfähig einen Ton zu sagen. Ihre Augen irrten durch die Gegend, schienen ausdrücken zu wollen: "Ich bin ja so durcheinander, aber letztenendes bin ich auch EINE FRAU und nichts als das!", was leider nicht die Wahrheit war. Die Mirna war die Chefin einer überaus wichtigen Medieninstitution, und so gab der Verleger ihr förmlich die Hand. Mich dagegen umarmte er herzlich.
    Wir verabredeten uns für die Rowohltparty. Dann entdeckte ich den Mann, der mir seinen Computer geschenkt hatte, einen Schriftsteller. Wir sprachen lange. Natürlich nur über den Computer. Der Mann war nämlich selbst Schriftsteller. Er hieß Müller oder so ähnlich. Nein... Wagner? Thorsten Becker? Nee... ich muß nachsehen. Für wichtige Computerfragen habe ich immer seine Nummer bei mir. Er heißt... und einen guten Frauengeschmack hat er... Thomas Palzer! Ja, ein guter Typ. Und da stand schon wieder so ein unverbrauchtes Stück Frau neben ihm, wie frisch aus dem Ofen, guten Appetit! Noch duftend und dampfend... der Mann wußte zu leben. Er hatte graue Haare, aber die Kraft der zwei Herzen - ich verehrte ihn wirklich. Der punktete und punktete, wann immer ich ihn traf, später erzählten mir die Verlagssekretärinnen, wie gut er war. Ich dagegen verlor meistens. Sogar und gerade auf der Frankfurter Buchmesse. Wie blöde!
    Ich konnte also freenet einfach installieren, indem ich es auf AOL eingab und danach bei AOL kündigte. Logisch! Ich drückte ihm warm die Hand und wünschte ihm vielsagend "viel Glück". Er grinste voller Vorfreude. Dann sprach ich mit diversen LektorInnen meines Verlages. Die Mirna war wieder ganz Frau und taumelte wie ein steuerloser Schmetterling durch die Messehalle. Die Knöpfe ihrer Bluse hatten sich geöffnet, dafür konnte sie nichts, sie war schließlich auch eine Frau. Sie konnte lieben nur und soonst gaar nichts... Ich wandte mich ab mit Grausen. Ich mochte sie sehr, aber nicht wegen dieser Show, sondern TROTZ dieser Show. Und weil mich dieses partielle Irresein an mich selbst erinnerte.
    Sie fand ihr (eigenes) Buch und begann (sich selbst) zu lesen. Alle anderen Bücher interessierten sie nicht. Als ich wenigstens die Neuerscheinungen meines Verlages durchsehen wollte, wurde sie ganz unruhig. Sie zwang mich, zum Hotel zu fahren und dort die Zeit bis zu den Parties zu verbringen. Das taten wir. Ich las Sven Lagers 'Im Gras', das äußerst gut war und eben DOCH echter Pop, sozusagen der zweite Titel neben Zoe Jenny, und die Mirna las konzentriert ihr eigenes Buch, schon zum wiederholten Mal heute, sie hatte es im Zug schon zuende gelesen. Auch Mirnas Buch war übrigens nicht schlecht. Sie schrieb, daß sie Männer mit Waschbrettbauch verachte und nur solche begehre, die alt und verzweifelt seien. Da konnte ich nur rufen 'respect!', so eine Position mußte man erstmal einnehmen! Das war mutiger als das Unterhosengestrampel von (der etwa gleichaltrigen) Madonna. Zwischen dem öden Konsumismus von Madonna und der Kaputtheit Mirnas lag der Kulturgraben, der die USA und Deutschland trennte. Ich war natürlich für uns. Ich war ja auch Wahlhelfer bei Schröder.
    Kurz vor acht fuhren wir zu Bernd Lunkewitzens Aufbau-Verlags-Party. Dort trafen sich die Spitzen aus Politik und Wirtschaft, der Kanzler wurde zumindest 'erwartet'. Er kam nicht, aber beinahe doch. Der Aufbau Verlag hatte einen einzigen Star, nämlich besagte Joe Jenny; deswegen ging ich hin. Ansonsten sah ich nur Männer über 50 in diesen schrecklichen Politikeranzügen. Alle sahen gleich aus, also gleich uninteressant. Und das, obwohl man jede zweite Nase wiedererkannte. Typen aus dem Fernsehen, die man hundertmal gesehen aber niemals identifiziert hatte: Intendanten, Wirtschaftsführer, pensionierte Chefkommentatoren der öffentlich-rechtlichen Sender, ehrwürdige Altautoren ohne jede Bedeutung, Hofschranzen des Systems, Geldsäcke