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Thema: Die wahre Königin der Herzen

  1. #1
    Avatar von Arthur Schlupfloch
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    Die wahre Königin der Herzen

    Es war vor etwa vier Jahren, da feierte der Suppen- und Würzmittelhersteller Maggi 50-Jähriges Jubiläum. Um all die vielen Ehrengäste anständig unter zu bringen, hatte Maggi die Frankfurter Messehalle angemietet. In der Mitte des Saales, umgeben von mindestens 100 runden Tischen, stand ein drehbares Podest, auf dem die VIPs miteinander diskutieren sollten – was ich von einem Herrn erfuhr, der sich neben mir durch die Türe hineindrängelte.

    Die Massen strömten, jeder machte sich seinen Tischnachbarn bekannt. Der Herr Direktor küsste der Frau Doktor die Hand, ein Professor erzählte einem Geschäftsführer vom Golf-Handicap. Nur ich hatte mich wieder mal auf den letzten Drücker gemeldet und drum saß ich am Tisch mit der Frau eines hessischen Jaguarhändlers und fünf Herren in dunkler Kleidung. Zwei der fünf hatten solche Kabel im Ohr wie einer der Bösewichte aus dem Film "Diva". Auf meine Frage, ob er schwerhörig sei, antwortete der eine leise und mit unbewegtem Gesicht, „nein, ich bin Leibwächter. "Ach, von wem denn", fragte ich, und beugte mich nach vorne. Er beugte sich auch nach vorne und sagte "von Hannelore Kohl". Dann lehnte er sich wieder zurück und sah seine Kollegen verschwörerisch an. „Und wo ist die“, fragte ich. Worauf er antwortete: „direkt hinter ihnen“. Ich sah mich um, und tatsächlich saß, mit dem Rücken zu mir, aber dennoch an ihrer einzigartigen Frisur zu erkennen, Hannelore Kohl.

    Da ich normalerweise weder Gebrauchsanweisungen noch Libretti lese, versteht es sich von selbst, dass ich mich nicht über die Details der Veranstaltung informiert hatte. Das holte ich jetzt nach und erfuhr, dass wir an diesem Abend Alfred Biolek als Showmaster erleben würden im Gespräch mit Hannelore Kohl und anderen Prominenten, die ich mittlerweile vergessen habe. Alle zusammen würden auf dem drehbaren Podest sitzen, auf, um es im Marketing-Deutsch sagen „Maggi-gebrandeten“ Stühlen. Das Menu würde vom Starkoch Johann Lafer zubereitet werden.

    Der Name war kurz zuvor schon einmal begegnet. Als nämlich der Pressesprecher eines großen Unternehmens auf einer Journalistenparty zu irgendjemand sagte: „Wissen Sie, wenn ich Stress hab’, dann fahr in die Stromburg [dort kocht der Lafer unter anderem, Anm. d. Autors] und sag: ‚Johann, koch’ mir was schönes.’“

    Exkurs. Für alle Leser, die nicht der Geld- oder irgendeiner anderen Aristokratie entstammen, und denen es daher an der gesellschaftlichen Stellung und Sensibilität mangelt, diese Äußerung in ihrer Gänze zu erfassen, sei erklärt, dass bei Johann Lafer in der Stromburg vorzugsweise die Prominenz zu feiern beliebt. Und wenn dann einer so etwas sagt, zeigt er an, wie sehr er dazugehört, dass er mit Leibkoch der VIPs per Du ist und der ihm sogar auf Zuruf ganz speziellen Service angedeihen lässt. Dass es möglicherweise eher unter der Würde eines wahren Gentleman ist, mit Köchen, Subalternen also, per Du zu sein, auch oder gerade weil sie aus Funk und Fernsehen bekannt sind, sei nur am Rande erwähnt. Exkurs Ende.

    Unser Tisch, an dem die Autohändlersgattin, die Leibwächter und ich saßen, war also der Katzentisch. Das zeigte sich, als Johann Lafer erschien und alle aufforderte, an einen deren mehreren hundert Herde zu treten, die rundherum am Rand der Messehalle aufgestellt worden waren. Dort sollten wir uns das Abendessen selbst zubereiten. Keine schlechte Idee, fand ich, und weil mir Kochen Spaß macht eilte ich, meinen Herd, der mit der Nummer des Tisches gekennzeichnet war, zu suchen. Die anderen blieben sitzen.

    Dort angelangt wurden mir eine knöchellange Schürze, die, wir kennen es schon, „Maggi-gebrandet“ war, ausgehändigt, nebst Kochwerkzeug und den Zutaten für das Essen. Es sollte Rinderfilet geben, und deshalb war schnell zu sehen, dass da etwas nicht stimmte. Auf dem Tablett lagen nur zwei Stücke Fleisch, ein bisschen wenig für sieben Leute. Die Organisatoren hatten wohl die Leibwächter von Hannelore Kohl vergessen. Während ich zu meinem Tisch zurücktrottete, um die schlechte Nachricht zu überbringen, überkam mich so etwas wie ein mütterlicher Instinkt. So einfach würde ich nicht aufgeben. Also versprach ich meinen Tischgenossen, das Abendessen für sie aufzutreiben. Das Tablett in der Hand und die Schürze um den Bauch rannte ich durch die Halle, schnorrte hier ein Steak, dort etwas Beilage und da einen Nachtisch, und am Ende wurden alle satt.

