Das waren noch Zeiten, Anfang der Neunziger. Ich war auf Sinnsuche und suchte vor allem eine Hochschule, die mein schauspielerisches Talent entdecken sollte. Das war nicht so einfach, denn meine Sinnkrise war sehr tief und von Schauspiel hatte ich keinen blassen Schimmer. Aber ich hatte einen guten Freund, bzw. eine gute Freundin, deren Freund ich auch gut kannte und der mit seinen Ambitionen inzwischen wesentlich mehr Erfolg hat, als ich. Aber der Reihe nach.
Besagte Sinnkrise hatte mich dazu gebracht, ein ganzes Jahr in einem Kirchenverein als Praktikant (sic!) zu arbeiten, nur um bald zu begreifen, dass der Weg zur hauptamtlichen Kirchentätigkeit zumindest genauso unmenschlich ist, wie der Weg in den hauptamtlichen Dienst bei der Staatssicherheit wohl gewesen sein muss. Als ich also erkannte, dass ich mich auf dem geraden Weg in eine barttragende, gittarrespielende und ansonsten nicht weniger kranke Zukunft befand, stoppte ich das drohende Unheil und wollte Schauspieler werden. Also bewarb ich mich ohne großes Nachdenken und zum Ärgernis meines Praktikumsleiters, der übrigens bald nach mir diesen Job schmiss, an zwei Hochschulen.
Frankfurt am Main sollte es sein und genau dort wohnte eine geliebte Freundin mit ihrem Freund und damaligen Inspizienten am wunderschönen Fritz-Remond-Theater im Zoo. Die beiden wohnten dort wirklich IM Theater und ich durfte ebenfalls zwei wunderschöne Nächte da verbringen, in einem Ballettübungsraum, der voller Spiegel und Stangen und einer riesigen Fensterfront mit Blick auf den Zoo war. Ihr Freund, der Bauer, Andre und heutige Musicalstar bei 'Mozart', bewarb sich genau zu der Zeit ebenda an der Frankfurter Hochschule. In meiner Erinnerung waren diese drei Tage, in ihrem historischen Kontext, die schönsten meines Lebens. Ja... Ich glaube, es waren die schönsten.
Unsere Texte probend verbrachten wir den ersten Vormittag und am Abend hatte Andre Bühnendienst und ich durfte der Vorstellung lauschen. Es lief ein Broadway-Stück, dessen Titel mir entfallen ist und das in einem Hotelzimmer spielte. Stars des Abends: Walter Giller und Nadja Tiller. Es war, glaube ich, sehr amüsant und ich sah mich in Gedanken schon auf den Brettern, die eine Welt bedeuten sollen. Die Vorstellung ging zu Ende und wir trafen uns in der Kammer der Kostüm- und Maskenbildnerin, einer hippen, freundlichen und überaus sympatischen Person. Und die hatte was zu Kiffen dabei.
Andre war ganz aufgeregt. Andre war Nichtraucher und erklärte mir vorab, wie ein Joint wirken würde. Um es kurz zu machen: Ich spürte nix. Nur Andre sog tief an der filterlosen Fluppe und sagte mehrmals euphorisch: 'Spürst du, wie es ankommt? Spürst du es?' Sein Lächeln wirkte in der Tat etwas irre in diesem Moment, aber ich glaube bis heute, dass ein Joint-Anfänger prinzipiell nichts spürt und Andre einen anständigen Nikotin-Kick hatte.
Plötzlich stand Walter Giller im Raum. Er suchte irgendwas. Ich glaube, es war Andre. Giller stand vor mir, persönlich, in der Hand eine Leine mit einem kleinen Pinscher dran, den er wahrscheinlich gleich Gassi führen wollte. Ich glaube, Walter Giller war besoffen.
Wir versuchten ungeschickt die Rauchschwaden zu verscheuchen. Aber ich glaube, Giller war zu benebelt, als dass er irgendwas mitbekommen hat. Andre Bauer hatte inzwischen seinen Verstand wieder erlangt und erinnerte sich manisch mit den Armen fuchtelnd, dass wir (ja, ich und er!) Walter Giller kurz vorsprechen wollten. Nur hatte mir Andre nichts davon gesagt. Wir sprachen also über dies und das. Und aus irgend einem Grunde fand das Vorsprechen dann doch nicht statt. Ich weiss auch nicht mehr warum. Vielleicht, weil wir doch zu bekifft waren oder weil Walter einfach müde war. Jedenfalls sehe ich mich heute noch auf der Remond-Bühne Schillers Kabale proben, vor einem leeren Zuschauerraum.
Die Vorstellung an der Hochschule dauerte nur drei Minuten. Ich durfte Becket von Anouilh nicht mal zu Ende sprechen. Dann empfahl man mir, besser Kellner zu werden, oder Lehrer. Andre erging es nicht besser. Dennoch war es wunderschön in Frankfurt und bis heute liebe ich diese Stadt dafür. Vielleicht auch nur für die Tatsache, dass ich am Morgen nach der langen Nacht mit einem zweiten, höllischen Joint, der mir mein Kleinhirn in den Remote-Modus versetzte, aus Versehen ins Bad stürmte, als sich seine Freundin gerade den BH auszog. Ich stellte fest, dass ihr Busen größer war, als ich erwartet hatte und bedauerte etwas, dass ich damals, vier Jahre zuvor, nicht energischer bei IHR vorgesprochen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Hannover verlief mein Vorsprechen etwas erfolgreicher. Allerdings scheiterte ich bei dem Versuch, Handkes Publikumsbeschimpfung (Sie atmen ja! Sie sammeln ja Speichel!) weniger diabolisch, sondern kommunikativ und freundlich darzubieten. Aber ich verfiel immer wieder in den bösen Ton und das war der Jury dann doch zu uninspiriert und statisch. Vielleicht auch besser so.
Die Sinnkrise hat inzwischen ein Ende und musste anderen Krisen Platz machen. Andre Bauer ist wie gesagt Musicalstar. Ich bin weder Lehrer noch Kellner geworden, sondern was anderes. Seine und (meine Freundin) hat sich irgendwann von ihm getrennt und lebt jetzt in den USA. Wenn Andre mal so richtig berühmt ist, erzähle ich vielleicht die Geschichte, wie wir betrunken durch die Altstadt gezogen sind und zweistimmig einen Song aus My Fair Lady gesungen haben. Wenn es dann noch jemanden interessiert...
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