und sonstige Bänker: furchterregend. Ein Totentanz der Geistlosigkeit. Hatte von denen einer überhaupt gelesen? Mal eine Idee vertreten, eine eigene? Mal diskutiert? Abitur gemacht? Und, wie gesagt, alles auf den schmalen Schultern einer einzigen echten Autorin, der kleinen 19-jährigen Zoe Jenny. Die arme Maus mußte 300 fette Bänker und Politiker durch den langweiligen Abend tragen. Ich dachte natürlich, es würden irgendwann spontan noch andere Autoren dazustoßen, aber das ging nicht, da nur diejenigen eingelassen wurden, die eine offizielle Einladungsoption handschriftlich zurückgeschickt und gegen eine offizielle zweite Einladung getauscht hatten, die wiederum nur für eine Person gelten durfte und zwar streng.
    Nach einer Stunde wurde mir übel. Die Spitzen aus Politik und Wirtschaft nahmen mir allmählich die Luft zum Atmen. Seltsamerweise gelang es mir auch nicht, mit Zoe zu sprechen. Und das, obwohl sie völlig hilfsbedürftig und alleingelassen aussah. Irgendein fetter Bänker mit Glatze stand neben ihr, und sie wirkte wie die junge Ingrid Bergmann, die weiß, daß ihr Mann gerade von der Gestapo hingerichtet wird und sie sich nichts anmerken lassen darf, weil sie sonst auch sofort verhaftet wird. In ihren Augen war nichts als namenlose, maßlose Angst, und deswegen war auch ich paralysiert. Die Mirna war mir auch keine Hilfe. Anstatt zu mir zu stehen, verleugnete sie mich und flatterte im Raum herum wie eh und je. Sie war eine Frau und verwirrt und verlor immer irgendwas und sprach alte Männer mit den Worten an:
    "Ich kenne hier absolut NIEMANDEN, bin vollkommen hilflos! Sie müssen mir jetzt alles zeigen und jeden einzelnen erklären!"
    Das klappte offenbar nicht, und so setzte sie sich ans Feuer des großen Kamins und legte den Rücken vollkommen frei. Wenn ich sie ansah, sah sie schnell und ziemlich genervt weg. So wanderte mein Blick immer zwischen der Angstmaus Zoe und der genervten femme fatale hin und her. Bis ein neuer Gast kam: Marcel Reich-Ranicki!
    Natürlich wurde er schnell von anderen umringt, und das waren Leute, die auch so aussahen wie er. Also alt waren und weiße Haare hatten. Da wollte ich nicht dazutreten. Ich traute mich gerade noch, ihm kurz die Hand zu geben und ihn so anzugucken, als kennten wir uns noch aus dem Ghetto. So etwas funktioniert eigentlich immer. Kein Mensch kann so schnell sein gesamtes Personengedächtnis durchchecken. Er sieht das unbekannte Gesicht und erwidert das deutlich hervorgebrachte Vertrautheitszeichen. Sogar Reich-Ranicki tat das. Und der kann bestimmt SEHR schnell denken. Danach zog er sich mit seiner Gang in dicke Sessel zurück.
    Ich durchstreifte die Lunkewitz'sche Villa, einen Neubau im römischen Stil. Der römische Stil war keineswegs nur angedeutet, sondern bis ins kleinste und letzte Détail durchgehalten. Es handelte sich um nichts weniger als die vollständige Rekonstruktion eines Denkmals der Antike, und das Haus mußte zwanzigmal so viel gekostet haben wie ein normaler Villenneubau. So etwas konnte sich nur der Staat leisten - und Bernd Lunkewitz, der Milliardär. Es war bekannt, daß er den Kauf des Aufbau Verlags vor einigen Jahren aus der Portokasse bezahlt hatte, als süßes kleines Hobby.
    Nun hielt Lunkewitz eine Rede - auf Englisch! Das war mutig, denn er sprach einen extrem deutschen Akzent. Dennoch gefiel mir die Rede, da sie klug war und mich anregte. Er sprach über die Literatur, die Wirtschaftslage, den kommenden Krieg im Nahen Osten, auf den Verkaufserfolg des neuen Roman von Zoe Jenny 'Ein schnelles Leben', der oder die eine bahnbrechende 'Outperformance' geliefert habe, und alles verband er auf so vernünftige und aufrichtige Weise, daß ich darüber sofort mit jemandem streiten wollte. Mit der Mirna würde das nicht gehen, denn die wollte nur, mit Schlafzimmerblick und brechender Stimme, über die fatale Verstrickung von Mann und Fraufrau sprechen. Nach einigen Jahren nervte das. Die Verstrickung hing mir zum Hals raus. Lieber wollte ich schwul werden oder ins Kloster gehen, als diesen Schmarrn noch länger mitzumachen. Aber wozu war der große Förderer der Streitkultur im Haus, Marcel Reich-Ranicki? Ich pirschte mich wieder an ihn ran.
