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Thema: Dr. Oetker (Rosa Pudding)

  1. #1
    Member Avatar von Peter Bean
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    Ich hatte nie einen richtigen Großvater. Einer starb auf der Flucht in Bayern 1946 an Tuberkulose und der andere zu Hause an einer gräßlichen Krankheit, von der ich immer noch hoffe, dass sie nicht erblich ist. Aber ich hatte zwei überaus liebevolle Großmütter. Eine davon hatte irgendwann wieder geheiratet, und diesen Mann betrachtete ich natürlich als meinen Opa. Er war äusserst streng katholisch und dennoch sehr witzig: Er konnte prima einen Affen nachmachen. Meine Oma war evangelisch und anscheinend weniger streng in dieser Hinsicht. Mein Opa hatte immer eine kleine Perle an einer goldenen Nadel in seinem Krawattenknoten stecken. Überhaupt ging dieser ehemalige Buchhändler immer im Anzug und war stets frisch rasiert und gepflegt. Einmal am Tage spazierte er in die Kirche. Als er starb, bekam er ein Requiem. Ich war damals gerade acht Jahre alt.
    Ich liebte meine Großeltern sehr und manchmal ertappe ich mich heute dabei, wie ich träume, mir diese große alte Wohnung vorstelle, die Möbel, die Vorhänge und die mintgrün angetrichene Veranda, die in einen kleinen Garten führte, in dem es nach feuchter Erde und nassen alten Ziegelsteinen roch. Ich versuche mir dann vorzustellen, wie es damals war, wie wir zusammen gefrühstückt haben mit Knüppeln und goldgelbem Honig darauf und Malzkaffee für mich. Ich sehe noch heute die Sonne durch die Gardinen fallen und das alte Röhrenradio gab auf Mittelwelle den Deutschlandfunk wider. Die Verkehrsmeldungen begannen auch damals schon mit diesem Signalton, auf den eine kurze, trötende Melodie folgte: Da Di Da ö Daaaa. Zwar wusste ich nicht, wo die Städte aus den Verkehrsmeldungen lagen, aber diese Melodie war ein Teil meiner Kindheit, in der Wärme und Geborgenheit der großelterlichen Altbauwohnung. Meine Oma kochte dieses typische schlesische Oma-Essen: Wunderbar und voll Liebe zubereitet ö alles mundete, vom Schmorbraten mit Rotkohl bis zum Griesflammerie mit Erdbeeren. Dennoch sah meine Oma immer wieder in einem uralten Kochbuch nach, in dem schon ihre Mutter klitzekleine Bemerkungen mit Bleistift geschrieben hatte.
    Meine Oma wäre, ob der Begegnung, um die es eigentlich hier gehen soll, wohl ungläubig und voller Stolz gewesen. Und irgendwie erschien mir das Zusammentreffen mit einem der wohl berühmtesten Namen und gleichzeitig unbekanntesten Menschen selbst irgendwie märchenhaft. Ich nehme sogar an, dass einige Mitbürger den Namen für pure Phantasie halten, für eine Marketingfigur, wie Clementine oder die Fixies-Familie.
    Meine Oma war schon zehn Jahre tot. Es war anlässlich eines Betriebsjubiläums meines nunmehr ehemaligen Schwiegervaters (siehe Alice). Der war nämlich Kapitän, und zwar ziemlich lange. Er verbrachte über vierzig Jahre bei ein und derselben Reederei und war zu seinen aktiven Zeiten der dienstälteste Kapitän in Deutschland. Als er nun also seine vierzig Jahre rum hatte, fand ihm zu Ehren ein Empfang auf seinem Schiff im Hambuger Hafen statt. Es waren alle geladen, vom Betriebsrat bis zum Vorstand und eben auch der Besitzer des ganzen Ladens. Und ich als Schwiegersohn nahm mit meiner ehemaligen Frau gleichfalls teil und eigentlich war das alles ziemlich belanglos, wäre ER da nicht erschienen. Er war extra aus Bielefeld von seinem Chauffeur hergebracht worden und gab meinem Schwiegervater die Ehre. Seine Erscheinung war würdevoll, strahlte die Kultur eines Milliardärs aus und sein schlohweisses Haupt erinnerte mich an meinen Stief-Großvater. Meine kleine Nichte nahm ihn sofort in Beschlag, turnte auf ihm herum und zupfte ihm ein Tuch und einen Füllhalter aus der Jackettasche. Das alles fand er ziemlich lustig, schliesslich war er eben ein Opa und meine Nichte hatte ja keine Ahnung, dass sie da einem Lebensmittelkonzern-Magnaten und Reedereibesitzer ziemlich die Show stahl. Ihm war es egal ö mit weit über achtzig Jahren bringt einen nichts mehr aus der Fassung, erst recht kein blondes, vierjähriges, süsses Mädchen, dass durchaus seine Urenkelin hätte sein können.
    Der offizielle Teil ging irgendwann zu Ende und man schlenderte hinunter zur Offiziersmesse. Dort gab es ein seemännisch einfaches Mahl: Erbsensuppe. Es hiess, er hätte es sich gewünscht, aber meine Mutter macht auch ständig Sauerbraten und behauptet permanent, das wäre mein Lieblingsessen. Ich hasse Sauerbraten, aber das sind die üblichen und lebenslangen Missverständnisse in einem Familienleben, die aufzuklären mehr kaputt machen würde, als ein ersparter Sauerbraten einbringen könnte.
    Ich sass dann an einem notdürftig dekorierten Resopaltisch neben dem Konzernchef. Er fragte mich, was ich so mache (nein, ich erzählte ihm nicht die lange Geschichte von Walter Giller und meinen Schauspielversuchen) und wir löffelten brav unsere Erbsensuppe. Für den Nachtisch hatte der Smutje eine besonders lustige Idee. Er kredenzte einen schlichten und einfachen rosafarbenen Erdbeerpudding - in Glasschälchen gegossen. Es war deswegen unfreiwillig komisch, weil der Fabrikbesitzer gerne mit eben diesem Produkt in Verbindung gebracht wird. Natürlich gab es auch Radeberger Bier, das gehört ihm nämlich auch. Aber irgendwie finde ich das daneben: Man stelle sich ein Konzernessen mit dem McDonalds Chef vor und es gibt nur BigMacs und Chicken Nuggets. Ich glaube auch, dass ihm der Pudding überhaupt nicht geschmeckt hat. Er roch nämlich so furchtbar fruchtig, dass man davon schon genug hatte (Irgendwie erinnerte mich das Ganze an die Szene aus dem wunderbaren desFunes-Film ³Brust oder Keuleã, als der Fast-Food-Konzernchef am Ende seinen eigenen Fraß essen musste).
    Das war es eigentlich schon. Irgendwann war auch das Essen zu Ende, der Boss stieg in seine Limousine und liess sich nach Hause kutschieren, und wir verliessen ebenfalls das Schiff. Aber ich muss zugeben, dass ich lange, eigentlich bis heute, berührt bin von der Tatsache, dass ich neben IHM sitzen durfte und Erbsensuppe gegessen habe. Wer kann das schon von sich behaupten? Und irgendwie macht es mich traurig, dass meine Oma es nicht mehr erfahren hat. Sie hat auch den Fall der Mauer nicht mehr erlebt. Obwohl sie ja als Rentnerin in den Westen fahren durfte, hätte ich ihr die Freude gegönnt, die sie für uns empfunden hätte, für uns Enkelkinder. Wahrscheinlich hätte sie mir, wenn ich ihr von der Begegnung erzählt hätte, auch das alte Kochbuch gezeigt auf dem SEIN Name stand: ³Dr. Oetkerã.

