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Thema: Achternbusch, Herbert (saftlos)

  1. #1
    Avatar von Goodwill
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    Achternbusch, Herbert (saftlos)

    München glitzerte. Den verschneiten Viktualienmarkt mit seinen kleinen
    grünen Buden, und der großen Silhouette aus Barock, Neogotik und Bausünden
    umfloss strahlend ein Himmel in Frostschutzmittelblau. Die Blumenstände,
    Wildmetzgerauslagen und Käsetheken waren in ein Kleid aus aus bunten
    Vorzelten und Klarsichtfolien gehüllt. Stolze Obstbarone, heisere
    Spirituosenhöker, Honigfernhändler und Gemüseanpreiser mit grünen Schürzen
    tätigten die üblichen Geschäfte. Dazwischen tanzten Maroniröster einsam
    Stehblues. Die letzten hektisch herumstiefelnden Rotkopferten fielen
    unangenehm auf. Ansonsten: Lässigkeit und hastloses Schlendern. Vereinzelt
    redliche Bemühungen, etwas Christliches zu pfeifen. Denn es war der 24.
    Dezember 2001. Genauer: 12.20 Uhr mittags.

    Die letzten Dinge waren zu erledigen. Weihnachtsfriedenstiftende Dinge wie
    Messerkauf (Geschenk für mich), Giftshopping (verwirrende Sinnlosigkeiten
    für andere) außerdem Einwickelpapierbesorgungen. Obwohl ich in all´ dem
    ganz gut bin, hasse ich es. Noch immer. Immer mehr. Zuerst verliere ich die
    Geduld, etwas später auch die Nerven. Und so bin ich von klein auf daran
    gewöhnt, die Strapazen des Auswählens und des Kaufhausluftatmens sowie die
    Unannehmlichkeiten des Barzahlens, des Rolltreppenfahrens und des
    Verkäuferfangens mit einer ganz besonderen Süßigkeit vergolten zu bekommen:
    Saft.

    Nun ist Saft nicht gleich Saft. Schon gar nicht auf dem Viktualienmarkt in
    München. Dort metastasieren nämlich seit Jahren die Saftläden. Der
    allgemeine Trend geht in Richtung Kiwi-Papaya-Banane. Oft heißen die neuen
    Kreationen »Fitness-Cocktail« oder »Morning Fresh«. Serviert werden sie in
    Plastikbechern, von Menschen, die aussehen wie Skilehrer. Dazu gibt es
    meist einen gestreiften Knickstrohhalm. Oder ein Rührstäbchen mit einem
    Puschel aus Glitzerpapier obendrauf.

    Der Ur-Viktualienmarktsaft wird schon seit jeher in einer schmalen
    Gemüsestand-Gasse ausgeschenkt. Aus gläsernen Kannen, auf denen in
    krakeliger Schrift »Rote Rüben« steht oder »Schwarze Johannisbeere«. Man
    kann die Säfte je nach Saison und Laune zusammenschütten lassen. Von einer
    gemütlichen Frau, die eine halbe Ackerkrume unter den Fingernäglen trägt
    und eine altrosa Häkelmütze auf dem Schädel. In Gläser, die halbblind sind
    von zigtausend Spülvorgängen und kleinen Kratzern. Wer´s mag, kombiniert.
    Birne mit Hollunder, Weintraube mit Sellerie, Rhabarber mit Stachelbeere.
    Oder man trinkt eins der Elixiere pur.

    Ich schlüpfte also durch einen Schlitz ins schmale Innere des Saftstands.
    Meine Wahl fiel auf Apfel-Fenchel-Gelbe-Rüben. Eine Dreiergruppe
    Siebenbürger Sachsen folgte mir, bestellte irgendwas Tiefrotes und sprach
    mit rollendem Rrr über Kühlschränke und ihre Preise. Ich wärmte mein
    Getränk im dafür vorgesehenen Gläser-Wasserbad, nippte, schmeckte den
    gepressten Äpfeln nach, träufelte aus einem extra für diesen Zweck bereit
    gestellten Ölfläschchen einen Tropfen auf meinen Saft, dachte an das
    Vitamin A, wärmte weiter, trank wieder, fühlte mich allmählich stark genug,
    um die letzte weihnachtsglückverheißende Erledigung zu tätigen, leerte mein
    Glas, nickte sinnloserweise in die Runde, wand mich ins Freie und wurde in
    diesem Augenblick von einem Raubvogel, der direkt vor dem Zelteingang stand
    gefragt: »Werd da frei?« Und ich sagte: »Ja.« Dazu machte ich eine
    einladende Handbewegung Richtung Saftbar.