    Ich wartete, bis er aufstand und ins Kaminzimmer ging, um Mirnas nackten Oberkörper aus der Nähe zu betrachten. Alle Männer taten das irgendwann. Sie waren schließlich AUCH Männer, und die Mirna war nichts anderes als eine Frau, nicht war, schließlich und endlich. Machen wir uns doch nichts vor. Seien wir für einen Moment mal ehrlich, Himmelherrgott. Sie hatte eine gute Haut, die Mirna, und einen verdammt guten Oberkörper, hehe... ja, und so kam dann auch der Literaturpapst näher. Aber nicht weit kam er. Ich paßte ihn ab, als er gerade durch die offene Tür gekommen und die leerstehende Mitte des Raumes erreicht hatte. Im Radius von gut drei Metern war, in dieser einen Sekunde, niemand sonst als er. Und ich, der ich ihm freundlich und arglos die Hand schüttelte, ein zweitesmal an diesem Abend. In dieser kurzen, aufblitzenden Begegnung, als er erneut nicht wußte, ob er mich nicht doch gut kannte und das Beste von mir zu halten hatte, sah er gut aus: jung, nett, naiv, freundlich. Zeitlos. Er hätte auch 56 oder 16 sein können. Der große Augenabstand gefiel mir, die nicht humorlosen Gesichtszüge, die frische Gesichtsfarbe. Der Mensch hatte gute Laune, und bescheiden und höflich war er auch. Fast devot sah er zu Boden, da es ihm peinlich war, sich nicht an meinen Namen zu erinnern. Womöglich gehörte ich ja auch zu den 'Spitzen aus Politik und Wirtschaft'. Ich fragte dann, ob er sich noch an mich erinnere, an Joachim Lottmann. Ich sprach meinen Namen ganz selbstverständlich und doch deutlich aus. Er schüttelte den Kopf. Ich wußte, er würde gleich unfreundlich werden und rasselnd "was wollen Sie?!" fragen. Ich erklärte schnell:
    "Ich habe mich so sehr über Ihre liebe... Dankesschrift... an mich gefreut, Herr Professor!"
    Er sah zu Boden, schüttelte den Kopf, sagte:
    "Was wollen Sie von mir?!"
    "Ich bin, äh, dieser Autor, der Ihnen immer geschrieben hat... daß er nur Ihretwegen noch schreiben kann in diesem Land!"
    Er sah nicht mehr zu Boden, sondern ging blitzschnell weiter, wirklich erstaunlich schnell für einen 82jährigen, und machte dabei in unnachahmlicher Weise eine wegwerfende Handbewegung. Das war schon klasse, und ich mußte anerkennend schmunzeln, fast lachen. Wie konnte man so sehr über den Dingen stehen? Das ging nur, wenn man eine echte Vaterfigur war. John Wayne schickte mit solch einer Handbewegung kleine Schurken weg. Und die Brüder von Oasis,Väter des Britpop, zeigten irgendwelchen minderjährigen Fans mit dieser Geste den Ausgang. Ich pfiff leise durch die Zähne und wollte es gut sein lassen. Mehr Reich-Ranicki war gar nicht nötig.
    Zoe Jenny war gegangen. Ja, sie hatte es keine Sekunde länger ausgehalten. Das war schade, denn sie war die einzige, an die ich mich wenigstens theoretisch noch hätte wenden können. Die Mirna saß am Feuer. Ohne Zoe fühlte ich mich völlig verlassen in der Altherrenrunde.
    Noch einmal durchstreifte ich die Villa. Am Büffett nahm ich nochmal Speisen auf einen Teller, aß sie aber nicht mehr. Die Bücher an den Wänden, sicher Hunderttausende und alles Werkausgaben, waren echt. Von Maupassant fehlten die Romane. Ich redete nochmal mit der Mirna, aber die hatte nur noch die fremden Männer im Kopf, deren armes Opfer sie noch in dieser furchtbaren Nacht werden würde. Weil sie sehr vieles war, ja die ganze WELT war, aber eben auch, nicht wahr, ganz ganz am Ende, auch eine Frau... Ich ließ mir von der Garderobe meinen Mantel geben.
