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Thema: Droste, Wiglaf (und meine Pubertät)

  1. #1

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    Wiglaf Droste und meine Pubertät
    Eines vorweg: weder in, noch zwischen den folgenden Zeilen werden Sie fündig. Keine Begegnung mit einem greisen Mimen in einer buddhistischen Tempelanlage, sachte Staubmilben ins Off fächernd. Keinen Ton von einer Ex-Salemer Edelblonden, in einem braunen Sumpf Mousse-au-Chocolade badend. Schön auch, wäre ich Zeuge gewesen, wie Meret Becker bei einem sonntäglichen Besuch samt Schwippschwager bei Juhnke einkehrte, zwei Flaschen Krug im Arm, ihn abends verließe, leichter, ich wäre noch heute beeindruckt und würde Euch erzählen, was hier hätte geschehen können, der Juhnke besäße sicher eine Riesensammlung Syd-Barret-Vinyl und hätte getanzt wie Catweezle auf Speed, Krug im Bauch, Max vorm Fenster. All dies nicht und nicht einmal das. Dies hier ist die kurze Geschichte eines Autogramms und zugleich Abgesang auf alle Autogramme, die ich mir auf dieser Erde von Satirikerhand geben lassen wollte. Und derer gäbe es viele, gestehe ich.
    Wiglaf Droste ist ein Titan, er steckt voller Metapher. Authentisch spröde wie eine keuchende Betonmischmaschine nach einem Wochenende schwarzer Überstunden. Oft charmant wie ein Spaziergang durch die Prager Altstadt, freilich in einem Zustand, den ein Tourist nur exklusiv in Prag erfährt, nach einer großzügigen Zeche im Wert von umgerechnet 8 Mark, wenn die Arme wachsen und meinen, die ganze Welt umarmen zu können. Dann gibt es da noch einen Vergleich, den ich hier einfach mal zitieren möchte, er stammt von einer guten Freundin, die hauptsächlich die textliche und musikalische Färbung Ihres Hamburger Lebens aus drei alten 'Goldenen Zitronen'-Schallplatten filtert, Susanne, hier kommst Du ins Spiel, denn Du bemerktest trefflich nach einer Lesung Drostes, der Mann bewege sich ungefähr so elegant 'wie ein quietschgrüner Flummi auf frisch gewienertem Parkettboden', Ende des Zitats. Bitte, es geht hier nur um Äußerlichkeiten, oder?
    Seht Ihr, und genau das war es, was mich an jenem Abend ins neblige Marburg führt, einen alten Freund besuchen, nach vielen Jahren, von dem ich eigentlich nicht mal mehr wusste, was er am liebsten trank, Wein oder Bier. In der Tankstelle vor Marburg ahne ich, dass ich auf dem falschen Pfad sein könnte, wenn selbst diese einst alles verbindende Erinnerung flöten geht, ist es nicht mehr weit her mit der und alles weit weg von Freundschaft. So sei es. Mein Freund ist nicht in Marburg, 'Keiner da!' schallt es aus der Türsprecheinrichtung. 'Gelogen', muffel ich, ' oder bist du ein scheiss- automatischer Klingelbeantworter?'. Gottlob klingt die knarzige Stimme aus der Büchse gar nicht nach Kai, dem Verbündeten aus Sportunterrichtstagen, das wäre schlussendlich der G-7 Gipfel aller menschlichen Scheußlichkeiten gewesen.
    Schön hier, abends, gestrandet um halb zehn in Marburg. Ein Plakat sieht mich an. Wer jemals einen Aushang mit dem Konterfei Wiglaf Drostes auf den Baustellenzäunen seiner Stadt bemerkt hat, weiss, wovon ich rede. Die Lesung beginne heute abend um 19h30 in einem Laden namens KFZ. Ich habe den Mann dereinst schon vor zwei Wochen in meiner Stadt gesehen, nicht tragisch also, eigentlich aber schon, das Ganze. Eine lustige Studentin in Ballonseidehosen sagt mir, man könne im sogenannten Frazz-Keller ganz toll und billig bechern. Zwar habe ich eine Trinkausrüstung für mindestens zwei lange Gespräche und vier ernste Themen im Kofferraum, aber hey, wer möchte in meinem Zustand 1. alleine trinken oder 2. drei Stunden heimwärts fahren, da bleibt doch nur 3. ein Zimmer besorgen und fremde Nachtluft schnuppern, unerkannt, unbekannt, einfach so.
    Fünf große Pils, für jeweils 4Mark70, sind intus, als die an einen Westernsaloon erinnernde Flügeltür aufspringt und ein Flummi mit Betonfirnis und Praggeruch in den studentischen Saufkeller flik-flakt. 'Guten Abend, Herr Droste' will es mir nicht über die Zähne kommen, und das ist gut so. Ich bin Fan, kein Fanatiker, ich will ein Autogramm, keinen Gruß. Wiglaf Droste nimmt Platz, die Marburger Komik-Creme umfängt ihn ausladend auf den benachbarten Stühlen. Die Zeit vergeht im Flug, zwei Biere später lauscht alles einem alten Panzerfahrerlied, Droste schmettert es beseelt in die rauh geputzten Wände dieser unterirdischen Spelunke, ganz großes Kino. Mir ist im Grunde nicht nach Witz zumute. Die Kumulation dieser Eindrücke, ohne Begleitung an einer Theke in Marburg zu sitzen, das erste Klopfen eines sich anbahnenden Bierschädels zu spüren, einen Menschen neben mir zu haben, der mir mit aller Macht ein sogenanntes Blutschnitzel ans Ohr babbeln will, lässt diese Erinnerung nicht wie einen Kessel Buntes erscheinen. Droste hätte an jedem Abend alles wieder zum Guten wenden können, an jenem nicht. Ich hätte es wissen müssen. Vier Schritte Entfernung von meinem Barhocker zu Drostes Tisch. Eine Ewigkeit, wenn jeder Laut zeitgleich mit meinem Gang nach Canossa zu sterben scheint. Stille. 'Ganz geradeaus, Herr Droste, sicher sehr pubertär, äh, ich hätte gerne ein Autogramm, hier, auf diesen Bierdeckel bitte'. Gegen die Stille, die in diesem Moment eintrat, war die Stille von vor zwei Sekunden ein The-Who-Konzert, nicht irgend eines wohlgemerkt, sondern jenes, währenddessen Pete Townsend 40 Prozent seines Gehörs mit einer Feedbacksalve in Seife und Schmalz verwandelte. Der Mann, den ich gerade plump um ein Autogramm bitte, ist viel imposanter, als ich zuvor dachte. Diese Augen! Ein 360¡ Blick, der jede, jede Kreatur und selbst Virtuelles, Spirituelles, erspäht, fängt, zermalmt und als kosmisch-komische Sauce zurückgießt auf das, was wir Welt nennen, das universale Jägerschnitzel. Eine Ewigkeit. Frisch ausgespuckt betrachte ich mich, schaue herunter von der Empore meiner ganz persönlichen Meta-Ebene, hier stehe ich, da sitzt Droste. 'Für wen?' schallt es zurück, fast versöhnlich, nur ein bisschen grollend. Die Nennung meines Namens quittiert er sehr professionell mit einem 'C oder K?' Er schreibt und schreibt. Was schreibt der Mensch so lange? Ich habe die Aufmerksamkeit eines gerammelt vollen, in Marburg sehr beliebten Szenelokals auf mich gelenkt, bitte, das muss ich jetzt ausbaden, hilft alles nichts, ich bin mittendrin, Luft anhalten hilft vielleicht doch, hoffentlich kommt jetzt kein 'Spruch', bitte, gleich vorbei. Mit einer Art Trinkgeld-Geste (Bierdeckel bzw. Scheine zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt, aus dem Handgelenk gereicht) wird mir das Geschriebene kredenzt. An dieser Stelle setzt der Ton auch wieder ein, viel lauter als vorher, klasse, ich bin aus dem Schneider. Zurück an der Theke, die Gesichtsröte mit einem kalten, langen Schluck Pils verscheucht, packt mich die Neugier und ich inspiziere das, was ein kurzes, dahin gewischtes Autogramm hätte sein sollen, nicht mehr und nicht weniger. 'Die Pubertät, die kam so spät, die Regression, die wartet schon' steht da, in einer 1000db-Schrift, die eigentlich erst hätte erfunden werden müssen. Ich bin sehr stolz auf diesen Bierdeckel, mein letztes Autogramm.