    Dazu muss man anmerken: Herbert Achternbusch sieht einem Raubvogel so
    ähnlich, wie es einem Menschen nur möglich ist. Wobei die Nasenpartie eher
    ins Habichtoide schlägt, der Gesichtsausdruck dagegen mehr ins kauzig
    Eulenhafte. Jedenfalls ein tolles Gesicht. Achternbusch trug eine weißgraue
    Joppe aus Filz, die schlicht und edel wirkte. Dazu einen schwarzen
    eingedellten Trachtenhut mit Kordel in der Art von Thomas Bernhard, eine
    halbelegante schwarze Hose, und in der linken Hand schaukelte eine
    gelbgrüne Tüte, wie man sie aus Reformhäusern kennt. Ich war angenehm
    elektrisiert, denn ich war soeben einem Mann begegnet, den nicht wenige in
    Bayern für ein Genie halten.

    Außerhalb Bayerns kennt man Achternbusch kaum. Zu stur seine Filme, zu
    skurril sein Humor, zu anarchisch der ganze Mann. Über den Literaturhimmel
    irrt er als Komet. Als Maler und Bildhauer ist er ein weitgehend
    Unbekannter, als Dramatiker trotz vieler Preise eine Randerscheinung.
    Nachhaltig bekannt wurde sein Film »Das Gespenst« Anfang der 80-er Jahre,
    weil ein CSU-Innenminister wegen angeblicher Blasphemie die Filmförderung
    strich. Ich habe das etwa 90-minütige Schwarz-Weiß-Epos gesehen. Gefühlte
    Dauer damals: drei Stunden. Als Achternbusch einmal einem Café einen Namen
    geben sollte, nannte er es »Mix Wix«. Zu der Zeit färbte er sich seine
    Haare rot. Eine in München nach wie vor erhältliche Postkarte zeigt
    Achternbusch mit Badekappe am Strand und dem ihm zugeschriebenen
    Aphorismus: »Du hast keine Chance, aber nutze sie«.

    Nachdem ich ein paar Alibi-Schritte durch die Gemüsegasse gegangen war,
    drehte ich mich um. Achternbusch hatte das Saftzelt doch nicht betreten.
    Stattdessen schritt er Richtung Marktmitte. Ich hinterher. Keiner der
    Entgegenkommenden schien ihn zu erkennen. Sein Gang war sofern man das in
    dem Zusammenhang überhaupt sagen kann - ein in sich ruhender. Der Kopf zog
    den Hals weit nach vorne, so dass die Schultern einen werdenden Buckel
    offenbarten. Nicht gut für einen Mann, bei dem die Unbeugsamkeit als
    Markenzeichen gilt. Vor einem eingezelteten Obststand mit der Aufschrift
    »Exoten Müller« blieb Achternbusch stehen. Lange blickte er dort von Außen
    durch das PVC-Fenster auf die drinnen ausliegenden wilden thailändischen
    Mangos, Kumquats und Granatäpfel. Ratlos, neugierig, scheu.

    Ich musste weiter. Ich brauchte noch dringend etwas Saublödes: ein
    Weihnachtsgeschenk für den Hund meines Vaters. Trotzdem: München glitzerte.

  2. #2
    Moderator Avatar von honz
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    München ist sehr schön wenn es glitzert, wie diese Geschichte aus. Ich halte Achternbusach auch ausserhalb Bayerns für ein Genie, allerdings nicht seine Kunst, die ist sehr albern. Wenn ich Bernhard in zusmmenhang mit Achternbusch höre fällt mir natürlch immer saein Spruch über Peter Handke ein, den ich hier aber schon so oft gepostet haben, daß es mir peinlich wäre, dies noch einmal zu tun.

  3. #3
    Member Avatar von Manfred Mustermann
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    diese geschichte ist eine in der wintersonne funkelnde schneeflocke, die sich sanft auf eine puderzuckerweiße altschneeschicht legt.

    jedoch:

    thomas bernhard trug nie einen schwarzen eingedellten trachtenhut mit kordel. thomas bernhard trug immer jagdgrüne hüte.
    "Heute gönn' ich mir mal was!"










