Also früher, in meiner Kindheit, im Mostviertel, ereigneten sich häufig kleinhäusliche, politische Szenerien. Meine Mutter, erklärte streitbare Sozialistin, mein Vater, Frauenheld, konservativ, niemals in der Kirche, am Küchentisch streitend. (Bei uns wurde viel gegessen.) Ich, völlig unpolitisch und kindlich überfordert, speicherte in meinem Hirn: Kreisky ist super, Mock ist uncool.
Wann immer wir Ausflüge in die nähere Umgebung machten, erinnere ich mich an die Besuche von Euratsfeld. Es hieß dann: "Wir sind jetzt in Euratsfeld, hier ist der Mock geboren." Ein sehr bedeutsamer, prägender Satz.
Jahre später, als ich meinen Kater von einem Bauernhof in Euratsfeld abholte, dachte ich mir: "Aha, mein Kater ist aus Euratsfeld, hier ist der Mock geboren."
Heute nahm ich mein Mittagessen in der Pizzeria "Roma" im 18. Bezirk in Wien ein. Ausnahmsweise hatte ich schon zur Mittagszeit mein tägliches Achtel Rot bestellt, durchschritt das Lokal in Richtung Klo. Obwohl ich schon einige Male in diesem Restaurant war, war ich nicht so ganz sicher wo es sich befinde und vermutete es hinter einer mit dicken Vorhängen verhangenen Türe. Ich schwang den Vorhang zur Seite, öffnete die Tür und erschrak ziemlich, als ich einen Mann, klar, ich mache es gar nicht spannend, es war Mock, vorfand und erstarrte. Meine Augen wanderten verstört hin und her um herauszufinden, ob ich im Männerklo gelandet war. Dabei fiel mir auf, wie der Mann, den ich in diesem Moment natürlich nicht als Dr. Mock erkannt hatte, wild gestikulierend die Hände wusch. Ich dachte in Sekundenbruchteilen: "Temperamentvoller Herr, so viel Bewegung, nur um sich die Hände zu waschen." Sein Gesicht sah ich im Spiegel, eigenartiger Mann, mehr fiel mir nicht ein.
Gottlob entdeckte ich die Aufschrift: "Signora" und verschwand. Aber von da an hatte ich eine Ahnung, ich kannte dieses Gesicht. Und ich ließ in meinem photografischen Gedächtnis die allein sitzende Dame am Tisch vor den Klos auftauchen. Ja, ich würde diese nachher genauer anschauen und etwas feststellen. Ich stellte fest: Die Frau im Steirerkostüm war Ehefrau Edith, sie hantierte an einem weinroten Nokiahandy, Dr. Mock saß, nein, er lungerte in Schräglage auf der Bank.
Schon kurz darauf verließen die Mocks, er nun burberrybehutet, das Lokal. Meine Begleiterin meinte: "Schau, der Mock, er tut mir leid." Dann erzählte sie mir den Niedergang eines ihr verwandten Nationalratsabgeordneten.
Ich trank meinen Wein aus, dachte ein klein wenig an Euratsfeld, meine verstorbenen Eltern, das Mostviertel. Meine Tante Marianne wird heuer 109 Jahre alt, wohnt dort, wurde erst mit 107 wunderlich und trinkt täglich ein Achtel Rot.
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