In den 90er Jahren inszenierte ich als Nebenerwerbs-Regisseur in Wien ein Theaterstück für die 'Wiener Festwochen' - und zwar die Uraufführung eines Dramoletts von Antonio Fian (Name: 'Bussi, Kant'). In den Hauptrollen: Babette Arens und Tex Rubinowitz.
Das Stück war eine Paraphrase auf 'Wer hat Angst vor Virginia Woolf' - zentrale Figuren waren also ein Mann und eine Frau, die sich nicht mehr viel zu sagen haben und das an einem Strand in Miami. Wir ließen ein paar Tonnen Sand in eine Halle schütten, bauten viele rotweißgestreifte Liegestühle anstelle von Stühlen auf, legten Badetücher aus und schickten eine junge Frau mit sehr grossen Augen und sehr gutem Charakter mit einer Eskimo(=Langnese)-Box über den Strand. Vom Band rauschte das Meer. Es war wunderschön (das Bühnenbild stammte von Renato Uz, einem Freund).
Wir hatten die Rechnung ohne die Feministinnen-Truppe gemacht, die die anderen Ecken der Riesen-Halle (eine ehemalige Straßenbahnremise) bespielten, die uns dann die Premiere verhagelten, aber das ist nicht die Geschichte, die ich erzählen wollte, ich schweife ab.
Zur Begegnung, von der ich erzählen will, kam es vielmehr während unserer Probenzeit.
Da uns Probenräume fehlten, dingelten wir durch Privatwohnungen und andere Lokalitäten, die wir uns organisierten. Über die Vermittlung von Babette, die damals am Wiener Burgtheater spielte, bekamen wir sogar Zugang zu einem Kämmerchen im Burgtheater.
Es war ein Samstag Nachmittag. Der Portier, durch Babette milde gestimmt, winkte uns versprengten Theateramateure durch und meinte, wir sollten doch ganz oben unter dem Dach ein Nebenräumchen zum Proben nutzen, 'da kommt eh keiner hin - Sie wissen ja wo, Frau Arens'.
Wir schlichen also, angeführt von Babette, durch die hehren Hallen, über vielerlei Hintertreppchen und Seitengänge, durch Tapetentüren und Feuerschutztore - bis wir in einem ansonsten als Ballettsaal genutzten Raum mit deckenhohen Spielgeln ankamen.
Wie es so Texens Eigenart ist, machte er sich, kaum waren wir angekommen, auf und erkundete die angrenzenden Räume. Bis er nach fünf Minuten sichtlich begeistert in den Raum gelaufen kam (wo ich eben damit beschäftigt war, mittels eines Klebebandes die Ausmaße der Originalbühne zu simulieren): 'Auf der Bühne schneit es! Kommt mal! Und da stehen drei.'
Wir folgten ihm also eine Treppe tiefer (oder höher?), durch ein paar Flure - bis wir auf dem obersten Rang des Burgtheater-Zuschauerraumes angekommen waren. Und tatsächlich: Da lag der riesige Raum, auf der Bühne ein wunderbar gemeinisvolles Bühnenbild (irgendwas Russisches - Tschechow?), beleuchtet, als würde gleich die Vorstellung losgehen - und aus dem Bühnenhimmel schneite es ganz leicht und zwar Papierschnitzel. Es sah wunderbar aus. Und was die Szene noch poetischer machte: weit und breit kein Mensch zu sehen; die drei Herren waren verschwunden. Nur in den Tiefen des Theaters rumpelte es leise und fern. Es war, als sei die Welt plötzlich, mitten im geschäftigsten Treiben, entvölkert worden - und nun stünden nur noch unsere Kulissen rum.
Wir gingen zurück in Richtung unseres Proberaumes - ich hinterdrein, noch ganz angetan von dem Anblick. Auf dem Rückweg - wir waren ein Stockwerk hoch oder runter gegangen (so genau weiss ich das nicht mehr) - drückte ich jedenfalls auf den Knopf eines kleinen Aufzugs; vor der schmalen, goldmetallenen Türe wartete ich, daß der Aufzug käme, und tatsächlich, da war er auch schon - leise öffnete sich die Türe.
Doch da! Der Lift war nicht leer, wie erwartet, vielmehr stand 1 Herr drin. Und es war nicht irgendein Herr, sondern 1 in Österreich sehr bekannter Herr: der damalige Kulturminister Rudolf Scholten. Wir sahen einander verduzt an, keiner sagte was. So plötzlich sich die Türe geöffnet hatte, so plötzlich schloß sie sich wieder. Ich blieb irritiert zurück. Und rätselte über diese Erscheinung.
Wir probten. Babette war wunderbar, Tex ließ es schleifen. Das Wochenende verging.
Am Montag schlug ich die Zeitung auf - und da war nachzulesen, was der Minister am Samstagnachmittag in der Burg gesucht hatte: Er hatte dort 2 andere Herren getroffen, und zwar den Burgtheaterdirektor Claus Peymann und - Salman Rushdie. Da die Bedrohung Rushdies damals ihren Höhepunkt erreicht hatte, war sein Besuch in Wien geheim gehalten worden, er konspirativ durch Privatwohnungen und leere Theater geschleust. Kaum war er abgereist, wurde bekannt, dass Peymann ihm sein Burgtheater gezeigt hatte.
Um die hatte es sich also bei den 3 Herren gehandelt, die Tex gesehen hatte; und sie waren es gewesen, die leise rumpelnd über die Hinterbühne gewandert waren: der Dichter, auf der Flucht vor seinen Mördern, Peymann und Scholten auf dem Weg durch eine andere Welt, in der man es auf Befehl schneien lassen kann. Und die ansonsten leer daliegt wie erfunden. Und wir Versprengten durchgewunken vom Portier, der keine Ahnung hat, welches Wunderwerk er da bewacht.
(Beitrag wurde von anko am 01.08.2001 um 14:12 Uhr bearbeitet.)
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