    In dem steckte das neue Buch, das von mir im Januar herauskam, also der neue Schutzumschlag, den Ulrike Henneke von KiWi mir vorhin zugesteckt hatte. Ich hatte nun so eine vage Idee. Es war klar, daß der große Kritiker meinen Namen SCHON WIEDER vergessen hatte. Ich hätte noch achtmal im Laufe des Abends zu ihm treten und meinen Namen schmettern können - er hätte ihn dennoch gleich wieder vergessen. Mit dem neuen Schutzumschlag war das schwieriger. Ich schrieb seinen Namen darauf und versuchte dabei, seine Schrift, die ich kannte, nachzumachen. Dann ging ich wieder ins Innere. Auf seinen Platz direkt neben seiner Frau traute sich natürlich niemand hinzusetzen. Der war als einziger auf der ganzen Party frei. Ich schlenderte hin und legte den Schutzumschlag darauf. Seine Frau und auch sonst niemand achtete darauf. Dann begann ich seelenruhig mit dem Handy zu telefonieren. Nach einigen Minuten entfernte ich mich, behielt aber den Platz im Auge. Ich blätterte in den Novellen Guy de Maupassants. Ein Herr sprach mich an, ein Mann unter 40, der sich deswegen fremd fühlte und Anschluß suchte. Während ich mit ihm über die Villa und die Bücher plauderte, sah ich, wie zwanzig Meter weiter der Literaturpapst zurückkam, meinen neuen Roman fand und sich kopfschüttelnd darüberbeugte. Er starrte minutenlang auf den Schutzumschlag, auf seine eigene Schrift darauf, und sicher immer wieder auf die völlig unbekannten Worte JOACHIM LOTTMANN.
    Nun konnte ich beruhigt gehen und tat es auch. Ich trat in den Vorraum. Diener sprangen auf mich zu. Ich gab zu Protokoll, ein Taxi zu benötigen. Sicherheitsbeamte und Bundesgrenzschützer sprachen gepreßt leise Befehle in ihre ans Kinn gebundenen Mikrophone. Der Kanzler war nicht gekommen. Der vergnügte sich bei Rowohlt, wo es sogar Autoren gab. Und da fuhr ich jetzt auch hin.
    Ich stellte mir vor, wie nun die Spitzen aus Politik und Wirtschaft über die arme, unschuldige Mirna, im Geiste immer noch 14, herfielen. Diese Schweine. Sahen die denn nicht, daß sie noch Jungfrau war, in gewisser Weise? Hatten die denn nichts gelernt seit Stalingrad? Plötzlich lief eine Frau vors Auto, die wollte auch zu Rowohlt wollte. Verena Kosglut oder so, ich versuchte mir sofort den Namen zu merken, weil sie so gut aussah und einen WEISSEN Cordanzug trug. Sie sagte, sie übersetze große deutsche Gegenwartsromane ins Italienische.
    Vor dem Rowohltpartygebäude spielten sich schreckliche Szenen ab, wie vor der deutschen Botschaft in Peking, wo immer Nordkoreaner reinwollen. Es gab eine Liste, und ich stand zwar drauf, nicht aber Verena Kosgluth. Wir verhandelten zäh bis in die Nacht hinein, wie einst Genscher vor der deutschen Botschaft (Prag war das in dem Fall). Später kam eine Gruppe Fans dazu, die ich selbst eingeladen hatte. Junge Leute, knapp über 30, denen ich gesagt hatte: 'hey, ich bring euch da rein'. Nun standen sie da und guckten fast so verwirrt wie die Mirna.
    Nein, nicht so wie die Mirna. Niemand konnte so heillos verwirrt gucken wie sie ("Mein Herr, ich verstehe nicht... Ihnen etwas blasen... ich kann doch gar keine Noten lesen?"). Die jungen Fans sahen ganz normal aus. Nur ihre Kleidung war etwas unpassend. Sie sahen aus wie Bundeswehrsoldaten. Hiphop kannte man aber bei Rowohlt noch nicht oder nicht mehr. Und so liess man sie nicht hinein. Feridun Zaimoglu kam, und ich bat ihn, sich für meine jungen Fans zu verwenden. Er tat's, es nützte nichts. Rowohlt hatte als Türsteher radebrechende Turkos angestellt, die noch nicht mal die Situation rafften, als Feridun sie ihnen in Kanak Sprak erklärte. Karin Graf, die danach kam, schaffte es erst recht nicht, und selbst Springer-Obergangster Matthias Döpfner verstand nur Bahnhof. Nun entdeckte mich Birgit Schmitz von K & W und winkte uns alle rein. Vor allem Döpfner, der bereits einen Kopf kleiner geworden war, atmete auf. Er war ohne Frau gekommen und ohne Friede; ein Fehler, wie er insgeheim feststellte.