  4. #4
    Avatar von Die Wucht
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    Da glaubt man, der Winter samt Weihnachten sei vorbei und schon schneit der neue goodwill rein. Ungewogen bleiben die Lachtränen, die bei den Worten Dreiergruppe Siebenbürgen, habichtoid und "Exoten-Müller" flossen. Hach, ist das herrlich! Über die komplizierten Verwandschaftsverhältnisse, die ein Geschenk für den Hund notwendig machen, sehe ich im Interesse meines Vergnügens lieber hinweg.
    Geändert von Die Wucht (16.01.2002 um 18:33 Uhr)
    "Mir läuft ein metaphysischer Schauer über den Rücken."

  5. #5
    Avatar von Aporie
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    Ich entbinde mich von den Strapazen des Auswählens; es funkelt in jeder Zeile. Selbst ein so harmloser Satz wie "Außerhalb Bayerns kennt man Achternbusch kaum" brachte mich zum Lachen. Ich schätze, Wadenbeißer Struck wird den dankbar abstoibern.
    Geändert von Aporie (17.01.2002 um 13:49 Uhr)

  6. #6
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Goodwill, Respekt.

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  7. #7
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Ein Juwel.
    If you get in trouble, just go back in time.

  8. #8
    Avatar von Lenin
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    Für die funktionierende Feinmotorik der safttrinkenden Edelflaneure des Münchner Viktualienmarktes sprechen diese halbblinden Gläser, die jene in ihren zweifellos interessanten Händen halten, diese von "zigtausend Spülvorgängen" ihrer Glasesklarheit verlustig gewordenen Gefäße. Diese Zeit konnten sie sich dort nehmen. Alte Gläser! Und wenn ich bedenke, welche Inhalte darin schon leise schwappten... die interssanten Melangen der sich übereinander schichtenden Fruchtextrakte... der aus den Gläsern aufsteigenden Geruch von Rosenöl, Mango, wildem Flieder und steinigen Aprikosen..., genau der Duft des Marktes! Goodwill, warst Du verschnupft oder warum fehlt dieses Element einer jeden Marktbeschreibung? Ach, es ist auch schon einerlei. Der Text - und das ist das, was ich eigentlich sagen wollte - ist gut. Du bist ein Geniesser und irgendwie passt Du ganz gut auf diesen Markt. Hin und wieder. Und besonders als Beobachter. Grazie. Ciao.

    p.s. Gibt es da wirklich Weintraube mit Sellerie?

  9. #9
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    Runduminformation vom feinsten.
    Der neue Goodwill, jetzt schon ein Klassiker.
    we are in the army now.The Army of Sankt Immen.

  10. #10
    Moderator Avatar von DonDahlmann
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    Soviele Geschichten in einer. Ich bin begeistert.

  11. #11
    Avatar von Goodwill
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    Das von honz nur angedeutete Zitat lautet: »Als Thomas Bernhard starb, ist Herbert Achternbusch von Journalisten zum Tod von Bernhard interviewt worden. Achternbusch sagte damals, 'mir wär lieber, der Handke wär g'schturben.'«

    Ich glaube übrigens, dass ich meinen Vater an Weihnachten 2002 mit Schnauzer, getrimmten Haaren und Halsband besuchen werde. So als Sympathie-Test. Wenn ich dann statt Stollen einen Büffelhautknochen mit Wildgeschmack angeboten bekomme und man mir eine Häkeldecke aufs Sofa legt, werde ich mich glücklich schätzen. Obwohl... Die komplizierten Verwandschaftsverhältnisse will ich ebenfalls nicht vertiefen. Nur soviel: Mein kompletter Name lautet nicht Goodwill von der Tummelwiese, mein Opa war kein Irish Terrier.
    Geändert von Goodwill (18.01.2002 um 19:55 Uhr)

  12. #12
    Avatar von Goodwill
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    Lenin verstehen, heißt die Sphinx verstehen. Rosenöl, Mango, Flieder und Aprikosen gibt es an besagtem Stand eben gerade nicht in Saftform. Deshalb fehlen auch die entsprechenden Gerüche. Auf einem frisch verschneiten Markt duftet es eh nicht sonderlich stark. Wenn Lenin aber nun sagt, ihm fehlten entsprechende Beschreibungen, dann riecht diese seine Bemerkung immerhin nach Korinthen.
    Wenn alles so bleibt, wie es ist, wird nichts werden, wie es war.

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