Freitagabend, halb neun. Meine Lebensgefährtin und ich stossen im Garten vom „Fichtekränzi" zu drei ihrer Freundinnen, die schon mindestens einen Bembel Vorsprung haben. Am Nachbartisch eine vor Frohsinn nur so strotzende Runde von sechs jungen Frauen plus 1 männlicher Lockenkopf mit Bart; die Mehrzahl dort trinkt Bier, das fällt auf in einem Apfelweinlokal.
Die uns am nächsten sitzende Frau hat einen niedlichen brünetten Bubikopf, sie trägt ein graues T-Shirt und wirkt sehr lebensfroh und sympathisch. Sie hat schlanke, braungebrannte, unglaublich drahtige Arme. Die am anderen Ende der Bank macht einen eher hemdsärmeligen Eindruck und trägt eine gehäkelte rötliche Wollmütze sowie Oberbekleidung in armeeoliv.
Allgemeine, steigende Heiterkeit, angefeuert duch diverse Runden „Mispelchen“ und sonstige Schnäpse an beiden Tischen. Irgendwo wird verlautbart, dass da auch Nationalspieleerinnen mit bei seien. Ich erkenne sie leider nicht (problemlos würde ich nur Birgit Prinz und die wie eine Volksschauspielerin aussehende Trainerin erkennen), aber später wird mir erläutert, dass der Bubikopf zu Ariane Hingst und die Batschkapp zu Nadine Angerer gehört. Beides zweifache Weltmeisterinnen, wie ich inzwischen weiss.
Ich komme mit Hingst ins Gespräch, weil sie mein Hemd mit dem Adler drauf als Anlass zu einem scherzhaft-abfälligen Kommentar nimmt (obwohl sie gar nicht weiss, dass die Eintracht zu dem Zeitpunkt tatsächlich 0:2 gegen Fürth zurückliegt). Eine von unserer Partie zeigt inzwischen ihr iPhone herum: Beim Aufruf der Eintracht-Applikation erscheint die lakonische Meldung: „Nicht verfügbar - diese App wurde für die 1. Bundesliga entwickelt“. Grosse Erregung ob dieser Unverschämtheit des Providers. Später verbrüdert sie sich lautstark mit dem Krullekopp am Fussballerinnentisch; die beiden sind zwar vom Lieblingsverein her nicht kompatibel – sie kommt urspünglich aus Bochum, er offenbar aus Mönchen-Gladbach – aber gemeinsame Feinde schweissen zusammen: Sie singen mehrmals sowas wie: „Ooooostwestfalen: Arschlöcher! / Nieder mit dem Bielefeld!“.
Um elf muss man hier entweder rein oder gehen: die Nachbarn. Die Angerer-Hingst Gruppe zieht es Richtung „Yacht Club“ – vorher hatten sie sich schon bei meinen Damen erkundigt, ab wann und bis wann der auf habe. Der Abmarsch wird unendlich verzögert, zwei junge Herren lassen sich mit Hingst in der Mitte photographieren, Angerer muss aufs Klo und meine Freundin wird zufällig Zeugin davon, dass die Torhüterin verabsäumt, sich die Hände zu waschen. „1A butch, kein Problem“ sage ich. Sie schnorrt sich etwas später noch eine Zigarette von meiner Freundin, raucht diese auch sofort, allerdings nicht auf Lunge, wie es sich für eine Leistungssportlerin gehört.
Inzwischen hat sich meine Gruppe vollständig ins Lokal verzogen, nur ich sitze noch draussen, muss meine Zigarre fertig rauchen. Die Fussballerinnen und ihre Freunde sind nun auch kurz vor dem endgültigen Aufbruch und schon auf der Strasse - Angerer auf einem roten Rennrad - nur Hingst sitzt noch zwei Bänke weiter, schaut zu mir und macht mit Zeige und Mittelfinger der Rechten kleine Schritte auf der Handfläche der Linken um damit zu fragen, ob wir wohl auch noch kämen. Ich grinse und sage: „Wir kommen später nach!“ Sie neigt darauf leicht den Kopf in meine Richtung und zieht mit dem Finger ihren Augenwinkel herunter. Sie glaubt nicht, dass wir noch weiterziehen.
Ich bin jetzt aber Ariane Hingst-Fan.
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