    Ich dachte wirklich, als ich nun in der Halle stand, mit all den echten Autoren und Lektoren, Stadtluft mache frei, oder sowas. Also 'Nieder mit den Ständen! Den Pfaffen und den Fürsten! Den Spitzen aus Politik und Wirtschaft!'. Oder einfach nur "Stürmt die Bastille, Kinder des Vaterlandes!" Es war so scheußlich gewesen bei dem milliardenschweren Spekulanten, der wahrscheinlich gerade den Real und die brasilianische Volkswirtschaft zu Fall brachte, SO BÖSE, und es war so frei und voller menschlicher Möglichkeiten bei den Künstlern, jungen Frauen und leidenschaftlichen Lesern hier. Gewiß tat mir die arme Mirna leid; aber hatte sie nicht auch einen kleinen Anteil an ihrem Verhängnis der heutigen Nacht? Ich weiß, diese Ansicht ist politisch nicht ganz korrekt, aber trotzdem. Ich weiß auch, daß die Lunkewitz-Rede hochinteressant und richtig war. Selten hatte mir jemand den Nahostkonflikt so gut erklärt. Und immerhin brachte der Verlag mit Zoe Jenny das einzig interessante Buch (neben Sven Lagers 'Im Gras') heraus. Auch wollte ich keine Party verurteilen, die von meinem Vorbild Reich-Ranicki besucht wurde. So blieben die Dinge, wie alles im Leben, zwiespältig. Ich sah es schon wenig später. Meine Fans entpuppten sich, als sie erst getrunken hatten, als wenig fahnentreu. Hätten nicht auch sie die arme Mirna geschwägert, wenn sie nur hier gewesen wäre? Die plumpen Bundeswehrklamotten kaum abgestreift dabei? Ich wußte es plötzlich nicht mehr. Die gute Mirna war doch nur eine hilflose Frau, man mußte sie doch beschützen! Ich bekam es mit der Angst zu tun und rief sie an. Aber das Handy antwortete nicht. Es war wohl schon zu spät.
    Nun begann ich selbst zu trinken. Die Stunden vergingen jetzt recht schnell. Ich geriet in eine seltsame Schieflage. Irgendetwas hinderte mich daran, nochmal bei der Mirna anzurufen; es wäre wohl auch vergeblich gewesen. Aber ohne sie traute ich mich nicht mehr ins Hotel. Es war ihr Zimmer und ich wollte da nicht rein. Womöglich machte mir irgend so ein Spitzentyp aus Politik und Wirtschaft auf. Ich bat meine Fans, mich bei sich unterzubringen, aber die dachten gar nicht daran. Schließlich traf ich um vier Uhr morgens meinen alten Haffmans-Lektor Heiko Arntz, der ebenfalls kein Zimmer gefunden hatte. Genau gesagt: Man hatte ihm um halb drei Uhr nicht mehr geöffnet, in der kleinen Pension.
    Ich rief bei Christian Y Schmidt an und schilderte ihm die Lage. Er war mein ältester Freund, und er wohnte in Frankfurt. Ich nannte ihn manchmal, in fast zärtlichen Anwandlungen, Ypsilon. Das tat ich auch jetzt.
    "Ypsilon, du darfst mich nicht hängen lassen. Wir haben Minusgrade, es herrscht ein scharfer Wind, ich habe nicht mal Winterkleidung an. Ebenso ergeht es Heiko Arntz, den Du nicht kennst, der aber ein guter Lektor ist. Du MUSST mir einfach helfen."
    Er wollte, aber er durfte nicht wollen. Er hatte seit wenigen Wochen eine Freundin. Eine junge Chinesin. Er weinte fast.
    "Es ist... nicht meine... Wohnung... Es ist auch IHRE... "
    "Ja, Ypsilon, aber es geht nicht anders. Das wäre auch keine Beziehung mit Zukunft, wenn Deine Freundin es anders sähe."
    Seine Stimme begann zu zittern. Er sagte keine ganzen Sätze mehr, sondern immer nur ein Wort, als müsse er vor jedem Wort Anlauf nehmen.
    "Wir... sind... erst... kurz... zusammen..."
    Er tat mir furchtbar leid, ich erschrak richtig. Der arme Ypsilon. Es war nicht mehr seine eigene Wohnung, er hatte sie schon überschreiben lassen. Bald würde er auch sein Testament ändern lassen. Ich dagegen hatte nur eine lumpige Nacht zu überstehen. Und das würde ich schaffen, ganz egal was passierte.
    Und danach stand mir das ganze Leben offen.