  2. #2
    Member Avatar von Ullysses
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    Das war sehr, sehr schön, gerade durch die Länge und die wunderbare Verknüpfung zweier vermeintlich unzusammenhängender Erzählstränge. Eine eigentümliche Melancholie streifte mich beim Lesen Ihrer Zeilen, Herr Bean. Und dies, obwohl es draussen einen wunderschönen Sonnentag gibt. Nun werde ich wieder weiterlesen. Ach nein, ich wollte sagen weiterarbeiten. So etwas, ein Freudscher Vertipper.
    ------------------
    zwei l sind ein l zu viel

  3. #3
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Sehr schöne Geschichte. Und das schreibe ich nicht nur in meiner Eigenschaft als Captain.
    ------------------
    standard disclaimer: Ich finde das neue Forum gut und habe unseren Hausmeister lieb.

  4. #4
    Avatar von Aporie
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    Schon wieder eine schöne Geschichte vom Autor des betrunkenen Giller-Wals, die zu Unrecht so rasch nach unten rutschte.
    Dichte Atmosphäre, man kann sich durch diese Geschichte förmlich riechen und schmecken bis hin zum wackelnden Pudding. Subtile Personenbeschreibung und Verzicht auf sprachliche Forciertheiten, weil die Sprache einfach da ist. Vom ersten Satz an.