    So wurden wir Freunde, bis auf die Frau mit den Jaguaren zuhause, die keiner leiden konnte. Irgendwann, als sich der Abend dem Ende zu neigte – die Gesprächsrunde auf dem Podest erspare ich Euch, seid dankbar dafür – und wir, vom Chauffeur abgesehen, schon einige Gläser gehoben hatten, kam ich auf die Idee, Hannelore Kohl um ein Autogramm zu bitten. Ich hatte zuvor noch niemals jemanden, und seitdem auch nie wieder, um ein Autogramm gebeten. Die Frage war nicht nur ob, sondern auch – ganz praktisch – worauf, denn ich hatte nichts zu Schreiben dabei. Ich fragte einen der Leibwächter um Rat und der sagte, indem er mir einen schwarzen Edding in die Hand drückte: „Nehmen Sie doch die Schürze.“

    Also nahm ich den Edding und die Schürze, ging zu Frau Kohl und stellte mich und mein Anliegen vor: „Guten Abend Frau Kohl, ich hätte gerne ein Autogramm von Ihnen“, sagte ich. „Mache ich gerne“, sagte sie, „worauf soll ich schreiben?“ Ich drückte ihr wortlos Edding und Schürze in die Hand. „Und was soll ich schreiben“, fragte sie. Ich hatte keine Ahnung, was man sich so als Autogramm-Text auf eine Maggi-Schürze schreiben lässt. Darum antwortete ich mit einer Gegenfrage: „Was würden Sie denn schreiben.“ Sagte sie: „Alles, was Sie wollen, solange es nichts Unanständiges ist.“ Jetzt konnte ich gar nichts mehr sagen, weil es mir niemals in den Sinn gekommen wäre, Hannelore Kohl darum zu bitten, mir etwas Unanständiges auf eine Schürze zu schreiben. Vielleicht erkannte sie meine Not, jedenfalls sagte sie freundlich aber energisch: „Dann schreibe ich ‚Für Arthur“, und schrieb: „Für Arthur, Hannelore Kohl, 26.4.97“ auf meine Schürze.

    Epilog
    Als Hannelore Kohl starb, holte ich seit langem erstmals wieder die Schürze aus dem Schrank und betrachtete sie eine Weile. Eigenartig, aber Prominente glaubt man auch nach kürzester Zeit zu kennen und in ihrem Wesensgrund zu verstehen. So erlaubte auch ich mir damals ein Urteil über eine Frau, die mich medial über die 16 Jahre der Kohl-Regierung begleitet hatte, als Oggersheimer Muttchen mit kantigem Gesicht und Betonfrisur verlacht, als Helmuts Gattin an sich schon eine Person, die nicht sein darf. Dieser für mich überraschende Humor auf der Maggi-Veranstaltung verbunden mit den seltsamen Umständen ihres Todes verwandelte ihr Bild für mich völlig. So dachte ich also, und dazu stehe ich noch heute: Wenn es je eine Köngigin der Herzen gab, und dieser Titel kann für mich nur an eine tragische Figur verliehen werden, dann war sie es, und nicht die Engländerin, die irgendwann im vergangenen Jahrtausend an einem Pariser Brückenpfeiler zerschellte.
    Geändert von Arthur Schlupfloch (31.08.2002 um 16:50 Uhr)

  2. #2
    Avatar von Aporie
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    Schön erzählt mit schon fast klassischem Höflichkeitsfaktor.
    Lafer braucht nicht erklärt zu werden, der läuft hier überall frei rum.

  3. #3
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    Herr Schlupfloch, jetzt haben Sie mir schon wieder eine kleine Freude gemacht!

    Zu weiterem Lob bleibt heute keine Zeit. Muss dringend endlich mal in's "Culinaricum", um Lafer-technische und andere edelgastronomische Wissenslücken zu schliessen

  4. #4
    Member
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    Flüssig gehässig.

  5. #5
    MaybachMember Avatar von Herr Uffelmann
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    Arthur Schlupfloch,

    würden sie bitte auf meiner Schürze unterschreiben.

    hocherfreut,

  6. #6
    Moderator
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    Art Schlupfloch, ein Hauptgericht.

    _______________________________________
    wenig trübt die Laferei.

  7. #7
    Moderator Avatar von rron
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    Ganz wunderbar.
    Wenn ich der Johann wäre, der Starkoch, dann würde ich die Damen täglich wissen lassen: "Hey, I'm not a fighter, I'm a Lafer!"
    Das aber nur nebenbei.

  8. #8
    Avatar von Streithaehnchen
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    Schöne Geschichte, gut aufgetischt! Danke!
    Wer richtig plant, braucht nicht zu seufzen.

  9. #9
    VIP-Hostess Avatar von Butch Cassidy
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    Schlupfus Maximus. Wunderbar. Darauf einen "Romanza". Welcher gute Geist hat Dich eigentlich in dieses Forum geschleppt?

  10. #10
    Large Member Avatar von vir
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    Schliesse mich meinen Vorrednern an, dass das eine saugute Geschichte ist.
    Aber der 'Exkurs' ist ein bisschen altklug und auch völlig unnötig. Nur den Schwachmaten aus dem banlieu des Forums muss man Pointen erklären.
    Die, hogenpops, die!

  11. #11
    VIP-Hostess Avatar von Butch Cassidy
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    Erde an Rron: Hab am Wochenende Zoolander angeschaut und weiß jetzt, wo Du Deinen blonden Avatarlustknaben her hast. Cool!

  12. #12
    [Member]
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    Sehr schön erzählt. Da wurde ich ja ganz sentimental.

    Und welche Rolle spielten Sie da, Herr Schlupfloch? Arbeiten Sie im Maggi-Vorstand?

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