  2. #2
    Weber Member Avatar von Herr Weber
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    Herr Lottmann!! Wer soll denn das lesen? Heute? Die sind doch alle auf der Buchmesse. Ausser mir natürlich.

  3. #3
    Avatar von Herr Genista
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    Ich habs gelesen! Erster!

    Ich muss allerdings zugeben, ein paar nicht gemachte Absätze nur überflogen zu haben. Gut gefiel mit Joe Jenny, die coltschwingende Schreibamazone und das nachgemachte Reichsschrifttum. Gerne wär ich jetzt auch in Frankfurt. Damn.

  4. #4
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Diesmal nur Zweiter, aber immerhin.
    Ich glaube, Marcel ist gut getroffen. Jedenfalls so wie ich ihn mir vorstelle.

  5. #5
    Avatar von Benzini
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    Abwechflungfrrrreich und verrgnüglich?
    Ich glaaaaube, ja!
    Befonderrrrf die Mirna, hat ef mir angetan, mit ihrem unvergleichlichem Blufenknopf.
    Bleibt fu kläären, waf daff für ein grooffer Rrroman von Kirchhoff ffein ffoll???
    Ich hoffe eff kommt keine urologin darin vor.
    Vielen Dank.

  6. #6
    Avatar von Aporie
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    Ich habe bis heute nicht herausgefunden, warum Lottmanns Texte hier offenbar über der Schwelle der Billigung, der Zuneigung und des Lobs liegen. Dies-ist-ja-ganz-nett-und-jenes-gefällt-mir-gut scheint mir nicht ausreichend als Bewertung für Lottmanns Geschichten zu sein, die, wenn man sie an den im Forum manigfach geäusserten Vorstellungen vom gelungenen Beschreiben von Personen und Begegnungen misst, eigentlich zu Beifallsorgien führen müssten.

  7. #7

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    sieht den text verwirrt an, aber letztenendes ist es ja auch nur ein text und nichts als das
    Geändert von Juri (12.10.2002 um 19:52 Uhr)

  8. #8
    Avatar von Herr Genista
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    Für Begeisterungsstürme ist das zu lang und zu unstrukturiert, deswegen bin ich auch gesprungen.

  9. #9
    Moderator Avatar von DonDahlmann
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    Ganz, ganz groß.

    Ich muss anmerken, dass ich mehrfach gelacht habe! Bei Jo-Lo! Das Buch kauf ich.

    Seit wann ist Y mit Sys zusammen?

  10. #10
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Aporie: Natürlich spielt Lottmann in einer anderen Klasse.

  11. #11
    Weber Member Avatar von Herr Weber
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    Ist Joachim Lottmann Jennifer Lopez? Beide werden von ihren Fans "J-Lo" genannt.

  12. #12
    Member Avatar von roger
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    geschafft!

    herrlicher text, j-pro-lo.
    (das pro steht für profi)

    so, das machst du gleich nochmal!



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