Ginkgo biloba ist ein Baum in männlich, weiblich und beidem. Im Botanischen Garten der Universität Wien stehen zwei männliche Ginkgos; der bei der Mauer hat ein Taferl neben sich. Ihm hatte nämlich der damalige Gartendirektor Joseph Jacquin einen weiblichen Ast aufgepfropft. Der Baum bildete Samen; Jacquin hatte bewiesen, dass sich Pflanzen nicht durch unbestimmte Säfte vermehren.
Goethe besichtigte diesen Ginkgo-Baum und bekam Ginkgo-Samen für seinen Herzog geschenkt. Der Samen wuchs in Weimar an. Goethe hatte seine Urpflanze. Er hatte einen anderen Ginkgo (in Heidelberg) angedichtet. Fühlst Du nicht an meinen Liedern, / Daß ich eins und doppelt bin?
Ginkgos können nicht zurückdichten. Der Wiener Baum, Elternginkgo der Urpflanze, lebt seit 1770; im Zweiten Weltkrieg brach der aufgepropfte weibliche Ast ab, die Hälfte der Wurzeln ging verloren. Der Ast wurde nachgepropft, der Baum zum Objekt aufmerksamster Pflege.
Ich habe mich an den Stamm gelehnt. Das Gefühl des Erhabenen blieb ebenso aus, wie rückwärts in die Zeit kein Göthe zu spüren war. Was hat mich verwirrt? Der Baum kann nicht sehen wie ich und nicht sprechen. Anders als eine zum Historienfetisch gewordene Kaffeetasse oder Schreibfeder lebt er. Goethe, ein Baumpaparazzo, ist neben ihm gestanden.
© poldi finzenberger
Für Andrea Maria, die mich in dieses unheimliche Forum gelockt hat und den Satz schrieb: "An einem nebeligen Oktobernachmittag bin ich in Helmut Kohl geschwommen.". Für Angelika Maisch, Susanne Rau, Oha und Teixl, auf deren freundliche postings zu meinem ersten Text ich nie reagiert habe. Ich bin erschrocken und an der Forums-Software samt Strang-Logik gescheitert. Dann war es zu spät.
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