Der schwarze Mann
(Prolog:
Nach einer Reifezeit von gut vier, fünf Jahren ist mir diese Geschichte neulich in der Kantine wieder eingefallen. Einfach so. Die Kollegen, die recht anspruchsvollen, erheiterte sie aufs Allerbeste. Groß waren ihre Augen, laut ihre Rufe des Erstaunens: „Ja, kann denn das wahr sein?“, fragten sie ungläubig. Nun hätte ich aber ein ganz schlechtes Gewissen, wenn ich die Geschichte, die ich für exzellent halte, ohne diese Vorbemerkung herausprusten würde: Diese Geschichte ist wahr. Irgendwie. Ich habe sie vor vier, fünf Jahren von einem Freund gehört, und der kannte die beiden Hauptakteure persönlich. Ich weiss, dass ich ihm 100%ig vertraute. An seiner Glaubhaftigkeit besteht kein Zweifel. Und doch beschleicht mich das Gefühl, einer dieser „Ein Freund eines Bekannten, dessen Tante mal....“-Erzähler zu sein. Drum sei verkündet: Dem ist so nicht! Diese Geschichte war wahr. Möge sie euch ergötzen.)
Für die Tante war es die erste große Reise über den großen Teich: Endlich Amerika! Gemeinsam mit ihrer besten Freundin wollte sie einmal ordentlich durch die Staaten reisen. New York sehen, Los Angeles erleben – Hollywood! -, in San Fran die Golden Gate Bridge – eben eine Touristenreise für jungrüstige Damen Anfang 50. Da die Freundin krank wurde, durfte überraschend die liebe Nichte mitfahren. Vielleicht keine schlechte Idee, denn die Tante spricht kein Wort Englisch. Ihr Bild von Amerika: geprägt von MacDonalds und Denver Clan, von Berichten über Ghettos und böse schwarze Menschen, die harmlose Touristen überfallen. Um es vorsichtig zu sagen: Die Tante aus der oberen Mittelschicht war etwas übersensibilisiert.
Und genau das war das Problem.
Nach dem Flug checkten Tante und Nichte im New York Hilton ein (nein, ich weiß nicht, ob am Times Square oder an der Avenue of the Americas). Noblesse oblige. Tante fühlte sich schon etwas unwohl, denn ihre mangelnden Englisch-Kenntnisse machten die Anmelde-Prozedur etwas unübersichtlich. Zum Glück gab es die liebe Nichte. Wohlan, dann auf in den Fahrstuhl. Aufatmen. Endlich ankommen. So schlimm war Amerika ja gar nicht. Von wegen, brennende Mülltonnen und so.
Doch kurz bevor sich die Fahrstuhltüren schlossen, sprangen noch zwei Männer in den Fahrstuhl.
SCHWARZE Männer.
Gut gekleidet, aber:
Männer mit SONNENBRILLEN.
Die Tante erstarrte. Da waren sie also. Gangster. Verbrecher. Drogensüchtige. Kein Zweifel: Die beiden waren darauf spezialisiert, wohlhabende Mittelschicht-Touristen in Hotel-Fahrstühlen auszurauben. Dafür auch die KOFFER.
Die Fahrt begann. Stockwerk für Stockwerk stiegen Aufregung und Blutdruck der Tante. Als die SCHWARZEN MÄNNER dann plötzlich anfingen, miteinander zu tuscheln, war der Tante klar: Das ist das Signal für den Überfall! Mit einem Griff zückte sie ihr Portemonnaie, warf sich auf den Boden und skandierte: „Hier, nehmt unser Geld, aber lasst uns das Leben!!!“
Stille.
Die beiden Männer verstanden kein Wort. Als die Tante vom Boden aus hilflos mit ihrem Portemonnaie wedelte, verstanden sie doch – und brachen in schallendes Gelächter aus.
Wenig später stiegen die Männer auf ihrem Stockwerk aus, immer noch kichernd und lachend. Einer der beiden sagte etwas auf Englisch.
Die Nichte verfolgte das Ganze mit hochrotem Kopf. Ihr war der Vorfall einfach nur peinlich.
Und so vergingen die nächsten Tage ohne größere Vorfälle bzw. Peinlichkeiten. Bald war es Zeit, weiterzureisen – und die Hotelrechung zu zahlen.
An der Rezeption wartete allerdings eine Nachricht auf die Tante, geschrieben auf dem Hotelpapier-Briefpapier – sinngemäß übersetzt:
„Herzlichen Dank für den lustigsten Moment in meinem Leben –
Ihr Eddie Murphy.“
Die Hotelrechung war bereits bezahlt.
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