  5. #5
    Member Avatar von Peter Bean
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    Aporie, ich bin voll des Stolzes ob ihrer wohlwollenden Kritik. Und das meine ich vollkommen ernst.
    Übrigens, beim Lesen ihrer wundervollen Geschichten und Kommentare dachte ich immer aus irgend einem Grunde, dass Sie eine Frau sind, was sie ja durchaus sein können. Aber bei genauerem Hinsehen entdeckte ich, das es keinen echten Grund für diese Annahme gibt. Verzeihen Sie mir, wenn ich etwas übersehen habe.

  6. #6
    Sir Avatar von yellowshark
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    Die Geschichte ist gut und traurig. Ich geh' jetzt Erbsensuppe kaufen.
    ------------------
    ys

  7. #7
    Avatar von Die Wucht
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    Voll des Lobes, weiss ich gar nicht wo ich anfangen und wo aufhören soll. Die Einblicke in Ihre Kindheit, die großelterliche Stimmung, die Verknüpfung zu Ihren anderen Strängen, Lachen folgt auf Traurigkeit und Rührung - ich wiederhole mich zwar, aber dennoch: Peter Bean, Sie werden mir immer sympathischer!

  8. #8
    Moderator Avatar von honz
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    Lieber Peter,
    ein Glück lese ich diese Geschichte erst heute, gestern hätte ich mir direkt in die Förde geschmissen, an der ich sehr gerne mit Dir entlangspaziert wäre, aber ich war gestern noch so dermaßen im Koma und wußte nichtmehr wo mein Telefon lag auf der deine Nummer eingespeichet war. Vielleicht ja wann ander mal , ich bin hin und wieder in Kiel.

  9. #9
    Member Avatar von Peter Bean
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    Lieber honz,
    vielen Dank für den angedrohten Suizidversuch nach dem Lesen meiner Geschichte. Die Förde ist bestimmt saukalt und ich hätte dich nicht herausgeholt.

  10. #10
    Moderator Avatar von Klede
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    Eine wirklich schoene Geschichte, die mich in umgekehrter Reihenfolge an drei Dinge erinnerte:
    Einer der Dr. Oetker Soehne (es sind so viele) ist ein grossmauliger Saeufer, der sich ein paar Mal ueber jeder Menge Alkohol bei mir ausheulte, dafuer aber meine Kneipenrechnungen beglich.
    Der vom Rasenmaeher abgeschnittene Zeigefinger meiner Grossmutter im Hintergarten. Sie wollte einen Grasknoten aus dem verstopften Maeher entfernen, was ihr leider auch gelang. Den Finger fand ich eine Woche nach dem Unfall, bleich, aber gut erhalten.
    Die Batterien fuer das Hoergeraet meines Grossvaters. Meine Grossmutter hatte sie bis fuenf Jahre nach seinem Tod aufbewahrt.

  11. #11
    Member Avatar von Second
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    Da würde mich nun wirklich der Name Deines ehemaligen Schwiegervaters interessieren. Ich bin auf den Schiffen der 'Dr. Oetker Pudding-Line' zur See gefahren. Könnte sein, dass ich ihm dort begegnet bin.
    Weißt Du noch den Namen des Dampfers auf dem der Empfang stattfand?
    Ich habe den alten Oetker nie zu Gesicht bekommen, schon deshalb gefällt mir die Geschichte.
    Ein Detail noch: Schiffe der Hamburg-Süd mussten auf der Elbe beim Hause Oetker die Flagge dippen. Die Anwesenheit des Hausherrn wurde wiederum durch eine Flagge auf dem Grundstück angezeigt.

  12. #12
    Avatar von slowtiger
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    Ich liebe solche Details. Flagge zeigen, wenn man am Haus vorbeifährt. Viel höflicher als Hupen.
    Lachen mußte ich aber, als ich mir bei 'die Fixies-Familie' natürlich die gesamte Familie in Fixies vorstellte. Nunja.
    Dr. Oetker ist ja nun nur noch halb real, wenn man so will. Wie ist das eigentlich, wenn man komplette Kunstfiguren echt getroffen hat? Gelten die? Ich habe nämlich, und deshalb paßts, mal Frau Renate tanzen lassen.

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