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  2. #2
    Large Member Avatar von vir
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    Ach, wie schön beschrieben, besonders das Stillstehen der Zeit während der Held autogrammt, die Entourage starrt und der Erzähler schwitzt.
    Den Einleitungsparagraphen habe ich aber nicht verstanden.

  3. #3
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Nachgerade filmisch. Hut ab.

  4. #4
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Ja. Einleitung weg, dann rahmen lassen.
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    standard disclaimer: Ich finde das neue Forum gut und habe unseren Hausmeister lieb.

  5. #5

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    Der schönste Rahmen: das Forum. Danke.
    Zum Verständnis der Einleitung möchte ich erwähnen, dass diese, der Schale einer Litschi gleich, zu knacken sei. Bitte nicht mitessen.

  6. #6

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    Wunderbar!!
    Mein Lieblingssatz:
    'Ein 360¡ Blick, der jede, jede Kreatur und selbst Virtuelles, Spirituelles, erspäht, fängt, zermalmt und als kosmisch-komische Sauce zurückgießt auf das, was wir Welt nennen, das universale Jägerschnitzel.'
    Danke!

  7. #7
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    Kathi, Du kennst Drostes Augen nicht. Sie sind seitlich an seinem Kopf befestigt
    (Beitrag wurde von Walter Schmidtchen am 27.11.2001 um 16:51 Uhr bearbeitet.)

  8. #8
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    Lieber Max: das kommt gar wortgewaltig daher, daß man es zweimal lesen möcht', nein: müßt'!, hätte man denn die Muße. Wird nachgeholt, versprochen.
    Sehr schön die Widmung auf dem Deckel: ich mußte spontan an Jessica und ihre Liebhaber hier denken.
    g.

  9. #9
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    Außerdem sieht Wigbold Dotser ja angeblich aus, wie eine 'westfälische Bäuerin mit immensen Hormonstörungen' (Max Goldt)

  10. #10

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    'Wiglaf Droste steckt voller Metapher' - stimmt nicht. Er hat einen '360° Blick' - stimmt dagegen sehr. Sehr sehr. Was mich am meisten wundert, ist, daß Droste schon damals in den Raum geflicflact sein soll. Vor wenigen Tagen auf der taz-Wahrheitsfeier katapultierte sich Droste, rüschenhemdbekleidet, mit einem 1A Radüberschlag von der Bühne. "Er ist ein Verrückter, ein Clown!" rief der neben mir stehende Poser Rosenberg begeistert, und hatte dabei dieses Glitzern in den Augen, das ihn so verwirrend sympathisch macht.
    Geändert von Stimmen (04.03.2002 um 18:05 Uhr)

  11. #11

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    (Belgier produzieren Berge von Frittenfett...)
    Wiglaf Droste / Das Paradies ist keine evangelische Autobahnkirche/ Track 1. Bombardiert Belgien bei 1:39sec/ 2CDs / Mundraub 2001
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